Die Steiermark im 20. Jahrhundert: Kunst zwischen 1938 und 1999 Teil 4 + 5

Die Steiermark im 20. Jahrhundert: Kunst zwischen 1938 und 1999

28,15,0,50,1
600,600,0,0,5000,1000,25,2000
90,300,0,50,12,25,50,1,70,12,1,50,1,0,1,5000
1997
G.R.A.M., Paparazzi (Angelyne)
1984
Alfred Klinkan, Santè, Die Drei Wittgensteins
1984
Hubert Schmalix, Canayun
1986
Hannes Priesch, Wir gehen jung durch das Tal des Kupfers
1986-87
Ferdinand Penker, Ohne Titel
1967
Peter Pongratz, Doppelporträt
1985
Erwin Wurm, Kleine rote Figur
1990-1991
Erwin Wurm, O.T.
Landesstraße L444, Dietersdorf-Loipersdorf 1991–1993
Michael Schuster, RAZZLE DAZZLE
1. Standort 1992-1994
Hartmut Skerbisch, Lichtschwert
Gleisdorf 1994/1998
Hartmut Skerbisch, Solarbaum
1990
Jörg Schlick, Löschdecke
1990
Gustav Troger, Collective Invention
1994
Werner Reiterer, Susi & Jim
1992
Michael Kienzer, O. T.
Universität Graz, Institutsgebäude Merangasse, Stiegenhaus 1994
Manfred Erjautz, Michael Kienzer, Korsage/Patchwork, Detail
1998
Edda Strobl, Fad – Fucks And Drugs
1996
INTRO-GRAZ-SPECTION, Guten Abend am Samstag, Ein Fest für Heinz Conrads
Eva & Co, Heft 18,1990
Veronika Dreier, Eva Ursprung, „drive“
1996
Günter Brus. Blitzartige Einfälle in vorgegebene Ideen: Bild-Imprimaturen und Trivialeums-Überzeichnungen
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4 Die achtziger Jahre: „Hunger nach Bildern“

Alfred Klinkan, Santè, Die Drei Wittgensteins 1984

Alfred Klinkan, Santè, Die Drei Wittgensteins 1984

Von offizieller Seite, vertreten durch den langjährigen Leiter der Neuen Galerie Wilfried Skreiner (1966-1992), setzte in der Steiermark in den 80er Jahren die Vertretung eines Absolutheitsanspruchs künstlerische Gestaltungsmuster betreffend ein: der „Neuen Malerei“ wurde der Boden für ihren zeitlich begrenzten „Siegeszug“ bereitet. Nach einer Dekade angeblich „unsinnlich-konzeptueller und blass gesellschaftspolitisch ausgerichteter Kunst, die am Versuch, Kunst und Leben zusammenzuführen scheitern musste“, trat in Österreich eine Generation junger Künstler in Erscheinung, die sich kompromisslos der Malerei verschrieben hatten. Mit Herbert Brandl (*1959 in Graz), Hubert Schmalix (*1952 in Graz), Alois Mosbacher (*1954 in Strallegg) Josef Kern (*1953 in Schiefer), Erwin Bohatsch (*1951 in Mürzzuschlag) oder Alfred Klinkan (*1950 in Judenburg, +1994 in Freising.) waren sechs steirischer Maler in der „Kerntruppe“, der auch noch der Oberösterreicher Siegfried Anzinger angehörte, vertreten. Deutlich später stießen noch Hannes Priesch (*1954 in Eggersdorf), Wolfgang Wiedner (*1953 in Feldbach) und Martin Kaltner (*1961 in Bruck/Mur) dazu. In einer Reihe von Gruppen- und Personalausstellungen in der Neuen Galerie wurden immer wieder Werke dieser Künstler präsentiert und in Katalogtexten die „Wende“ und die damit verbundene Ablöse der Kunst der 70er Jahre geradezu zelebriert. Ein in der Präsenz perfektes Veröffentlichungssystem und eine intensive Zusammenarbeit mit führenden Wiener Galerien führten dazu, dass die „Neuen Maler“ rasch bekannt und auch vom Publikum positiv rezipiert wurden.

Die in Graz neu eröffnete Galerie Bleich-Rossi schloss sich in ihrem Programm ebenfalls dieser „Malerei-Welle“ an und sorgte durch intensive und seriöse Aufbauarbeit zusätzlich zum Zentrum Wien, in das die wichtigsten Künstler rasch abwanderten, für einen beachtenswerten kommerziellen Erfolg. Skreiner verstand es, sich mit großem Geschick kurz nach dem Erscheinen dieser Künstler auf der Bildfläche international bedeutende Verbündete zu suchen. Die wichtigsten waren der damalige italienische „Kunstpapst“ Achille Bonito Oliva, der als streitbarer Geburtshelfer der Transavanguardia-Bewegung seines Landes fungierte und der Leiter des Rheinischen Landesmuseums Bonn Klaus Honnef. Beide Kritiker und Ausstellungsmacher waren über lange Jahre Mitglieder des „trigon“-Rates, der für die Konzeption der steirischen Biennalen verantwortlich war. Durch diese Verbindungen gelang es auch, diese österreichische Malerei im benachbarten Ausland zu platzieren, wo mit Lorand Hegyi, dem Budapester Kunsthistoriker, bald ein weiterer Mitstreiter gefunden werden konnte. Vor allem mit Ungarn setzte auch außerhalb von „trigon“ ein reger künstlerischer Austausch ein.

Hubert Schmalix, Canayun 1984

Hubert Schmalix, Canayun 1984

Am Beispiel von Hubert Schmalix und Alois Mosbacher soll aufgezeigt werden, welch stupendes Können im malerischen Bereich die genannten Künstler an den Tag legten. Ein unmittelbarer Zugang zu Farbe und Form auf dem durch die Leinwand definierten Bildfeld sorgte für verblüffende malerische Entwürfe von Kunstwirklichkeiten. In Übereinstimmung mit wesentlichen inhaltlichen und theoretischen Positionen der Postmoderne entwickelte sich in rascher Abfolge ein beachtliches Oeuvre, das vom Stillleben bis zur Landschaft reichte, bei Schmalix in besonderem Ausmaß den weiblichen Akt und die Stadtarchitektur mit einschloss. Die ungezügelte Leidenschaft am Malakt, die die meisten der „Neuen Wilden“ wieder gepackt hatte und die sie zum Teil mit verfremdeten mythologischen Erlebniswelten in Einklang brachten, mündete bei Schmalix gegen Ende der 80er Jahre in eine sogenannte Formdisziplinierung. Im Werk des wahrscheinlich bedeutendsten Künstlers aus der „Kerntruppe“ dieser mit der Steiermark zwar über den Repräsentationsmechanismus der Ausstellungen, nicht aber als tiefgreifende Spurensetzung verknüpften malerischen Bewegung lassen sich ebenso überraschende wie überlegte Entwicklungsschritte ablesen. Die Entscheidung, aus dem expressiven Malvorgang auszubrechen und dabei gleichzeitig über eine forcierte flächige Struktur die Oberflächenerscheinungen zu ordnen und zu beruhigen, lässt sich deutlich in den Porträts, den Architekturbildern und den „sachlichen“ Christusdarstellungen, die Schmalix auch in den plastischen Raum führen, ablesen.

