Manfred Erjautz, Brunnen
Auf unterschiedlichen, oft einander überschneidenden Ebenen, begleiten Brunnen die Menschheitsgeschichte – zumeist im öffentlichen Raum. Einmal können wir die Entwicklung dieser Wasserspender auf der Funktionsebene und als Ausdruck zivilisatorischen Fortschritts verfolgen, aber ebenso, im Zusammenhang damit als zentralen Kommunikationsort als der Marktplatz noch der Marktplatz und die Piazza noch die Piazza waren. Ganz zu schweigen von den zahlreichen mythologischen oder religiösen, in Bild- oder Textmetaphern ausgedrückten, Begegnungen an Brunnen.
Freilich sind uns allen darüber hinaus repräsentative Bauwerke, wie der Stadtparkbrunnen, der Erzherzog-Johann-Brunnen, um den konkreten Umraum ins Gespräch zu bringen, als Dokumente kulturhistorischer Entscheidungen geläufig.
Nicht zu vergessen, wenn wir im lokalen Rahmen bleiben, die gescheiterten Brunnenprojekte, die in engem Zusammenhang mit den veränderten Sprachformen zeitgenössischer Kunst stehen: Zum Beispiel das Brunnen-Konzept von Erwin Wurm auf dem Schlossbergplatz (inklusive gescheiterter Ersatzlösung am nördlichen Ende der Sackstraße) oder der Duschbrunnen von Michael Kienzer für den Färberplatz. Diese Beispiele sind auch deshalb von Bedeutung, weil sie einer heute aktuelleren Idee als je zuvor entsprungen sind: Dem engagierten, nur bruchstückhaft verwirklichten, unvergessenen Versuch des Grazer Bürgermeisters Erich Edegger, an verschiedenen Orten jeweils einen Platz für Menschen zu schaffen, an dem immer eine zentrale Rolle Brunnen spielen sollten, die allerdings von den Menschen, die sich ein klassisch sprudelndes „Möbel“ erwarteten, in ihrem Misstrauen gegenüber zeitgenössischer Kunst verhindert wurden.
Ein Befund über heutige Brunnengestaltungen zeigt deutlich, dass sich Künstlerinnen und Künstler mit einem teils immer noch „gefürchteten“ Vokabular offensiv auf das Wasser als beispielhaftes und umfassendes Thema konzentrieren. Das heißt, dass der klassische Lebensquell in der Komplexität seiner Bedeutungen im Mittelpunkt der Konzepte steht.
Es soll nicht aus Höflichkeit dem Auftraggeber gegenüber betont werden, wie bedeutend die Initiative ist, hier in diesem Hof eines wichtigen architektonischen und ebenso historischen wie aktuellen geistigen Zentrums nicht nur einen Brunnen (wieder) zu errichten, sondern der zeitgenössischen Kunst eine Chance zu geben, in einen seriösen Dialog mit dem spezifisch konnotierten Ambiente einzutreten.
Manfred Erjautz, der den ausgeschriebenen Wettbewerb für sich entscheiden konnte, steht in seinem international beachteten und verbreiteten künstlerischen Werk für eine konsequente Auseinandersetzung mit Themen, die sich von der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht abkoppeln, die nicht auf das Kreieren einer Kunstmarke abzielen, sondern unter neuen Vorzeichen Fragen und Antworten formulieren. Die daraus entstandenen Ergebnisse überraschen in erster Linie durch ihre unkonventionellen Wahrnehmungsparameter, auf denen jede Art von Standardisierung gebrochen wird oder Teile dieses visuellen Repertoires auf einem gegenüber den eingeübten Erfahrungen veränderten Erlebnishorizont angesiedelt sind. Damit fordert das Erscheinen von Objekten und Installationen zu einer Schärfung des Blicks auf die Form und die Bedeutung des materiellen Gegenstands – nicht nur den der Kunst – auf. Das Publikum ist dabei nicht einem theoretischen und intellektuellen Trockentraining ausgesetzt, sondern taucht in die forcierte Sinnlichkeit einer Gestaltwelt ein.
Für seinen aktuellen Brunnen setzt Erjautz den thematischen Grundgedanken, den er mit „Das Erforschen der Dauer“ beschreibt, in einer auffälligen und pointierten Gestaltung um. Sie kann mit einem dialektischen Prinzip verglichen werden: Zunächst wird mit dem Schneemann aus Marmor und der künstlich angelegten, unaufdringlichen Pfütze eine erste ebenso überraschende wie heitere Begegnungsebene fixiert. Auf der zweiten weiterführenden und unseren Erfahrungsbereich aktivierenden Ebene ist eine dem Rahmen des Ortes wie dem Gegenstand Brunnen angemessene weder vordergründige noch oberflächliche symbolische Dimension vorhanden.
