KUNST HEIMAT KUNST 1992 – 1994
Baden . Antwerpen . Berlin . Korsika . Potsdam . Ljubljana . St. Petersburg . Jöss . Tokio . Kapstadt / Grahamstown . Graz
Händisch ausgehobene Erdlöcher, die auf den eidgenössischen Zivilschutzgedanken verweisen, das Ausfahren und Einfahren der Pflanzen im Orangen-Hause des Schlosses Sanssouci in Potsdam, nächtlich schimmernde Videomonitore im Park von Schloß Eybesfeld in Jöss, eine mit 15 Tatamis zum Schlafplatz für Raver umfunktionierte Galerie in Tokyo, der buntbemalte Eisenbahnwaggon auf der Strecke von Kapstadt nach Grahamstown, die Küche und die Diaguckkästen mit Alpenblumen im Palast der Arbeit in St. Petersburg, die Projektion der „Neuen Slowenischen Kunst“ auf einen Zeppelin im aufgelassenen E-Werk von Ljubljana – was haben solche Interventionen gemein?
Das Konzept zum Grazer Projekt KUNST HEIMAT KUNST, das von Mai 1992 bis Oktober 1994 immer wieder mit Ereignissen vor die Öffentlichkeit trat (vgl. das Statement der Kuratoren „Im mobilen Fadenkreuz der Kunst“), ging von der Tatsache aus, daß der Handlungsraum der Künstler durch ihr eigenes Lebensumfeld wesentlich mitbestimmt wird. Elf KünstlerInnen und Künstlerpaare aus Europa, Asien und Afrika wurden vom „steirischen herbst“ nicht zu einer Großausstellung nach Graz eingeladen, sondern beauftragt, an ihrem Heimatort oder an jenen Orten, die sie als Heimat für diesen Anlaß auswählen, ein Projekt zu entwickeln. Es sollte in jeder möglichen Richtung und in jedem für „korrekt“ gehaltenen Raum auf das Thema KUNST HEIMAT KUNST Bezug nehmen.
Werner Fenz, Direktor der Neuen Galerie Graz, breitet als Projektleiter von KUNST HEIMAT KUNST nachfolgend unter dem Titel „Denkgeographie Heimat“ seine Intentionen zum Projekt aus. Er benennt mögliche Kräfte für neue und andere schöpferische Bewegungen und schlägt jenen nomadischen Weg ein, der nicht nur das eurozentrische oder gar exklusiv das euro-amerikanische kulturelle und geistige Erbe der Menschen berücksichtigt. Im weitern spricht er jene Konflikte an, die beim Umgang mit einem solchen Thema im üblichen Ausstellungsbetrieb entstehen, aber bei KUNST HEIMAT KUNST augeschaltet werden sollten.
ORF-Kulturredakteur Peter Wolf, der einige Projekte mit der Kamera begleitet hat, verfaßte Reisenotizen mit den Augen des süchtigen Flaneurs, dem der Weg das Ziel ist, der ausgestattet ist mit dem fremden oder, besser noch, mit einem fremdelnd beobachtenden Blick, der sich beim Spazierengehen an Dingen festsaugt. Es ist ein assoziatives Verfahren, das ins Unbekannte abhebt – aufgenommen mit der subjektiven Kamera der Erinnerung. Drei Versuche von Peter Wolf begleiten die hier dokumentierten Interventionen.
Die Medienschiene, die integrativer Bestandteil des Projekts war, forcierte sowohl die Rezeption durch elektronische und Printmedien vor Ort, die für das Projektzentrum Graz internationale Reaktionen waren, als auch die Berichterstattung in der HEIMAT Österreich vom Ort der KUNST, was als regionale Stellungnahme zu einem internationalen Ereignis zu lesen war. Der „steirische herbst“, der sich selbst als Avantgarde-Festival bezeichnet, fand neu auch außerhalb von Graz statt, die sogenannte Avantgarde zerstreute sich und wurde daher unsichtbar, weil sie überall stattfand. In dieser Konstellation löste sich ebenfalls eine eindeutige Lokalisierung von Zentrum und Peripherie auf.
