RHIZOM, desde aqui. von hier aus
Ganz nah an der Wirklichkeit ist die Kunst
Am Anfang stand die Zerstörung: Die Mauer vor dem Grazer Augartenkino – auf ihr war seit 1989 eine Mural des nicaraguanischen Künstlers Leonel Cerrato Jiron zu sehen – wurde mitsamt dem Kino abgerissen, um einem Neubau Platz zu machen. Monatelange Diskussionen um die Rettung des Kunstwerks spitzten sich auf die Frage zu, inwieweit der Ewigkeitsanspruch von Kunstwerken im öffentlichen Raum eine fixe Größe ist. Die Behauptung, die Öffentlichkeit habe kein Interesse an der Wandmalerei gehabt, greift aus diesem Grund zu kurz. Argumente und Gegenargumente wechselten einander ab, bis schlussendlich die Entscheidung getroffen wurde, Mural-Fragmente zwar zu archivieren, jedoch die Chance zu ergreifen, einen jungen Künstler / eine junge Künstlerin aus Nicaragua einzuladen, ein aktuelles Projekt im öffentlichen Raum Graz zu verwirklichen.
Das erste Projekt
Ernesto Salmeron war der erste Künstler, der nach Graz gekommen ist. Seine Werkbiografie ließ einen radikalen Ansatz vermuten. In ausführlichen Gesprächen konnte ein – nicht überraschend subjektiver – Einblick vor allem in die politische Situation gewonnen werden. Unterschiedliche künstlerische Aktionen wurden im Kunstteil der steirischen Zeitschrift LICHTUNGEN veröffentlicht und sorgten für Aufsehen. Bei einer konkreten Konzepterstellung für den öffentlichen Raum konnte lange Zeit kein ausreichend schlüssiger Bezug zur Steiermark hergestellt werden. Da dies jedoch eine Voraussetzung für das Arbeitsprofil des Instituts für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark sein musste, gerieten die Gespräche zwischen Salmeron, dem Künstlerverein Rhizom und den Mitarbeiter/innen des Instituts ins Stocken. Plötzlich musste der Künstler dringend nach Nicaragua zurück. Das Versprechen, von dort aus ein Konzept nach den besprochenen, in keiner Weise engen Parametern zu entwickeln, wurde leider nicht eingelöst. Das heißt, besser gesagt, mit deutlich utopischen Vorstellungen einzulösen versucht: Einmal sollte eine Schweinfarm irgendwo in der steirischen Landschaft errichtet werden, das andermal eine Konzerttournee mit einem befreundeten Musiker stattfinden. Beide Vorschläge waren zu den damit verbundenen Bedingungen nicht durchführbar.
Das zweite Projekt
Dem umtriebigen Künstlerkollektiv RHIZOM gelang es nach länger dauernden Schrecksekunden anlässlich des Scheiterns der Projektideen von Ernesto Salmeron, eine neue Kommunikationsschiene herzustellen. Mit der Künstlerin Consuelo Mora Benard und einer sich ständig weiter verzweigenden Schar von Involvierten in Nicaragua und Österreich war die Einigung auf ein neues Konzept möglich. Das auf der Aktionsebene angesiedelte Projekt führte von der Gegenwart in die Vergangenheit und widmete sich wirtschaftlichen wie sozialen Komponenten. Dieser Rückblick deckte unvorstellbare Mechanismen des globalen Neoliberalismus, des ohne Rücksicht auf Verluste ausschließlich gewinnorientierten Wirtschaftskolonialismus auch noch kurz vor der Wende zum neuen Jahrtausend auf.
Die sowohl in Nicaragua als auch in der Steiermark durchgeführten Interventionen bedienten sich künstlerischer Mittel, die in erster Linie dem Anspruch einer gewissen Form von Authentizität gewidmet waren. Im Grazer Augarten-Park war ein vielstimmiger Text-Chor installiert. Von zahlreichen Bäumen konnten die Stimmen der Bananenarbeiter/innen sowohl in Originalsprache als auch in deutscher Übersetzung über Lautsprecher vernommen werden. Was zunächst wie das Summen eines Chors geklungen hat, löste sich im Näherkommen vor jedem Baum als eine jeweils erschütternde Erzählung von Krankheiten und Tod auf. Die von Consuelo Mora Benard und ihrem Künstlerkollegen Roberto Guillén aufgenommenen Audio- und Videoprotokolle konnten auch im öffentlichen Raum des Radios – durch ein Schwerpunktprogramm des Grazer Senders Radio Helsinki – verbreitet werden. Im Frühjahr 2011 wurden an drei Orten in der Provinz Chinandega, in der das Pestizid auf den Bananenplantagen zum Einsatz kam, Aktionen durchgeführt, die sich ausführlich mit der Geschichte auseinandersetzten.
Bemerkenswert an dieser Form von Kunst im öffentlichen Raum ist in erster Linie eine weltweite Aktualität, in die auch die Steiermark involviert ist. Die für den Skandal verantwortliche Firma Dole betreibt eine Trocknungsanlage in der Oststeiermark, Dole-Produkte werden auch von der Handelskette Interspar in der Steiermark vertrieben. So spürt das künstlerische Projekt realen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen nach – mit einer Intensität, die an die Stelle der letztlich immer noch symbolischen Geste etwa realistischer Malerei die konkrete Wirklichkeit setzt. Nicht zum ersten Mal maßt sich Kunst neben der Inszenierung an, vorrangig political correctness auf ihre Fahnen zu heften. Denken wir als eine wichtige Stimme in diesem Handlungsfeld an Hans Haacke, der mehrfach die Praktiken von Firmen und Konzernen genauestens recherchiert und in Bild und Text veröffentlicht hat. Die Nähe und der Bezug zur Wirklichkeit entzaubern die Kunst – hat sie uns jemals nur verzaubert ohne den Blick nicht auch auf die Umgebung des persönlichen Lebens zu richten? – nicht. Vielmehr gelingt es mit einem Projekt dieser Ausrichtung, auf die Stimmkraft der Kunst inmitten der Frohbotschaften der Werbung oder des bis zur Unkenntlichkeit verkümmerten diskreten Charmes der Bourgeoisie und der Politik aufmerksam zu machen.
Manuskript zu: Werner Fenz, Ganz nah an der Wirklichkeit ist die Kunst. IN: RHIZOM, desde aquí. von hier aus, RHIZOM, Graz 2011, S. 78 – 79.
Der Beitrag wurde in gekürzter und überarbeiteter Form auch abgedruckt in: Werner Fenz, Evelyn Kraus, Birgit Kulterer (Hg.), KUnst im öffentlichen RAum Steiermark – Projekte 2011. Wien: Ambra: 2013, S. 53 – 57.
Abbildungen: Rhizom, Institut für Kunst im Öffentlicihen RAum, Universalmuseum JoaNNeum
Fotos: Consuelo Mora Bernard, Roberto Guilém, Marcus Auer
WEBSEITE