Hannes Priesch, Wir gehen jung durch das Tal des Kupfers 1986

Hannes Priesch, Wir gehen jung durch das Tal des Kupfers 1986

Auch wenn vordergründig manche Übereinstimmungen mit der „Neuen Malerei“ diagnostiziert werden könnten, steht beispielsweise Hannes Priesch bestenfalls am Rand dieser Entwicklungen. Seine Malerei ist vergleichsweise sowohl distanzierter als auch authentischer. Im Negieren eines engen stilistischen Konzepts dringt Priesch tief in ein selbstbezügliches künstlerisches Handeln ein, das keine spontan dosierten Formalakte kennt, sondern bei genauerem Hinsehen mit den Traditionen der Malerei ebenso bricht wie er deren praktizierte Gegenwart leugnet. Die Malerei wird mit Lebensrhythmus und Lebenssinn verknüpft und zu einem jederzeit austauschbaren Medium, wenn sich bestimmte Konstanten im Blick auf die persönlich reflektierte Welt ändern. Auf die einzelnen Werke und Entwicklungsschritte der „Neuen Malerei“ wird deshalb nicht ausführlicher eingegangen, weil diese im Unterschied zu den in diesem Beitrag behandelten Positionen aus den 60er und 70er Jahren wesentlich ausführlicher in Publikationen dokumentiert und in einigen Fällen auch kritisch kommentiert sind.1 Siehe dazu Ausstellungskataloge der Neuen Galerie Graz oder der Galerie Krinzinger Wien

Dazu kommt, dass bei einer kritischen Beurteilung der „Neuen Malerei“ festzustellen ist, dass diese, wie bereits kurz erwähnt, zwar auf der rezeptorischen Ebene in einem hohen Ausmaß mit der steirischen Kunstszene verknüpft ist, jedoch nicht wirklich in der Lage war, die Entwicklung der Kunst in diesem Land tiefgreifend und nachhaltig zu beeinflussen. Das mag zwar auch am raschen Wechsel des Arbeitsplatzes – von Graz nach Wien – liegen, kann aber mit dieser „Auslagerung der Produktion“ allein nicht argumentiert werden. Vielmehr haben sich längerfristige Traditionen und Erneuerungen mit Eigen-Sinn, auch wenn diese lange Zeit nicht in den offiziellen Programmen vertreten waren, auf die Dauer als spezifische Kunsthaltungen aus der steirischen Peripherie heraus erwiesen. An dieser Entwicklung, die steirische Maler in einem Ausmaß ins nationale und internationale Rampenlicht rückte, wie es bisher noch nicht der Fall war, ist das Verhalten einer öffentlichen Institution tatsächlich bemerkens- und bedenkenswert. Die Neue Galerie hat einerseits in der ihr aufgetragenen Vermittlungsfunktion einer sich ständig weiterentwickelnden konzeptuellen, medialen und gesellschaftspolitischen Tradition aus den 70er Jahren den Ort der Präsentation entzogen, die damit objektiv ablesbaren Entwicklungsschritte negiert und das Scheitern der künstlerischen Bemühungen als Einleitung zur Beschreibung der neuen Situation immer wieder proklamiert. Und zweitens wurden auch die Verknüpfungen zu vorangegangenen und parallel laufenden malerischen Strömungen – also die unmittelbaren Referenzpunkte eines weiterreichenden Diskurses – nicht nur nicht kritisch hinterfragt, sondern einfach negiert.

Ferdinand Penker, Ohne Titel 1986-87

Ferdinand Penker, Ohne Titel 1986-87

Maler wie Fritz Panzer (*1945 in Judenburg) oder Hartmut Urban (*1941 in Klagenfurt, +1997 in Graz) haben auch zum Zeitpunkt der „Neuen Malerei“ und zuvor in den „unsinnlichen“ 70er Jahren wesentliche Positionen in ihrem künstlerischen Metier vertreten. Urban setzte sich, übrigens ebenso wie Ferdinand Penker (*1950 in Klagenfurt) – er tauchte von Zeit zu Zeit in Gruppenausstellungen wie „Neue Kunst aus Österreich“ auf – , einige Jahre mit Architekturmotiven auseinander, um sich später immer wieder auf dynamische Oberflächenstrukturen einzulassen, die zu Materialbildern führten. In einigen Werkgruppen experimentierte er gern mit vorgefundenen Materialien (New-York-Serie von 1981), die er übermalte und ebenso wie reliefartige Landschaftsmotive in einen ordnenden Raster zwang. Darüber hinaus beschäftigte sich Urban häufig mit Literatur, vornehmlich mit der seines Freundes Alfred Kolleritsch, zu der in freier Assoziation, nicht als Illustration, Bilder entstanden.

Peter Pongratz, Doppelporträt 1967

Peter Pongratz, Doppelporträt 1967

Auch die „Wirklichkeiten“ (erste Ausstellung 1968 in der Wiener Secession), eine von Otto Breicha begleitete Gruppierung, mit den Steirern Wolfgang Herzig, Kurt Kocherscheidt, Robert Zeppel-Sperl und dem in Graz groß gewordenen Peter Pongratz waren kein Anlass, eine theoretisch fundierte Verknüpfung mit der neuen malerischen Bewegung herzustellen. Mit Günter Brus (*1938 in Ardning), der im Anschluss an den Wiener Aktionismus sich am Beginn der 70er Jahre der schriftstellerischen Tätigkeit zuwandte und immer stärker das Wort in die bildnerische Darstellung einzubinden begann und dabei einzigartige Bildgedichte und Bildzeichen hervorbrachte, wurde der neben Richard Kriesche wohl international renommierteste steirische Künstler ebenso wie dieser beharrlich aus dem Ausstellungsprogramm ausgeklammert und seine Werke nicht in die Sammlung der Neuen Galerie aufgenommen. Auf der Einbahnstraße der „Neuen Malerei“ feierten steirische Künstler, isoliert vom übrigen Kunstgeschehen, in kurzer und für kurze Zeit beachtliche Erfolge. Subjektiv und innerhalb eines knappen Zeitraums gaben diese Skreiner recht. Sein „Hunger nach Bildern“ machte es schwer, divergierende und weniger einseitige Standpunkte in die Programmstruktur des Museums einfließen zu lassen. Engagierte Kuratoren realisierten  daher außerhalb des institutionellen Rahmens gemeinsam mit Künstlern und Künstlerinnen, die sich ebenfalls diesem Diktat nicht fügen wollten und konnten, zahlreiche Projekte. Diese Aktivitäten sollten  – über die eigenen Überzeugung hinaus – unter diesen Umständen zweifellos weniger massive, aber bewusste Signale setzen, dass der einseitige Diskurs nicht ein allgemein akzeptierter war.

