Mind the map! History is not given

Mind the Map! History is not given1Symposium Leipzig  13. – 16. Oktober 2005

The East Art Map University Network – Von Graz aus

MDR Hochhaus Leipzig 2005

MDR Hochhaus Leipzig 2005

A few views on a (long historic) relationship, now called EAM2Der Vortrag wurde unter diesem Titel beim Symposium in englischer Sprache gehalten und publziert in: Mind the map! History is not givven. A critical anthology based on the Symposium. Edited by Marina Gržinić, Günther Heeg und Veronika Darian, Frankfurt am Main, Revolver 2006,  S. 151 – 152

Es mag für jene, die allein in geografischen Dimensionen denken, keine große Überraschung sein, dass Graz einen engen Kontakt zu Ex-Jugoslawien und seit Beginn der 1990-er Jahre zu Slowenien, Kroatien und den anderen autonomen Republiken unterhalten hat und unterhält: Sowohl Ljubljana als auch Zagreb sind nicht einmal 200 Kilometer entfernt. Vor allem in den Zeiten vor der Wende reichte es anfangs nicht aus, akademische Kontakte zu knüpfen, es waren auch kulturpolitische Aktivitäten nötig, um die Stadt im neutralen Österreich letztendlich als aktiven Netzwerkknoten innerhalb der Länder Jugoslawien, Ungarn, Italien und Österreich auszubilden (zu positionieren). Ein erster und entscheidender Schritt in diese Richtung wurde bereits 1963 mit der Gründung der Biennale trigon (Italien, Jugoslawien, Österreich) gesetzt. Waren es am Beginn biedere Gemälde- und Skulpturenausstellungen, entwickelte sich die Biennale sehr rasch zu einer jeweils Themen bezogenen Schau, in der zunächst immer wieder auch die Architektur ihren Platz fand. Ich will sie hier nicht, vielleicht noch mit stolz geschwellter Brust, mit einem scheinbar lokal relevanten Kunstprogramm langweilen: Für Graz wie für die angrenzenden Länder waren die Aktivitäten aber von herausragender Bedeutung. Sowohl was die Präsentationen unmittelbar betraf als auch für das kontinuierliche Knüpfen von Kontakten. Sie führten zu einem immer ausführlicheren Einblick in die „anderen“ Kunstszenen sowie zu einem wachsenden Verständnis gegenüber einer lebendigen, je spezifischen Entwicklung der Kunst. So ist es kein Zufall, wenn wir zahlreichen KünstlerInnen, die in East Art Map eingetragen sind und im East Art Museum in Hagen präsentiert werden, bereits in den 1980-er Jahren in Graz begegnen konnten: Von Marina Abramovic, Braco Dimitrijevic, die Gruppe Gorgona, Tomislav Gotovac über Ilya Kabakov, Lajos Kassak, Julije Knifer, Milan Knizak, Jiri Kovanda bis hin zu Kasimir Malevich from Belgrade, Boris Mikhailov, Gruppe OHO, Nesa Paripovic, Rasa Todosijevic etc. Für einige der Genannten war es der erste Auftritt „im Westen“. Dazu muss deutlich angemerkt werden, dass durch die engen Kontakte mit den Kunstschaffenden, aber auch mit den MuseumskollegInnen und TheoretikerInnen in den Ateliers vor Ort jene oft geübte Ausstellungspraxis, fremde, wenn nicht gar exotische Kunst zu präsentieren, hintangestellt werden konnte. Es soll nicht behauptet werden, dass wir in der Lage waren, jede dieser unterschiedlichen Positionen auf Anhieb richtig einzuschätzen oder in einen umfassenden Kontext der Entwicklung einzuordnen – ohne Zweifel aber wurden die Grundlagen für ein weit reichendes Verständnis spezifischer künstlerischer Situationen geschaffen.

In meiner Praxis als Kurator an der Neuen Galerie bzw. als deren Direktor bis 1998 sowie als Projektkurator für das Festival steirischer herbst und die Österreichische Triennale zur Fotografie hatte ich immer wieder die Möglichkeit und das Verlangen nach einer gemeinsamen Arbeit mit KünstlerInnen aus den East Art Map – Territorien. Lassen sie mich unter den zahlreichen anderen zwei signifikante Projekte der Gruppe IRWIN erwähnen: Für die Bezugspunkte 38/88 (Points of References), ein umfangreiches Ereignis im öffentlichen Stadtraum anlässlich „50 Jahre Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland“, entwickelten die fünf Künstler auf dem Areal der Universität ihre multimediale Inszenierung Zweite Bombardierung. Music, text, sculpture, painting and light were the elements with the help of which the educational abode of the rising generation of intellectuals was staged afresh. Its being an eminently socio-political place, was demonstrated above all by the number of means employed which do not proceed merely from the fine arts sector, but presented an integration of forms of expression. The “interventions” possessed not only a purely artistic form; they were planned multidimensionally as messages. Quotations from the cultural surroundings were mixed up together. The total “construction” became a visual an additive “field of thought”, the climax of which was the “speech to the Austrian people on the theme of the cross”. This arrangement, which paraphrases the perfect staging of the 30’s and 40’s, was concerned with the establishment and dissolution of the recurring traumata of the human being in a social context.