Im mobilen Fadenkreuz der Kunst
Statement der Kuratoren Werner Fenz & Paolo Bianchi, März 1997
Die Kunst scheint geborgen im schönen Heim der Museen, Kunstvereine und Galerien. Der Lebensstil einer jungen Kunst-Nomaden-Generation im Global Village ist geprägt durch ein wahlweises Leben aus dem Kabel oder dem Koffer. Der Künstler als homo viator findet heute Unterschlupf in selbstgezimmerten Wohnstätten oder läßt sich im Labyrinth der Systeme nieder. Sogar das freie künstlerische Campieren ist institutionalisiert. Die Kunst hat ihre Orte – und wenn nicht, dann fungieren Kulturpolitiker und Kuratoren als Platzanweiser.
Wenn der physische Ort irgendwo (nowhere/now here) ist, wo liegt der Denkort? Gibt es eine Denkgeographie, die den Raum von Ost bis West, von Süd bis Nord in unterschiedlichen Höhenlinien miteinander verbindet? Gibt es einen globalen Leisten, über den die Kunst kontinental geschlagen werden kann? Oder ist der Vermessungsraster, geographisch bedingt, jedesmal neu einzustellen?
Das interkulturelle Projekt KUNST HEIMAT KUNST ging auf die Idee von Werner Fenz zurück, der von Mai 1992 bis Oktober 1994 für den „steirischen herbst“ eine Reihe von Interventionen konzipierte, bei denen das Ambiente Kunstheimat in einen Katalysator für ästhetische Denk- und Handlungsform verwandelt wurde. In einer ersten Phase wurden sieben Künstler aus Europa eingeladen, an frei gewählten Orten ihres Heimatlandes ein Projekt zu realisieren, das von einem ortskundigen Kurator betreut wurde. Zusammengefaßt führten die verschiedenen Projekte zwischen Baden bei Zürich, Antwerpen, Potsdam, Berlin, Ljubljana, Jöss und Korsika zu einer raum-zeitlichen Erweiterung des Ausstellungsbegriffs. Die Einzelaktionen wurden Teil eines weit größeren Konnexes, als ihn jede noch so komplex strukturierte Exposition hätte herstellen können.
In einer zweiten Phase wurde auf Vorschlag von Paolo Bianchi ein erweiterter „interkultureller Dialog“ eingeführt. Künstler und Künstlerinnen aus verschiedenen Kulturkreisen arbeiteten gemeinsam vor Ort: Die Österreicherin Eva Afuhs mit Andrej Chlobystin in St. Petersburg, die Grazerin Matta Wagnest mit Mio Shirai in Tokyo und die weiße Südafrikanerin Sue Williamson mit dem schwarzen Südafrikaner Willie Bester. Die begonnene Ausstellungsgeografie durch Europa erfuhr eine radikale Öffnung in der Horizontalen, in der Hinwendung zu anderen Welten, Kulturen und „Heimaten“.
Was hat eine Japanerin, ein Russe, eine Südafrikanerin, ein Slowene oder eine Österreicherin für eine Idee von Heimat? Die Frage konnte KUNST HEIMAT KUNST insofern nicht beantworten, als es keine direkte sprachliche Übertragung für die Vokabel „Heimat“ gibt. Das Wort Heimat läßt sich nicht übersetzen. Es ist dem Duden zufolge auf das deutsche Sprachgebiet beschränkt. Der amerikanische Schriftsteller William Faulkner hat für den Begriff Heimat eine schöne Definition gefunden. Er sagt, sie ist der Ort, wo sie dich aufnehmen müssen: „Home is where they have to take you in.“ Der Ort, wo jemand hingehört, Wurzeln hat, vielleicht Familienangehörige, vielleicht auch nur Gräber oder ein paar Erinnerungen.
KUNST HEIMAT KUNST etablierte eine neue Kunstpraxis: Die Idee einer Großausstellung mit importierten Werken europäischer und/oder außereuropäischer, kolonialer und/oder postkolonialer Herkunft wurde unterwandert, indem das Ganze in viele kleine, flexible und selbständige Teile zerlegt wurde. Die verschiedenen Ausstellungen werden zu überschaubaren und miteinander vernetzten Einheiten. Graz entwickelte sich dabei zum Energieträger und zum Ort der Bündelung eines interkulturellen Netzwerks. Kontrast und Konfrontation zweier oder mehrerer Welten kamen zum Ausdruck. Raum für Gegensätze und Konflikte wurde geschaffen, so daß Spannungen und Kontraste aus einer „anderen“ oder erweiterten Perspektive wahrgenommen werden konnten.