5 Die neunziger Jahre: Neue Orientierungen

Erwin Wurm, Kleine rote Figur 1985

Im Anschluss an die „Neue Malerei“ entstand  auch der wohl nur in Österreich existierende, von Graz aus lancierte, Begriff der „Neuen Skulptur“. Mit ihm begann aber bereits in der Mitte der Dekade die Einheit einer hektisch aufgebauten künstlerischen Bewegung auseinanderzubrechen. Für diese Feststellung ist in erster Linie die Arbeitsweise von Erwin Wurm (*1954 in Bruck/Mur) ein sichtbarer Beleg. Schon in seiner „Figur“ , die noch die Spuren eines begrifflichen Konstruktes zeigt, das die Verbindung zwischen Malerei und Plastik in das Zentrum der Gestaltung rücken sollte, zeigen sich in der Verwendung von Realitätsfragmenten – Töpfe, Eimer, Röhren, die aus den Sammelstellen von abgelegten Verbrauchsgütern stammten – Materialisationen von Ideen, die außerhalb der Darstellung von imaginierten eigenen Erfahrungsinhalten lagen. Der Bezug zur malerischen und bildnerischen Tradition der Vergangenheit, der die Erkenntnisse der Moderne übersprang oder negierte, um aus einer neu aktivierten inneren Vorstellungswelt der vorhandenen und sichtbaren Wirklichkeit eine subjektive Gegenwirklichkeit als ästhetische Fiktion gegenüberzustellen, löste sich, mit großen Schritten auf eine neue Diskursqualität zusteuernd, als Relikt einer kurzen Vergangenheit auf.

Erwin Wurm, O.T. 1990-1991

Erwin Wurm, O.T. 1990-1991

Erwin Wurm schloss an seine ersten unspektakulären Gestaltungen mit vorgefundenen Gegenständen und deren Anordnung unter bestimmten Lichtverhältnissen, in Form einer Projektion des Realen auf den Bildschirm der Wand, auf der sich die unterschiedlichen Realitätsebenen gegenüberstehen an. Er beschäftigte sich mit einer konsequenten Materialreduktion, interpretierte sowohl die Skulptur als auch den Raum als Begriffe neu, bezog die Aktion als skulpturalen Prozess in seine Arbeit ein und setzte sich mit konzeptuell begründeter Anwesenheit oder Abwesenheit von Masse und Materie auseinander, koppelte das Volumen des dreidimensionalen Gestaltungsvorgangs an die zivilisatorische Haut des Menschen in Form von Bekleidungsstücken. Zu den interessantesten Arbeiten der Zeit ab 1990 zählen seine Pullover-Faltungen, die Vitrinen mit Staubspuren, die ein einmal vorhandenes Objekt repräsentieren sowie Videoarbeiten, die Stillstand und Bewegung (des menschlichen Gesichts) thematisierten. Wie Wurm lebt auch eine Reihe jüngerer steirischer Künstlerinnen und Künstler in Wien.

Eine spartanisch ausgebildete Infrastruktur in den Bereichen Ausbildung und Kunstmarkt beschleunigt den Auszug aus Graz in immer rascherem Tempo. Die fehlende Akademie/Hochschule für bildende Kunst, die von der „Kunstgewerbeschule“ klarerweise nicht ersetzt werden kann, ist ebenso symptomatisch für kulturpolitische Defizite wie die nach mehr als zehn Jahren endlose Debatte um ein „Kunsthaus“, das zuerst im Pfauengarten am Rande des Stadtparks und zuletzt im und am Schloßberg – jeweils nach durchgeführten Wettbewerben mit Siegerprojekten – hätte realisiert werden sollen.21988 Tschapeller/Schöffauer/Schrom aus Wien, 1998 Weber &Co aus Zürich Halbherzige Begründungen und der fehlende Mut zur Entscheidung haben bisher die beiden baureifen Pläne verhindert. Dem gegenüber stehen die schon erwähnten Künstler-Initiativen sowie der 1986 gegründete Grazer Kunstverein, die im selben Jahr am Standort Gleisdorfergasse eröffnete Galerie Lendl, die seit 1992 bestehende Galerie Schafschetzy-Studio, der seit 1994 existierende Raum für Kunst in der Peinlichgasse (heute Griesgasse), das „Artelier“ mit seiner international beachteten Druckgrafik- und Multipleproduktion und, als einziger Neubau für zeitgenössische bildende Kunst, das Kunsthaus Mürzzuschlag,3Ein Bau des Architekten Konrad Frey für Landesausstellung 1994 Sport und Wahn. die ESC in der Plüddemanngasse (heute Jakoministraße), die dennoch eine Reihe von Präsentations- und Aktionsmöglichkeiten bieten. Die unterschiedlichen Programme versuchen Ausschnitte aus österreichischen und internationalen Kunstproduktionen und ebensolchen künstlerischen Ansätzen vorzustellen und teilweise mit Vermittlungsangeboten anzureichern. Eine Sonderstellung nimmt dabei das „Museum der Wahrnehmung“ (gegründet 1990), das sich nach Anfängen in einem kleinen Container-Dorf im Stadtpark ab Herbst 1996 im ehemaligen „Tröpferlbad“ im Augarten etablieren konnte, ein. Sein Thema ist „Wahrnehmung als ein gemeinsames wie auch konstitutives Element der künstlerischen und wissenschaftlichen, aber auch der alltäglichen Auseinandersetzung mit der Welt“4Werner Wolf, MUWA. Das Museum der Wahrnehmung, in: Styrian Window, op. cit., S. 313

Die jungen KünstlerInnen treten in Verbindung mit den genannten Orten oder auch sporadisch im Kulturhaus der Stadt Graz, das im Wesentlichen den Klassikern der Moderne und der Zeit nach 1945 vorbehalten ist und sich eine Zeit lang ausführlich der Fotografie gewidmet hat, an die Öffentlichkeit. Die wenigen in Graz oder in der Umgebung sesshaft gewordenen Künstler einer mittleren und jüngeren Generation wirken von hier aus dennoch mit kontinuierlicher Arbeit und lassen immer wieder mit qualitätsvollen Projekten aufhorchen.

