STURM. ECHO.

STURM. ECHO.

28,15,0,50,1
600,600,0,0,5000,1000,25,2000
90,300,0,50,12,25,50,1,70,12,1,50,1,0,1,5000
Graz 1998
"STURM. ECHO." im Forum Stadtpark
"STURM. ECHO." im Forum Stadtpark, Graz 1998
Hanspeter Zechner, "DERBY"
"STURM. ECHO." im Forum Stadtpark, Graz 1998
Günther, Waldorf, "O.T."
"STURM. ECHO." im Forum Stadtpark, Graz 1998
Jörg Schlick, "FLASCHE VOLL"
Graz 1998
"STURM. ECHO." im Forum Stadtpark
"STURM. ECHO." im Forum Stadtpark, Graz 1998
Manfred Erjautz, "O.T."
"STURM. ECHO." im Forum Stadtpark, Graz 1998
Martin Schnur, "FLUTLICHT",
Graz 1998
"STURM. ECHO." im Forum Stadtpark
Graz 1998
"STURM. ECHO." im Forum Stadtpark
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Kunst : Sturm

1. Um ein Fußballspiel über die Bühne des englischen oder holprigen Rasens zu bringen, ist ein Regelwerk vonnöten. Was erlaubt und was verboten ist, um das runde Leder im gegnerischen Tor unterzubringen, also die Voraussetzungen dafür, daß der Spieler A, B oder C nach erfolgter Arbeit jubelnd abdrehen kann, wird in einzelnen Paragraphen aufgelistet. Die Kenntnis der Spielregeln sind unter anderem die Voraussetzung für den Genuß und die Erkenntnisse bei der Beobachtung des Matches.

2. Das System der Regeln ist aber nicht das Einzige, das beim Fußball von Bedeutung ist. Auch die Mannschaften entwickeln ihre speziellen Systeme. Wie will man den stärkeren oder schwächeren Gegner in den Griff bekommen: mit Offensive oder Defensive, ihn das Spiel machen lassen und dann eiskalt auskontern, aus einer gesicherten Abwehr heraus oder Angriff um jeden Preis, durch die Mitte oder über die Flügel? Was die Trainer und Kommentatoren verharmlosend Taktik nennen, ist in Wahrheit das Aufstellen von Thesen und deren Überprüfung, ist die Fähigkeit, die Thesen der anderen zu erkennen und – spätestens in der Halbzeit – auf diese zu antworten. Wenn man die entsprechenden Argumente im Kopf und im Kader hat.

3. Im Gegensatz zur allgemeinen Systemtheorie kann die Durchschlagskraft der eigenen Argumentationen, also die Leistungsfähigkeit von Hard- und Software Woche für Woche am Tabellenstand verifiziert werden. Dazu kommt der Übertragungsmechanismus im Rahmen der grundsätzlichen Thesenpositionierung. Diese können – bis hierher decken sich die Strukturen der wissenschaftlichen und fußballerischen Systemanalysen – im Grunde richtig, in der Praxis falsch sein: Weil man sich in der Spielanlage des Gegners verschätzte, aber – und hier wird die Deckungsgleichheit weitgehend aufgehoben – genauso, weil der eine oder andere Spieler an diesem Tag ein schlechtes Timing, eine permanent miserable Schußhaltung, zu viele Fehlerquellen im technischen Bereich, kein Durchsetzungsvermögen beim Gegner oder Kommunikationsschwierigkeiten mit dem eigenen Team hat.

4. Jede These, um über die Erstellung hinaus wirksam zu werden, benötigt eine Anhängerschaft. Man kann diese meist durch Überzeugung aufgrund aktueller Fragestellungen bzw. durch die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte analytisch aufzubereiten oder durch geschickte PR-Aktivitäten gewinnen.

5. Dies gilt für den Fußball, insbesonders für die Motivation und die kontinuierliche Einstellung des Vereinsanhängers, nur in stark eingeschränkter Form. Zwar kann ich bei der WM von Anfang an oder im Verlauf des Turniers zu meiner Lieblingsmannschaft finden – ich bevorzuge den eleganteren, den technisch reiferen Fußball vor dem geradlinigen, kämpferischen oder umgekehrt – aber eigentlich nur deswegen, weil ich nicht wirklich beteiligt bin, weil mich Fußball als Spiel fasziniert, aber nicht das meist irrationale Phänomen, eingefleischter Fan zu sein.

6. Hier habe ich nur einmal die unbewußte oder bewußte Wahl. Wenn überhaupt, dann am Beginn meiner Fan-Karriere. Es ist durchaus vorstellbar, daß in Wien (unter Einschluß einiger weniger versprengter, sich für „Globalisten“ Haltender aus der Provinz) – seinerzeit – die Wahlmöglichkeit zwischen Rapid und Austria, zwischen dem kämpferischen und trickreichen Spiel also, bewußt in die Waagschale geworfen wurde, meist aber schlug der Fan aus eher irrationalen, dafür aber umso engagierter und fanatischer verfolgten Gründen den einen oder anderen Weg ein.