Den Ausgangspunkt für KUNST HEIMAT KUNST bildeten weder die Sehnsucht noch die akribisch bilanzierende Notwendigkeit der Rückführung von Kunst auf nationale Stile oder Traditionen. Es ging, im Gegenteil, vielmehr um die Durchdringung von Rustikalkitsch und Nostalgiegastronomie, von Regionalchauvinismus und Heimatfilmerei. Auch konnte es nicht um den versteckten Versuch gehen, „Heimaten“ in unterschiedlichen Zeitzonen in Auftrag zu geben. KUNST HEIMAT KUNST ging vielmehr von der Zeitdiagnose aus, daß wir uns in einer Epoche des Raums, des Simultanen, des Nahen und Fernen, des Nebeneinander und Auseinander befinden.
Kunst als kulturelle und gesellschaftliche Wirklichkeit besitzt ihre Heimat traditionellerweise in den Museen, Galerien und Kunstvereinen. Solche Festlegungen führen nicht selten zu einer Einschränkung des Blickwinkels. KUNST HEIMAT KUNST versuchte zu zeigen, daß das Vorhandene noch lange nicht alle möglichen Heimaten von Kunst ausfüllt. KUNST HEIMAT KUNST ging von der Idee eines interkulturellen Dialogs aus zwecks Konstitution einer Ästhetik der Weltkunst, um andere Heimaten zu erschließen, die den gegenwärtigen gleichsam als Korrektiv gegenübergestellt werden.
KUNST HEIMAT KUNST entwickelte in den drei Jahren seiner Erkundungsreise von Kunst europäischer und anderer Kulturen ein paralleles Denksystem, das sich den ständig wandelnden Erfahrungswelten stellte. Die Ausstellungsserie ging von einer Vielzahl verschiedener Zentren und den Beziehungen zwischen ihnen aus. Im Mittelpunkt stand nicht die Verdichtung des Zentrums, sondern standen die offenen Gebiete am Rand. Es ging also nicht um eine Recherche von Kunst von einem Zentrum aus und der damit verbundenen Frage, bis wohin setzt sich der euro-amerikanische Code nach unten hin fort, sondern um eine aufsteigende Analyse des Kunstbetriebs. Ausgehend von Mechanismen im Kleinen und „Heim(at)lichen“ stellten sich die Künstler die Frage, wie sie selbst, ihre Existenz und ihre unmittelbare Umgebung von Formen heimatlicher Herrschaft besetzt, kolonisiert, umgebogen, transformiert, verlagert und ausgedehnt wurden und werden, weil Kunst nicht aus natürlichem heimischen Boden wachsen kann. Das Projekt trug einfach der Tatsache Rechnung, daß künstlerische Interventionen fragmentarische Ganzheiten sind, die nicht ineinander passen, da sich ihre Ränder nicht decken, und die gerade deshalb überraschende Konstellationen bilden können.
Unter dem Titel „Approx. Center of Image“ fuhr in Graz eine Straßenbahn in neuer „Ganzlackierung“ auf dem Liniennetz der städtischen Verkehrsbetriebe. Sie transportierte Botschaften und Zeichen und führte den Fahrgast mit Hilfe von Fadenkreuzen an das mobile Zentrum der bei KUNST HEIMAT KUNST erzeugten Bilder und Ideen heran. Der Freizeitverein der „Grazer Straßenbahnerkapelle“ intonierte erstmals in der Straßenbahn, also am alltäglichen Arbeitsplatz, den Marsch dazu. Außen auf die Seitenwände der Straßenbahn affichiert, bezeichnete das Fadenkreuz mit dem Vermerk „Approx. Center of Image“ das Objekt Tramway, innen funktionierte das Fadenkreuz, als Transparentfolie auf die Fensterscheiben geklebt, gewissermaßen als fahrende Kamera mit Bildausschnitt auf eine bekannte, fremde oder gar entfremdete Außenwelt. „Tramway 530: Ba ba“ bewarb das Festival „steirischer herbst ’93“ mit einem aus den USA importierten Slogan zum „American Way of Life. And Death“. Auf den ersten Blick waren nur einige Buchstaben und Silben lesbar. Die Botschaft vermittelte sich erst im Näheverhältnis von Betrachter und bewegtem Objekt. KUNST HEIMAT KUNST ging es darum, das Modell einer mit sich selbst identisch bleibenden Heimat zu verabschieden, um statt dessen das Modell einer sich selbst fortwährend neu erfindenden Heimat zu etablieren, wobei die kontinuierliche Heimaterfindung mit einer konstanten Heimatauslöschung einhergeht.