Michael Schuster, RAZZLE DAZZLE, Landesstraße L444, Dietersdorf-Loipersdorf 1991 – 1993

Michael Schuster, RAZZLE DAZZLE,
Landesstraße L444, Dietersdorf-Loipersdorf 1991–1993

Neben den schon erwähnten Persönlichkeiten, die Kunst mit einem „realen Sinn“ ausstatten und aus dem Umkreis des bVÖST, der Werkstadt oder der Kulturinitiative stammen, müssen mit Michael Schuster und Hartmut Skerbisch (*1945 in Ramsau/Dachstein) zwei genannt werden, die seit vielen Jahren eigenständige Positionen bezogen haben. Schuster, dessen Position im Kontext zur medienreflexiven Fotografie bereits beschrieben wurde, stellt aus diesen künstlerischen Ansätzen heraus auch ein wichtiges Verbindungsglied zur konzeptuellen Kunst und zur Kunst im öffentlichen Raum dar. Hier hat er besonders mit seiner Arbeit „Razzle Dazzle“ (1991-93) einen wichtigen Beitrag zu einer eigenständigen Sprachform geliefert. Die 15 „Radarkästen“ mit bunter Bemalung, die an der Landesstraße 444 im Abschnitt Dietersdorf – Loipersdorf aufgestellt wurden, beziehen sich auf Schein und Wirklichkeit und damit auch auf die Fotografie als „Falle“. Die auffälligen Farbmuster auf den alltäglichen Überwachungsinstrumenten nachgebildeten „Skulpturen“ scheinen dem Sinn der Tarnung zu widersprechen. Sie beziehen sich auf eine Praxis der englischen Marine aus dem Ersten Weltkrieg, die ihre Kriegsschiffe so bemalten, um deren wahre Konturen und Formen zu verschleiern und damit die feindlichen Schützen zu irritieren. „Diese paradox klingende Strategie folgte einer stringenten Logik, die das Täuschen nicht als bloße Anpassung oder als passives Verschwinden, sondern als weithin sichtbares Widersprechen formuliert“5Rainer Fuchs, Anschauen heißt betrachtet werden. Anmerkungen zu einigen Arbeiten von Michael Schuster, in: Michael Schuster, Ausstellungskatalog, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig; Wien und Neue Galerie, Graz, 1993, S. 30 Thema der Installation ist mit Blick auf die alltägliche fotografische Praxis die Nachbildung und farbige Gestaltung eines Kameragehäuses. Dieses dient hier in seiner typischen Form als „Waffe“, um durch den Authentizitätsanspruch des Licht-Bildes Temposünder zu entlarven. Schuster tarnt im Gegensatz zum historischen Vorbild nicht mehr die Angriffsziele, sondern das „Geschütz“. Die bunte Be-Zeichnung eines Überwachungsinstruments, das in der Wirklichkeit dezent in den Hintergrund rückt, scheint ein spielerischer Widerspruch zu sein. Tatsächlich hebt sich im medienreflexiven Kunstobjekt der Widerspruch auf bzw. wird zum Anstoß, über begriffliche Definitionen – ausgeweitet auf das Medium Fotografie – nachzudenken.

Hartmut Skerbisch, Lichtschwert, 1. Standort 1992-1994

Hartmut Skerbisch, Lichtschwert, 1. Standort 1992-1994

Die Kunst von Hartmut Skerbisch ist den meisten Grazern durch sein „Lichtschwert“ vor der Oper bekannt. Als ein zunächst viel umstrittenes Objekt  erhebt sich die im Maßstab 1:1 der New Yorker Freiheitsstatue nachgebildete Skulptur weit über die Stadtkrone. Anlass für die Entstehung war das „steirische herbst“-Thema „America Nowhere“ im Jahr 1992. Die weibliche Figur – Repräsentantin des damaligen wie auch des heutigen amerikanischen Selbstverständnisses und der demokratischer Verfassung – ist sowohl vom Habitus als auch von ihrem bestimmenden Attribut, der Fackel, her verändert. Skerbisch bezieht sich nicht auf die äußere Erscheinung, die der Bildhauer Frédéric- Auguste Bartholdi der Skulptur verliehen hatte, sondern auf die versteckte Konstruktion Gustave Eiffels, die eine Verwirklichung des Wahrzeichens ermöglicht hatte: Er präsentiert das historische Grundgerüst als Verweis auf die Doppeldeutigkeit von innerer Struktur und äußerem Schein. In Anlehnung an den „Amerika“-Roman von Franz Kafka und der darin enthaltenen Beschreibung6Franz Kafka, Amerika. Roman, z.B. Ausgabe Frankfurt/Main, Suhrkamp, 1997 hält die Grazer Statue in ihrer hochgestreckten Rechten ein Schwert, das der Figur auch den Titel gegeben hat. Indem Skerbisch das „innere Bild“, die verborgene Struktur zum Thema seiner Skulptur macht, verweist er auf die bestimmenden unterschiedlichen Realitätsebenen, die unsere Wahrnehmung gerade heute in hohem Ausmaß beeinflussen.

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Hartmut Skerbisch, Solarbaum, Gleisdorf 1994/1998

Mit dem 1998 fertiggestellten „Solarbaum“ in Gleisdorf geht eine weitere wichtige Großskulptur auf das Konto der Kunst von Hartmut Skerbisch. Es wäre falsch, ihn aufgrund dieser beiden Beispiele als Monumentalbildhauer zu bezeichnen. Schon seit den 70er Jahren, in denen er bereits eine der bestimmenden Persönlichkeiten in der Grazer Kunstszene war, sucht er in der Sprache nach skulpturalen Bauelementen. Er setzte sich mit jenen Texten auseinander (z.B. Robert Musil, James Joyce), die in ihren Sachverhaltsdarstellungen den Raum und den Körper wesentlich mit einbeziehen. An konzeptuellen und/oder elektronischen Bild- und Raumarbeiten dieser Zeit lässt sich diese Methode bereits nachweisen. So ist „Reden blattartig“ (1976) ein „Stück für Ausstellungsbesucher“. Der Blick auf die lebensgroße Fotografie einer Person (des Künstlers) soll auf den Betrachter des Bildvorgangs übertragen werden: „das Stück setzt ein, wenn der Betrachter den Ausschnitt des atmenden Brustkorbs auf dem Monitor auf den eigenen Atemrhythmus zu beziehen beginnt“.7Hartmut Skerbisch, reden blattartig, in: Hartmut Skerbisch. Werkeauswahl 1969-1994, Ausstellungskatalog, Neue Galerie, Graz, 1994, S. 11