1993 präsentierte die Gruppe im Rahmen des auf drei Jahre angelegten, von Graz ausgehenden, aber in den Heimatorten der KünstlerInnen stattgefundenen Projekts KunstHeimatKunst die Installation Transcentrala mit einem schwebenden Zeppelin im Zentrum in einem aufgelassenen E-Werk in Ljubljana.

Diese engen Verbindungen zu den südöstlichen Nachbarländern Österreichs, die auch nach Ende der trigon-Biennalen (1992) aufrecht blieben und nun nicht mehr durch ein Denken in „Kontingenten“ charakterisiert sind (so viele Künstler aus Ex-Jugoslawien, so viele aus Ungarn, Österreich oder Italien), hatten und haben unverkennbaren Einfluss auf meine Lehrtätigkeit an der Grazer Universität im Fach Neueste Kunstgeschichte. Um welches Thema es sich auch handeln mochte, immer wieder war und ist ein Fokus bei der Arbeit mit den Studierenden auf die eine oder andere Position auf der Landkarte Osteuropas gerichtet.

Die Einladung, am East Art Map University Network mitzuwirken, hat während 2 Semestern die Planung der Lehrveranstaltungen auf dieses Thema ausgerichtet. Im Unterschied zu anderen Annäherungen an das Projekt haben wir bei unseren Seminaren quasi bei Null begonnen. Das heißt, dass die größte Anzahl der Studierenden erstmals ausführlich mit dieser Kunst- und Kulturlandschaft in Berührung kam. Am Grazer Institut war bis dahin niemand, der sich explizit diesem Forschungsgebiet gewidmet hatte, sodass außerhalb der Ausstellungstätigkeit und den damit in Zusammenhang stehenden Texten bzw. der Publikation Identität: Differenz. Tribüne Trigon, 1940-1990. Eine Topografie der Moderne (Hg. Peter Weibel / Christa Steinle), 1992, keine Grundlagen vorhanden waren. Stand bei der Veranstaltung East Art Map 1 im Mittelpunkt, einen exemplarischen Überblick zu schaffen, von Slowenien, Kroatien, Serbien bis hin zu Polen, Rumänien, Bulgarien, Tschechien, der Slowakei und Russland, konzentrierte sich East Art Map 2 auf künstlerische Situationen in Russland. Zu diesem Zeitpunkt war das Netzwerk bereits dichter geknüpft und in erster Linie durch die Unterstützung von IRWIN und Marina Grzinic gelang es, Ekaterina Degot unmittelbar in die Lehrveranstaltung mit einzubeziehen. Im Kontakt mit der russischen Kollegin wurden die Themen ausführlich strukturiert und auf die Bewegungen SozArt sowie Konzeptualismus konzentriert. Ekaterina konnte auch gewonnen werden, als Gast drei Tage im Seminar anwesend zu sein und nach einer Einführung den Studierenden für konkrete Fragen zu den Themen und den dabei eingenommenen künstlerischen Positionen zur Verfügung zu stehen. Die in diesen ausführlichen Gesprächen, an denen auch IRWIN und Marina an einem Nachmittag teilnahmen, gemachten Erfahrungen inspirierten die TeilnehmerInnen derart, dass gute und in zwei Fällen – mit den hier anwesenden ReferentInnen Mirjana Peitler und Roman Grabner – herausragende Ergebnisse die Folge waren.

Dennoch gilt es festzuhalten, dass wir in Übereinstimmung mit dem ursprünglichen Konzept speziell ausgewählte Studierende mit einem neuen Thema im Rahmen ihrer Ausbildung konfrontierten und nicht auf eine vorhandene Forschungsbasis zurückgreifen wollten und konnten. Dass die intensive Beschäftigung mit East Art Map, unter Einbeziehung gesellschaftlicher und politischer Voraussetzungen, bereits Spuren hinterlassen hat, zeigt sich daran, dass eine neue, bereits abgeschlossene Diplomarbeit mit dem Thema „Die Kunstszene der 1990-er Jahre in Belgrad“ und eine unter dem Titel „Sarajewo-Kunst“ konzipierte entstanden ist bzw. entstehen wird.

Darüber hinaus ist Graz als Netzknoten für die Mittel- und Südosteuropäische Kunst durchaus weiter ausbaufähig, wozu dieses Projekt einen neuen Anstoß gegeben hat.

ABBILDUNG: Ulrike Fenz-Kortschak
FOTO: ARCHIV FENZ-KORTSCHAK
ORIGINAL-MANUSKRIPT: ARCHIV FENZ-KORTSCHAK

 

References
1 Symposium Leipzig  13. – 16. Oktober 2005
2 Der Vortrag wurde unter diesem Titel beim Symposium in englischer Sprache gehalten und publziert in: Mind the map! History is not givven. A critical anthology based on the Symposium. Edited by Marina Gržinić, Günther Heeg und Veronika Darian, Frankfurt am Main, Revolver 2006,  S. 151 – 152