Für die Schlußpräsentation des Projekts wurde das Grazer Künstlerhaus bespielt. Die Künstlerin Eva Afuhs wurde gebeten, innerhalb eines gedachten Wohnraums die KünstlerInnen mit ihren Interventionen zu placieren, also in einem temporären Raum im Raum ein Nomadenzelt zu konzipieren. Das von ihr entworfene Ambiente weckte eine Art Nostalgie aufs Alltägliche, Unspektakuläres machte sich breit. Innerhalb dieser „Home Art“, inklusive Essen, Schlafen, Spielen, Putzen und Grünpflanzen, und angeblichen Vertrautheit generierten sich Veränderungen.
Denkgeographie Heimat
Werner Fenz
Um HEIMAT als Begriff und Lebensraum wird heute in nah und fern ein ideologisch und realpolitisch brutaler Kampf geführt. Jeder Zerfallprozeß von autoritär gekitteten Staaten setzt das unterdrückte Selbstbewußtsein von Völkern, Gruppen oder Gemeinschaften in Richtung einer Neubestimmung frei, bei der nicht zuletzt HEIMATGEFÜHLE eine entscheidende Rolle spielen. Auch die Wiedervereinigung jahrzehntelang durch politische Blockbildungen getrennter Teile ein und desselben Volkes, der neue Zusammenschluß verschieden großer und mächtiger Staaten wirft Fragen in bezug auf HEIMAT auf. So entsteht eine bunte Palette an Begriffsbildungen, an Definitionsmustern, an emotionellen Aufladungsmechanismen wie an Defiziten und machtpolitischem Etikettenschwindel in einem nicht mehr nur theoretisch abgehandelten Umfeld zum Thema HEIMAT. Trotz aktueller, menschenvernichtender Antworten auf diese Fragen werden auf einer in erster Linie medial forcierten und zum Durchbruch gebrachten Ebene HEIMAT-Klischees in einem inhaltlich wie ästhetisch beängstigenden Ausmaß transportiert. Die Schaffung von Erlebnisreservaten im potemkinschen Baustil ist sowohl Futter für die Tourismus-Industrie als auch „Opium fürs Volk“. In der „Musikantenstadl“- und „Heimat-bist-du-großer-Söhne“-Ideologie wird der Identitätsverlust nicht aufgehoben, sondern erst tatsächlich spürbar. Nationale oder regionale Geburtsort-Reklamationen verdecken den Blick auf erzwungene oder freiwillige, reale wie virtuelle Emigrationen aus einer politisch, geistig oder sozial verbarrikadierten HEIMAT. Eine meist mit enormem PR-Aufwand verbundene Kosmetik rückt dann die eigentlichen Defizite erst sichtbar in den Mittelpunkt.
Dislokation
Künstlerische Haltungen und Strategien sind nicht selten in der Lage, gesellschaftliche Defizite auszugleichen. Das Projekt KUNST HEIMAT KUNST hat sich mit dieser Thematik beschäftigt. Es war nicht konzipiert, um quasi flächendeckend alle Konfliktsituationen und Widersprüche in dem so sensiblen und umfassenden Bereich HEIMAT aufzulösen. Es blieb bis zum Schluß stets ein Modell, das schwerpunktmäßig und mit den Mitteln der Kunst inhaltliche Gedankenfelder ordnete, eingrenzte oder in weitere, neue Bereiche ausweitete. Diese Aufgaben sollten weder in monumentaler noch in kulinarischer Form gelöst werden.
Innerhalb von drei Jahren war mit einer sorgfältigen Vorbereitung jeweils eine unterschiedlich angelegte „Tiefenmessung“ angestrebt. Dazu war es nötig, sich immer wieder der Möglichkeiten und Aufgaben der Kunst zu vergewissern, den Kunstbegriff vor dem Hintergrund geläufiger, innerhalb des „Betriebs“ auch randständiger Definitionen abzufragen. Fragen nach Sinn und Zweck einer von hohlen Phrasen befreiten HEIMATKUNST sowie nach den Formen und der inhaltlichen Struktur einer KUNSTHEIMAT zu stellen. Zentrale Ausrichtung des Konzepts war es, zu klären, ob diese Begriffe in ihrer Konstitution und Bedeutung für den bestehenden oder einen neuen Wirkungsbereich von Kunst relevant sind.