Jörg Schlick, Löschdecke 1990

Jörg Schlick, Löschdecke 1990

Mit der umtriebigen Kunstfigur Jörg Schlick (*1951 in Graz), Autodidakt und als solcher sowohl als Maler, Grafiker, Konzept- und Multi-Media-Künstler tätig, orientiert sich das Referat für bildende Kunst im Forum Stadtpark, das er von 1986-1991 leitet, neu. Schlick setzt wieder vermehrt auf internationale Kontakte, wirft die Vereinsstruktur weitgehend über Bord und führt das Haus in einer professionellen Kuratorenschaft. Er knüpft enge Verbindungen nach Deutschland – hier vor allem in den wichtigen Kunstraum Köln – und bildet mit Albert Oehlen, Martin Kippenberger, Werner Büttner und auch Günther Förg eine Kerngruppe aus, die in ständigem Austausch mit dem Forum steht und Schlick und seinen Freunden wichtige Auftritte im Ausland verschafft. Aus seiner engen Beziehung zu Wolfgang Bauer entsteht als ein in dieser Sicht typisches Ergebnis für das gesellschaftliche Selbstverständnis und die Kunstszene im allgemeinen die „Lord Jim Loge“ (1984). Als Ausdruck einer „Künstler-Mafia“ lautet ihr Motto: „Keiner hilft keinem“. Schlick, der meist die Konsum- und Warenwelt ironisiert und karikiert, hat sich seit 1996 wichtige Verdienste um die grafische Linie und die Öffentlichkeitsarbeit des „steirischen herbst“ erworben.

Eine interessante Wandlung ist bei dem in die USA ausgewanderte Gustav Troger (*1951 in Kohlschwarz) nachzuvollziehen. Er, der als Portal- und Kunstschlosser ausgebildet wurde, kam über die Malerei zur plastischen Gestaltung. Die ab 1980 entstehenden „Bildsäcke“ markieren einen entscheidenden Einschnitt seinem Werk. Mit Zeitungspapier gefüllte längliche Leinensäcke wurden im „Wald“,  bunt bemalt und als Rauminstallation angeordnet. 1985 fügte Troger in der Arbeit „Vincent ist ausgegangen“ verschieden große und starke Säcke zu Gegenständen zusammen, die in Summe ein in den Proportionen expressiv verschobenes Interieur ergeben konnten. In den 80er Jahren gehörte Troger dem erweiterten Umkreis der „Neuen Malerei“ und „Neuen Skulptur“ an, wollte sich von diesen Bestrebungen aber nicht vereinnahmen lassen.

Gustav Troger, Collective Invention 1990

Gustav Troger, Collective Invention 1990

So wandte er sich dazwischen immer wieder der elementaren skulpturalen Arbeit zu und erhielt einige Aufträge zur Ausgestaltung sakraler Räume wie der Stiegenkirche oder Herz-Jesu-Kirche in Graz. Der Altar war dabei sein bevorzugtes Motiv. Die anfänglich lapidare Schichtung einfacher Metallelemente, die ihre Form aus Gesteinsformationen bezogen, wurde später durch die Methode der Perforierung ersetzt. Diesem Prozess unterzog er nicht nur den Altartisch, sondern im Kunstraum in „Collective Invention“ von 1990 auch ausgewählte Gegenstände des täglichen Gebrauchs, in erster Linie farbige Behältnisse aus Kunststoff. In den USA entwickelte er weiterreichende konzeptuelle Ansätze. So führte er zum Beispiel einen Rollentausch in sein künstlerisches Werk ein: Er schlüpfte in die Figur des berühmt-berüchtigten Ausbrechers Clarence Anglin, und signierte mit diesem Namen Installationen, die sich auf die Be-Zeichnung eines Sträflingdaseins bezogen. Die typische Häftlingskleidung, die Kugel an der Kette tauchten immer wieder als Gestaltungselemente auf. Troger ist heute sicherlich einer der produktivsten Künstler aus der Steiermark, dessen Werk sich zyklisch entwickelt, keinem erkennbaren „Stil“ verpflichtet ist und von verschiedensten Blickwinkeln aus Malerei und Skulptur als klassische Medien der Kunst auf ihre formale und inhaltliche „Beschaffenheit“ befragt und dabei neue Form- und Bedeutungsverbindungen herstellt.

Stellvertretend für eine heute insgesamt sehr breite Palette der Ausdrucksformen und Zugangsweisen seien die „jungen“ Positionen von Werner Reiterer (*1964 in Graz), Michael Kienzer (*1962 in Steyr), Manfred Erjautz (*1966 in Graz), Edda Strobl (*1962 in Graz) sowie der Künstlergruppe G.R.A.M. (gegründet 1987, Mitglieder Günter Holler-Schuster, Ronald Walter, Armin Ranner, Martin Behr) genannt.

Werner Reiterer, Susi & Jim, 1994

Werner Reiterer, Susi & Jim 1994

Werner Reiterer tritt als Grafiker und konzeptueller Objektkünstler in Erscheinung. In seinen stark reduzierten, zum Teil großformatigen, Holzschnitten und Gummi-„Zeichnungen“ setzt er sich mit der Zeichenhaftigkeit von Gebrauchsobjekten oder Raumsituationen auseinander. Jeweils zu Objektgruppen angeordnet werden Gegenstände durch Hinzufügungen (mit Beton ausgegossene Sessel), durch Isolierung aus ihrem Funktionszusammenhang in einen veränderten Bedeutungszusammenhang gestellt. Reiterer greift nicht die Idee des Ready-Mades von Marcel Duchamp auf, um an dieser weiterzuarbeiten, sondern ist bestrebt, modellhafte Situationen zu schaffen, die über die Gegenstände selbst konkret hinausweisen. So spielen beispielsweise das Öffnen und Verschließen von Räumen oder die verhinderte Durchgangssituation von einem in den anderen Raum den Ausgangspunkt für die gestalterischen Entscheidungen. Stecker, Schalter und Kabel verweisen in auf die Alltagssituation bezogen archetypischer Form auf die Simulation von Kommunikationssystemen.

Michael Kienzer, O. T. 1992

Michael Kienzer, O. T. 1992

Michael Kienzer erarbeitet ungewöhnliche Module, die eine Verbindung von Malerei und Plastik thematisieren. Mehrere Glasscheiben hintereinander geschichtet werden mit einem „gestisch“ aufgetragenen Klebestoff verbunden. Hier entsteht einerseits durch die Transparenz ein Körper, in dem der umgebende Raum eingeschlossen ist, andererseits eine grafisch-malerische Struktur in reduzierter und quasi verweisender Form. Größere Installationen setzen sich immer wieder mit dem Funktionsraum Kunst auseinander. Ob es sich dabei um die quer durch den Präsentationsort gespannte Kordel oder den aus den städtischen Repräsentationsräumen entliehenen Roten Teppich handelt – der Kunstraum wird an seinen auratischen Eckpunkten markiert, indem Kienzer ihn mit Systemelementen des Repräsentativen bestückt.