Mit der Materialisation einer Figur wie dem Schneemann, die auch im Alltagsleben seit den frühen Kindertagen in einer primären Erfahrung, ohne die sekundäre eines Lexikons der Symbole heranziehen zu müssen, die Vergänglichkeit verkörpert, mit dieser Wahl des Gegenstandes also erweitert der Künstler auf der emotionalen wie auf der rationalen Ebene eine im christlichen Glauben immer wieder apostrophierte Lebensmetapher. In unzähligen Beispielen lässt sie sich als Vanitas-Motiv in der Geschichte der Kunst und theologischer Programme zurückverfolgen. Formal und inhaltlich müssen wir die angelegte Pfütze als Fortsetzung, als den endgültigen Sinn stiftende Auflösung der Konzeption eines Brunnens mit dem Schneemann lesen: Das Wasser als Lebensquell steht im Zusammenhang mit einer normalerweise transitorischen Figur, die aus gefrorenem Wasser besteht und nur für eine bestimmte Dauer gestalthafte Form anzunehmen in der Lage ist. Auch eine noch so strotzende Erscheinung ist immer wieder dem Prozess der Auflösung unterworfen. Diesem „Lauf der Dinge“ widersetzt sich zwar nicht ein immer wieder aufs Neue aus der Erfahrung gespeichertes Bild, auch nicht das hier geschaffene Abbild, wohl aber bei näherer Betrachtung das Material, der dauerhafte Marmor. Dazu kommt eine in der Dimension der Zeit begründete, sich wiederholt verändernde Erlebnisstruktur der eingesetzten künstlerischen Elemente. Bei Regen oder bei Schnee verschiebt sich der Bezug zum natürlichen Umraum: Die Pfütze wird ihre eigenständige Erscheinung unter anderen natürlichen Pfützen einbüßen, der Realitätsgrad des Schneemannes wird sich bei schneebedecktem Boden auf den ersten Blick radikal transferieren. Während er im Sommer einen Kontrapunkt zur Jahreszeit – als zu Stein gewordenes Fragment einer vergangenen Zeitspanne – bildet, integriert er sich im Winter bei vorhandener Schneelage für einige Zeit in die Natur.
Mit dieser subtilen künstlerischen Gestaltung besticht das Werk an einem höchst sensiblen Ort. So ist das Projekt in seiner konzisen Ausformung der Beweis dafür, dass komplexe Bedeutungsebenen in der künstlerischen Sprache der Jetzt-Zeit sichtbar gemacht werden können, ohne in eine eindimensionale Banalität abzugleiten. Ein Beweis aber auch dafür, dass die Lebendigkeit von Alltagssymbolen oder, in der Zeichentheorie festgestellten natürlichen Zeichen, jene überzeugende Tragfähigkeit aufweist, mit der das Lebensprinzip von Werden und Vergehen, optisch zwar stillgestellt und verfestigt, in einem aufmerksamen Gedankenfluss symbolisiert werden kann.
Trotz einer unübersehbaren inhaltlichen Kontextualität zum konkreten Ort darf nicht übersehen werden, dass der Auftrag darin bestand, einen Brunnen zu schaffen. Das heißt, dass wir hier vor einer einzigartigen Ausführung und Definition eines weit in die Vergangenheit reichenden Genres stehen: Die in den 1950er und 1960er Jahren so gern verwendeten Tiermotive werden durch einen ebenso heiter wirkenden Schneemann – also durch eine Figur und keine architektonisch reduzierten Formen – ersetzt. Das Plätschern oder Fließen des Wassers weicht einer stehenden Lacke. Die beiden aufeinander bezogenen Gestaltungselemente widersetzen sich jeder bisherigen Erfahrung oder Vorstellung von Brunnen, indem sie mit dem Ensemble eine lustvolle, dem gewohnten Fließen inhärente Transformation über das heute aktuelle Phänomen Zeit in Gang setzen. Mit gesenktem Kopf erblickt der ewige Schneemann das Spiegelbild der Uhr im ruhigen Wasser, er, dessen Zeit eigentlich schon seit langem abgelaufen ist. Die Kunst hat ihm dabei einen dicken Strich durch die Rechnung seiner sich in der Alltagswirklichkeit immer wieder erneuernden Gestalt gemacht.