Die dramatischen, in ihrer Geschwindigkeit und Tragweite nicht vorhersehbaren politischen Veränderungen, nicht nur in Europa, lösten die Idee aus, eine solche Blickrichtung in der Kunst einzuschlagen. Kunstwerke aus der Ex-Sowjetunion, der Ex-Tschechoslowakei oder der Ex-DDR überschwemmten die westlichen Ausstellungsinstitute. Sie wurden kategorisiert, katalogisiert und mit „westlichen Maßstäben“ bewertet. Es drängte sich, wenn wir neben einem zeitlichen Koordinatensystem auch das spezifische kulturelle Umfeld als Matrix eines Bewertungssystems heranziehen, das begründete Unbehagen auf, diese Produktionen, losgelöst von ihrer bestimmenden und bestimmten „HEIMATlichen“ Verankerung und daher ungenügend informationskritisch ausgebildet, nur vordergründig beurteilen zu können. Langsam, aber unaufhaltsam kristallisierte sich KUNST HEIMAT KUNST als Thema einer dislozierten Projektidee heraus. In Übereinstimmung mit immer stärker in den Vordergrund drängenden künstlerischen Haltungen, denen im Alltag des „Betriebssystems Kunst“ wegen deren nonkonformistischer Ausrichtung nicht immer die entsprechende Aufmerksamkeit zuteil wurde, konnte HEIMAT als Herausforderung für unterschiedliche Auseinandersetzungen und Realisationen plaziert werden.
Konnexion
Von der Sensibilität der beiden grundsätzlichen Ausgangspunkte her, der politischen Brisanz einerseits und der aktuellen kulturellen Identitätsstiftung andererseits, war klar, daß die thematische Aktualität zwar in präzisen künstlerischen Metaphern, nicht aber unter politologischen, philosophisch-ethischen oder unmittelbar ideologischen Gesichtspunkten darstellbar ist. Die Herausforderung an die KünstlerInnen spitzte sich vor allem dadurch zu, daß die Frage nach KUNSTHEIMAT oder HEIMATKUNST vor der Realität des „globalen Dorfes“ und der damit in weiterer Folge verknüpften und tatsächlich als Konstrukt wie als Funktionsschema existierenden multikulturellen Gegenwart aufgeworfen wurde.
HEIMAT sollte zum Auslösefaktor werden, unterschiedlichen und daher auch divergierenden Sachverhalten nachzugehen, die inhaltlichen und ästhetischen Strukturen auf jede mögliche Weise zu verfolgen; konkrete Orte für die Realisierung anzusteuern und die Sprachmöglichkeit und -fähigkeit einer Kunst zu untersuchen und einzusetzen, die ihren Sinn nicht ausschließlich in artifiziellen Produkten, sondern nicht zuletzt im Einklinken in kulturelle und politische Dimensionen erkennen kann.
Die Kommunikation mit und über Kunst als Ziel vor Augen, war bei der Auswahl der KünstlerInnen nicht das Trendsetting einer bestimmten aktuellen Strömung, sondern der künstlerische Impetus ausschlaggebend, die Fragestellung nach einer HEIMAT vor Ort als konstruktives Konfliktpotential anzunehmen.
Reproduktion
KUNST HEIMAT KUNST war von Beginn an als „work in progress“ konzipiert. Entgegen der bisher üblichen Praxis, themen- oder projektbezogen zu arbeiten, stand für die Künstler, Künstlerinnen und Künstlerpaare nicht ein gemeinsamer Ort zur Disposition, vielmehr war die „Intervention“ auf jenen Ort fixiert, der mit dem tatsächlichen Lebensraum in unmittelbarer Verbindung stehen sollte: elf Beiträge = elf verschiedene Städte und Dörfer, Galerien und Plätze, private und öffentliche Räume.
Graz nahm im Rahmen all dieser dislozierten und über elf Länder verstreuten Orte die Funktion eines Relais, also einer Schaltstelle mit output und input ein. Für die Künstler stellte sich als zusätzliche und von Anfang an in die Idee integrierte Aufgabe, ihr Projekt, nicht das tatsächliche Produkt, in der Grazer Schlußpräsentation (1994) von KUNST HEIMAT KUNST zu veranschaulichen und in adäquater Form zu übersetzen: Die Mittel dazu sind Relikte, Versatzstücke oder Neuinszenierungen unter den Gegebenheiten des Präsentationsraums.