Manfred Erjautz, Michael Kienzer, Korsage/Patchwork, Detail, Universität Graz, Institutsgebäude Merangasse , Stiegenahaus 1994

Manfred Erjautz, Michael Kienzer, Korsage/Patchwork, Detail, Universität Graz, Institutsgebäude Merangasse, Stiegenhaus 1994

Auch für Manfred Erjautz ist das unprätentiöse Material eines der Elemente seiner vielfältigen Werkgruppen. Neben der Kombination dieser Werkstoffe mit Gebrauchsgegenständen zeichnet sich seine Arbeitsweise vor allem auch durch den Einsatz sprachlicher Relikte aus. Grundlage dafür sind heute gebräuchliche Piktogramme als Beispiele codierter Zeichensysteme. Mit dem Sammeln und Arrangieren dieser Kommunikationsfragmente wird ein buntes sinnliches Informationssystem in verschiedenen Zusammenhängen angeordnet – in Containern, die als Raum im Raum den vorhandenen Ausstellungsraum ausblenden oder auf architektonischen Konstruktionen im öffentlichen Raum wie im Uni-Zentrum Wall.

Die Gruppe G.R.A.M. wendet sich ästhetischen Alltagsphänomenen und deren Herstellungsmechanismen zu. So wird die Umsetzung, zum Teil auch die inhaltliche Formatierung, den in diesen Bereichen arbeitenden Professionalsten übertragen: Malerbetriebe, denen unter anderem auch die Gestaltung von LKW-Planen obliegt, stellen in Luftpinseltechnik Bildwerke der Künstlergruppe her, wobei die Ästhetik einem trivialen Schema folgt, aus dem der Kitsch bewußt nicht ausgeblendet wird. Mit der Arbeit „Paparazzi“ (1997) setzten sich die Künstler auch mit gesellschaftlichen Mechanismen der Bilderjagd auseinander. Dabei stehen Fotos von echten Idolen solchen von beliebigen Personen, die unter dem gewählten Darstellungsmodus und durch den bewussten Einsatz der Unschärfe für Prominente gehalten werden können und müssen, gegenüber.

Edda Strobl, Fad – Fucks And Drugs 1998

Edda Strobl, Fad – Fucks And Drugs 1998

Mit der Erwähnung der Künstlerin Edda Strobl muss auch auf die Gruppe, in deren Umfeld sie arbeitet, kurz eingegangen werden. Es handelt sich um die 1990 entstandene Vereinigung „FOND“, der außerdem Karl Grünling, Karin Heide, Michael Kramer, Helmut Kaplan, Patrik Lube, Ewald und Gudrun Onzek, Michael Pölzl und Winfried Ritsch angehören. Ziel war es, einen Ort der Aktivitäten außerhalb der etablierten Institutionen zu schaffen und als Multiplikator für die verschiedensten Ausdrucksformen zu wirken. Die Gruppe legte dabei weniger Wert auf einen in eine bestimme Richtung laufenden theoretischen Diskurs, sondern zunächst in erster Linie auf Happenings, in denen erst in weiterer Folge das soziale Geschehen der Veranstaltungen – fast legendär wurde dabei die vierzehntägig stattfindende Samstagabend-Schau – mit reflektiert wurde. Edda Strobl trat Mitte der 90er Jahre in erster Linie mit Flyer-Aktionen für die Veranstaltungen hervor, wobei sie konkret alltagsästhetische Elemente in Kunstzeichen verwandelte. Ihre Telefonzellen-Aktion, bei der sie durch das Anbringen von Piktogrammen auf und in den Kommunikationsinseln tatsächliche mögliche Telefonverbindungen annoncierte und damit dem Publikum die Möglichkeit bot, sich in verschiedene themenbezogene Gespräche einzuwählen.

INTRO-GRAZ-SPECTION, Guten Abend am Samstag, Ein Fest für Heinz Conrads 1996

INTRO-GRAZ-SPECTION, Guten Abend am Samstag, Ein Fest für Heinz Conrads 1996

Die 1989 von Christian Marczik, Werner Schwab und Wolfgang Gräber gegründete INTRO GRAZ SPECTION strebte mit Erfolg, wie sich an den folgenden Projekten zeigen sollte, das Durchbrechen der einzelnen Kategorien und das Verknüpfen unterschiedlicher Medien an. Intensiver als in anderen Künstlergruppierungen spielte die Rockmusik mit Georg Altziebler als Leader eine entscheidende Rolle. Für Graz bedeutete diese Richtung einer künstlerischen Ideensuche mit kuratorisch ausgerichteten Realisierungen in dieser Form nicht nur ein Novum, sondern auch das Auffüllen eines seit einiger Zeit bestehenden Defizits. Die Konzeption der Veranstaltungen war nicht auf die Mitglieder (heute Georg Altziebler, Christian Marczik, Herbert Soltys, Edmund Steirer, Hannes Tisch) beschränkt, sie wurde vielmehr auf entsprechende Angebote und Einladungen aus und von der Kunstszene ausgeweitet. Mit Werner Schwab und Gerfried Stocker,8Derzeit Leiter der Ars Electronica in Linz mit Wolfgang Bauer und G.R.A.M., um nur einige bekannte Positionen zu nennen, gestalteten wichtige Künstlerpersönlichkeiten über Spartengrenzen hinaus einzelne Programme, die dazwischen immer wieder in Langzeit-Projekte mündeten. Diese fanden ihre Umsetzung an verschiedensten dezentralen Orten und konzentrieren sich sowohl auf spezielle Kunst- als auch auf allgemeine Lebensräume. Dieser zuletzt genannte Punkt ist für die Struktur der INTRO GRAZ SPECTION und für das „Grazer Klima“ besonders wichtig, weil damit eine Tradition weitergeführt und gleichzeitig mit neuen Inhalten versehen wird. Eine Reihe von lokalen Erkundungen zielt bewußt auf die Nivellierung von E- und U-Kultur sowie auf das aktuelle Thema der Verknüpfung von Peripherie und Zentrum, das im gegenwärtigen Kunstdiskurs einen hohen Stellenwert einnimmt.