7. Wie sonst könnte man den Thesen und der sportlichen Praxis des Lieblingsvereins folgen, wenn er jahrelang in der Regionalliga Mitte um einen einigermaßen akzeptablen Rang kämpft (zum Beispiel Sturm), wenn er das Spiel gegen Rapid schon verloren hat, noch bevor die Spieler den Rasen der Pfarrwiese in Hütteldorf betreten haben (zum Beispiel Sturm), wenn nur die Maul- und Klauenseuche und ein raffinierter Präsident den Abstieg aus der höchsten Spielklasse verhindert haben (zum Beispiel Sturm), wenn er im Zieleinlauf zum ersten Meistertitel vor eigenem Publikum in eine verheerende Niederlage rennt (zum Beispiel Sturm) usw. usw.

8. Diese Tatsachen vor Augen muß immer wieder festgehalten werden, daß die Gedankenlosigkeit der Akteure auf dem Fußballfeld ungeheuerlich ist. Weiß denn der Schiedsrichter nicht, daß sein Fehlpfiff nicht nur unangebracht ist, sondern daß er mich persönlich dadurch beleidigt, Was geht im Gegner vor, wenn er Vastic, der sich gerade einen genialen Spielzug ausgedacht hat, durch ein Foul daran hindert? Denkt er nur an sich und seine Mannschaft, auch wenn er weiß, wissen muß, daß ich auf der Tribüne leide? Kann sich Haas nicht mir zuliebe konzentrieren, wenn er allein auf den gegnerischen Tormann zuläuft? Muß Popovic ins eigene Tor schießen, auch wenn ich vor Enttäuschung in mich zusammensinke?

9. Ich denke Sturm, ob sie Fehler machen, ob sie nur rackern oder spielerisch glänzen, ob sie sich in der Liga, in der sie spielen, gerade über Wasser halten oder diese Liga nach Belieben dominieren. Natürlich denke ich – ohne mir auch nur im geringsten der Wirkung eines Trostpflasters für jahrzehntelanges Leiden bewußt zu werden – Sturm, wenn der Verein als erster steirischer den österreichischen Meistertitel erringt.

10. Sturm als Meister mußte also auch ein künstlerisches Echo haben. Nicht in der Form, bei dieser Gelegenheit den Fußball als abstraktes gesellschaftliches Phänomen darzustellen und aus diesem Grund für die Praxis einer Kunst, die sich als relevantes Medium für die Beschreibung und geistig-sinnliche Interpretation unseres Lebensraums versteht, zu requirieren. Künstlerinnen und Künstler – mit ganz wenigen Ausnahmen praktizierende und potentielle Sturm-Fans – wurden eingeladen, im Kunstraum Reflexionen anzustellen und Zeichensetzungen vorzunehmen: Zu einem Sachverhalt, der über die Grenzen einer verschworenen Gemeinschaft hinaus das kulturelle Leben einer Region für einen kurzen Zeitraum nachhaltig bestimmte und zudem die sogenannte zweite Realität, die medial konfigurierte, die in ihrer Bedeutung längst die Rolle der ersten Realitäts- und Beobachtungsebene übernommen hat, in einem besonderen Ausmaß bestimmte. Eine bewußt breite Streuung der Zugänge, von der bildenden Kunst über die Literatur bis hin zur Musik, war ein aus der besonderen Konstellation sich folgerichtig entwickelndes Konzept.

11. Die Beiträge wurden nicht aus kunstimmanenten Kriterien ausgefiltert, nicht aufgrund mehr oder weniger geeigneter methodischer Ansätze gewählt. Eine reflektierte Umkehrung üblicher Ausstellungsstrukturen in der Form, erstmals einen sogenannten trivialen Anlaß mit einer ausgewiesenen „Komplizenschaft“ zu verknüpfen, schlug sich auf der Kunstebene als spannendes Ereignis nieder und führte darüber hinaus zu einem das System Kunst – mit seinen in erster Linie im eigenen Regelkreis komplex ausformulierten Thesen – unmittelbar betreffenden Ergebnis. Das Aufstellen der Thesen (in Relation zum Anlaß) und deren Einlösung in der Praxis (in Relation zur Ausstellung), sprich: der künstlerische Ansatz und die Ausführung, verlaufen als Vektoren in einem ähnlichen Koordinatensystem wie das fußballerische. Der Unterschied mag darin liegen, daß das Training mehr ins Gewicht fällt als die Tagesform.

MAnuskript zu: Kunst – Sturm. IN: Ausstellungskatalog „Sturm. Echo.“ im Forum Stadtpark Veranstalter:  Werner Fenz und Martin Behr, Graz, Eigenverlag: 1998.
Abbildungen: Archiv Fenz-Kortschak