Veronika Dreier, Eva Ursprung, „drive“, Eva & Co, Heft 18, 1990

Veronika Dreier, Eva Ursprung, „drive“, Eva & Co, Heft 18, 1990

Nicht mehr aktiv ist „Eva & Co“, die nach zehnjährigem Bestehen 1992 ihren Freitod feierte. Die Künstlerinnen-Gruppe – treibende Kräfte waren von Anfang an Veronika Dreier und Eva Ursprung – entstand durch zufällige Begegnungen und lose Bekanntschaften von künstlerisch aktiven und politisch interessierten Frauen. Verbindend war der Wille, aktiv in das Kunstgeschehen einzugreifen und es zu verändern. Wo sonst mit Scham und Distanz die Worte Feminismus und Emanzipation gebraucht wurden, hat sich „Eva & Co“ explizit dazu deklariert. Mit der Herausgabe der gleichnamigen Publikation erschien 1982 die erste feministische Kulturzeitschrift Europas.

Auch wenn die genannten Aktivitäten, die durch solche von „Rhizom“ (gegründet 1988) und „XX Kunstkabel“ (gegründet 1994 als „Privates Kunstfernsehens“ zur Herstellung einer anderen Fernsehwirklichkeit) zu ergänzen sind, die steirische Kulturlandschaft wesentlich bestimmen, muß die künstlerische Vermittlung immer wieder vor der Tätigkeit des institutionalisierten Museums überprüft werden. Nach dem Ausscheiden von Wilfried Skreiner als deren Leiter Ende 1992 wurde die Führung neu besetzt: Werner Fenz wurde zum Leiter ernannt, Peter Weibel als Chefkurator gewonnen. Schon in der ersten Programmkonzeption wurden die Weichen neu gestellt. An zentraler Stelle der Aktivitäten stand die Aufgabe, neben einer neuen Bewertung der in der Steiermark wirkenden Künstlerpersönlichkeiten die internationale Kunstentwicklung intensiv zu verfolgen und in ausgewählten Ausschnitten im Haus in der Sackstraße, das längst nicht mehr die Möglichkeiten bot, auf einem entsprechenden Ausstattungsstandard zu agieren, vorzustellen. Diese weltoffene Ausrichtung des Programms hatte zur Folge, dass der ehemalige „trigon“-Raum nicht mehr im Zentrum des geografischen und inhaltlichen Rasters stehen konnte. Diese Entscheidung war in erster Linie durch die radikalen politischen Entwicklungen im ehemaligen Jugoslawien und auch in Ungarn naheliegend. Die bestehenden Kontakte konnten nicht mehr als institutionalisierte kulturpolitische Bedingungen gesehen werden. Ihre Nutzung erfolgte auf selektiver Basis. Ein folgerichtiges inhaltliches Anliegen war auch die Darstellung und theoretische Aufarbeitung des international relevanten Mediendiskurses. Zudem wurden mit jährlichen Symposien die Bedingungen, unter denen Kunst entsteht, vermittelt und gesammelt wird, hinterfragt.

Günter Brus. Blitzartige Einfälle in vorgegebene Ideen: Bild-Imprimaturen und Trivialeums-Überzeichnungen 1996

Günter Brus. Blitzartige Einfälle in vorgegebene Ideen: Bild-Imprimaturen und Trivialeums-Überzeichnungen 1996

Die Darstellung wichtiger Positionen für die steirische Kunst sowohl in der jüngeren Vergangenheit als auch in der Gegenwart wichtiger Positionen erfolgte durch die Ausstellungen „Sphären der Kunst“ von Richard Kriesche, „Mal“ von Hartmut Skerbisch und „Bildimprimaturen und Trivialeumsüberzeichnungen“ von Günter Brus. Die Produktion einer CD-ROM (Kriesche) und ausführlicher Werkkataloge lieferten den kunstkritischen Unterbau und dokumentierten die vorher vernachlässigte Bedeutung dieser Künstler in der steirischen und internationalen Kunstgeschichte. Mit Ken Lum, Louise Lawler oder Guillaume Bijl waren „Klassiker“ der Gegenwartskunst in der Neuen Galerie zu Gast, mit Heimo Zobernig, Felix Gonzales-Torres, Sylvie Fleury oder Pipilotti Rist war die jüngere Künstlergeneration mit eigenständigen, speziell für den Ort entwickelten Projekten vertreten.

Die „Internationalen Malerwochen“ wurden in das Programm „Artist in Residence“ umgewandelt, das es den Künstlerinnen und Künstlern ermöglichte, längere in der Stadt zu verbringen, die besonderen Bedingungen der hiesigen Kunstszene kennenzulernen und mit ihr in Kontakt zu treten. Das „Kunstministerium“ in Wien, das die Aktivitäten der Neuen Galerie wesentlich unterstützte und weiterhin unterstützt, folgte einer Idee von Werner Fenz, eine „Österreichische Triennale zur Fotografie“ ins Leben zu rufen und die Veranstaltung nach Graz zu vergeben. Unter den Themen „KRIEG.“ (1993) und „Radikale Bilder“ (1996) wurde im Gegensatz zu internationalen Gepflogenheiten nicht in erster Linie eine selbstreflexive Standortbestimmung des Mediums vorgenommen, sondern jeweils die „Brauchbarkeit“ fotografischer Bilder – vor dem Hintergrund der computergenerierten Bildproduktion – zur Beschreibung der sozialen und gesellschaftlichen Wirklichkeit ausgelotet. Als Pendant dazu befragte Peter Weibel als Kurator in seinem Projekt „Pittura / Immedia“ (1994) die Situation der Malerei im permanent beschleunigten medialen Zeitalter. Zwei große Veranstaltungen, die beide gemeinsam mit dem „steirischen herbst“ realisiert wurden, setzten sich mit dem aktuellen interkulturellen Phänomen auseinander: „KunstHeimatKunst“ (Kurator: Werner Fenz, 1992-94) wurde gegen den Typus und die Struktur von Großausstellungen entwickelt und verstreute unter anderem aus diesem Grund die Schauplätze Spektrum artig über die Welt, von Berlin bis Tokio, von Korsika bis St. Petersburg, um schließlich in einer Zwischenbilanz bzw. in der abschließenden „übersetzten“ Dokumentation im Grazer Künstlerhaus die Ergebnisse am Ausgangsort der Konzeption zu bündeln. Vor dem Hintergrund der Begriffsbildungen Kunstheimat und Heimatkunst wurde Fragen nach einer gegenwärtig veränderten Denk-Geografie gestellt. „Inclusion/Exclusion“ (Kurator: Peter Weibel, 1996) versammelte vor allem KünstlerInnen aus nichtwestlichen Kulturzonen in den Hallen der Firma „Reininghaus“, um in zahlreichen Installationen die Kunstproduktionen einer deutlich erweiterten Kartografie – unter den Bedingungen von Emigration und Migration – vor Augen zu führen.

Auch die Sammlung der Neuen Galerie wurde rasch neu positioniert. Aus Raumnot mussten die Werke aus dem 19. Jahrhundert abgehängt und deponiert werden, um Platz für einen Überblick über die Kunst der 90er Jahre zu schaffen. Das bis Ende 1995 äußerst geringe Ankaufsbudget ließ ein kontinuierliches ernsthaftes Sammeln nicht zu. In einem eigenständigen Modell gelang es, Sammler zu überzeugen, wichtige Werke der Gegenwartskunst der Neuen Galerie als befristete Dauerleihgabe zur Verfügung zu stellen. Dadurch war es möglich, in den Räumen der Neuen Galerie eine international beachtete Dauerausstellung über aktuelle zeitgenössische Kunst einzurichten. Der politischer Wechsel im Kulturressort, das Jahrzehnte lang von der ÖVP dominiert wurde, zur SPÖ im Jahre 1995, führte zu einer seriösen finanziellen Ausstattung des „Museums für die Kunst des 19. Und 20. Jahrhunderts“. So ist es seit kurzer Zeit möglich, Schritt für Schritt ein Sammlungskonzept mit Werken, die im Besitz des Museums sind, zu verwirklichen und größere Ausstellungsprojekte als bisher in Angriff zu nehmen. Mit der konzeptuellen Veränderung der Förderungspreise des Landes für bildende Kunst und Fotografie konnte eine Reihe von arrivierten Künstlerinnen und Künstlern neu motiviert werden, an diesen Veranstaltungen teilzunehmen, um so wirklich qualitätvolle Kunst zu unterstützen und so jeweils den Diskurs über das gegenwärtige künstlerische Potential auf seriöse und überzeugende Art und Weise in Gang zu setzen.

Im Gegensatz zu diesen praktizierten neuen Anfängen ist in der jahrzehntelangen Diskussion um ein neues „Haus für die Gegenwartskunst“ ein Ende nicht abzusehen. Nachdem das Schloßberg-Projekt aufgrund einer angezettelten Volksabstimmung gescheitert ist, stehen nun wiederum neue Bemühungen auf der politischen Tagesordnung, ein solches Haus zu errichten. In der Zwischenzeit gehen die Renovierungsarbeiten im Palais Herberstein in der Sackstraße (unglückliche Heimat der Neuen Galerie) in kleinen Schritten weiter. Es ist zu hoffen, dass im kulturpolitischen Hick-Hack neben einer Sicherung der Arbeitsbedingungen der in Graz verbliebenen Künstler und Kunstinitiativen endlich der Startschuss für den Bau des Neuen Museums fällt und Graz seine Wahl zur Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2003 für die dringend notwendige Aufrüstung der Infrastruktur nützen wird, um den legendären, aber deutlich im Verblassen begriffenen Ruf als „Avantgarde-Stadt“ mit neuen Inhalten auffüllen zu können. Diese inhaltliche Vertiefung kann freilich die Architekturhülle eines Kunsthauses allein nicht leisten. Eine Neuorientierung des Festivals „steirischer herbst“ gehört ebenso dazu wie die politische und finanzielle Stützung der Impulse, die von den unterschiedlichsten Gruppierungen in die Kunstlandschaft Steiermark abgegeben werden. Diese in den letzten Jahren oft trotz widriger Umstände verdichteten Ressourcen führen die Steiermark künstlerisch ins 21. Jahrhundert, in dem der Repräsentationsgestus Kultur kaum mehr überlebensfähig sein wird.

WERNER FENZ, STEIERMARK IM 20. JAHRHUNDERT: KUNST ZWISCHEN 1938 UND 1999, ORIGINALMANUSKRIPT, GRAZ 1999, 77 SEITEN.
DIESER TEXT, DER FÜR DIE PUBLIKATION STEFAN KARNER, DIE STEIERMARK IM 20.JAHRHUNDERT, STYRIA: GRAZ, WIEN KÖLN 2000 VERFASST WURDE, ERSCHIEN DORT NUR IN BRUCHSTÜCKHAFTER UND TEILWEISE DURCH DEN HERAUSGEBER STARK VERÄNDERTER BZW. ERGÄNZTER  FORM OHNE ABSPRACHE MIT DEM AUTOR. HIER LIEGT DIE EINGEREICHTE ORIGINALFASSUNG VON TEIL 3, FOTOGRAFIE UND FOTOGRAFISCHE KONZEPTIONEN, VOR
ABBILDUNGEN: Grazer Kunstverein, Manfred Erjautz, Kulturhaus Graz, Inro-Graz-Spection,  Eva & Co,  NEUE GALERIE AM LANDESMUSEUM JOANNEUM, Triton Verlag Wien, Verlag für Moderne Kunst, Zellermayer Galerie, Kunstverein Hamburg, Museum Oderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, Galerie & Editioon Artelier, Kärntner Landesgalerie, Akademie der bildenden Künste in Wien
FOTOS: ARCHIV FENZ-KORTSCHAK
ORIGINAL-MANUSKRIPT: ARCHIV FENZ-KORTSCHAK
ZUM TEIL 1  DIE AUSSCHALTUNG DER MODERNE 
ZUM TEIL 2 KÜNSTLERISCHE VIELFALT UND ERWEITERUNG DES KUNSTBEGRIFFS
ZUM TEIL 3 FOTOGRAFIE UND FOTOGRAFISCHE KONZEPTIONEN

References
1 Siehe dazu Ausstellungskataloge der Neuen Galerie Graz oder der Galerie Krinzinger Wien
2 1988 Tschapeller/Schöffauer/Schrom aus Wien, 1998 Weber &Co aus Zürich
3 Ein Bau des Architekten Konrad Frey für Landesausstellung 1994 Sport und Wahn.
4 Werner Wolf, MUWA. Das Museum der Wahrnehmung, in: Styrian Window, op. cit., S. 313
5 Rainer Fuchs, Anschauen heißt betrachtet werden. Anmerkungen zu einigen Arbeiten von Michael Schuster, in: Michael Schuster, Ausstellungskatalog, Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig; Wien und Neue Galerie, Graz, 1993, S. 30
6 Franz Kafka, Amerika. Roman, z.B. Ausgabe Frankfurt/Main, Suhrkamp, 1997
7 Hartmut Skerbisch, reden blattartig, in: Hartmut Skerbisch. Werkeauswahl 1969-1994, Ausstellungskatalog, Neue Galerie, Graz, 1994, S. 11
8 Derzeit Leiter der Ars Electronica in Linz