So ergab sich für Graz ein komplett unorthodoxer „Ausstellungsmodus“: Nicht das Original, das ausschließlich in Fotos oder Videos dokumentiert war, wurde in das Künstlerhaus gebracht, als Kunstgut verladen und damit den wesentlichen Ansatz der Dislokation aufhebend, sondern es waren quasi Instrumente präsent, mit deren Hilfe sich die künstlerischen Ansätze und Konzepte erschließen ließen. Im selbständigen oder durch Diskussionen und erweiterte Informationsveranstaltungen unterstützten Nachvollzug konnten Gestalt und Dimensionen der konkreten Realisationen von Antwerpen bis Grahamstown in Südafrika nachgezeichnet werden. Diese Re-Produktionen verweisen auf die üblichen kunstimmanenten Systeme der Aneignung von Ereignissen oder konkreten Produktionen und Produkten zurück. Sie repräsentieren zunächst, verändern aber dann mittels gezielter Eingriffe die Regelmechanismen der Mehrzahl von Kunstevents, die meist nur über Bild und Text konsumierbar werden. Der Komplexität des Themas ist eine mehrstufige Rezeption zugeordnet, für die die Künstler weitere Spuren, über die tatsächliche einmalige Realisation hinaus, auslegen.
Spielfreiraum
Wenn wir mit Kunst in unserer Wertegesellschaft auch geistig bilanzieren wollen, scheinen Anstöße von außen, in Richtung neuer, vertiefter Kommunikationsstrukturen vonnöten zu sein. Modellhafte und exemplarische Unterbrechungen eines eingeübten Kreislaufs vermögen dem Zentrum, der Kunst, neue Energien zuzuführen. Solche Unterbrechungen erlauben, den Raster des Kunstpotentials neu zu vermessen, die Standorte klarer zu bestimmen und den sinnlich-geistigen Bewegungsfluß von künstlerischen Realisationen stärker zu akzentuieren. Im jeweiligen Kontext, wenn er über oberflächlich illustrative Beschreibungsmuster hinausreicht, wird die Frage nach Authentizität nicht auf der Ebene von national-nationalistischem Vokabular von Erster, Zweiter oder Dritter Welt beantwortet, sondern über gewonnene Einsichten, über nachvollziehbare Bezugssysteme. Deren Einbeziehung hat dann die künstlerische Nagelprobe der Qualität zu bestehen, die freilich auch aus einer einmal festgelegten Kategorisierung freizuspielen ist.
KUNST HEIMAT KUNST versuchte das oftmals praktizierte, aber keineswegs ausreichende künstlerische Selbstverständnis zu erschüttern und den Aktionsradius sowie die Reichweite von Kunst zu verstärken. Der dafür gewählte exemplarische Bezugsraster speiste sich in die im Umbruch befindlichen künstlerischen, politischen und kulturellen Systeme und Phänomene ein. Das Projekt versuchte Strukturen aufzubrechen und/oder zu erweitern, eine Vernetzung in Gang zu setzen und modellhaft daran mitzuwirken, den von den Künstlern immer stärker mit neu gelagerten inhaltlichen und ästhetischen Ambitionen besetzten „Freiraum“ Kunst aufzufüllen.
Kongeniale Beurteilungskriterien zu erarbeiten im Sinne einer künstlerischen Real-Geographie stellte sich bei KUNST HEIMAT KUNST zwar als latente Frage, nicht aber als Ziel der Intentionen. Vielmehr ging das Projekt beispielhaft von der auf mehreren Ebenen wirksamen Frage nach dem Kontext und Konnex aus, der die künstlerischen Produktionen uneingeschränkt (nicht erst seit dem Stilbegriff „Kontextkunst“) bestimmt. Der Zusammenhang zwischen den realen Strukturen am jeweiligen Ort und ihrer künstlerisch-geistigen Inanspruchnahme als paradigmatische Konstitution von Kunst sollte entsprechend deutlich herausgearbeitet und auf diesem Wege auf den a priori dialogischen Habitus von Kunst verwiesen werden. Das Artikulieren einer Denkgeographie implizierte auch die Bewußtmachung eines spezifischen Kunstklimas, das nicht künstlich erzeugt, sondern nach dessen zunehmend ins Blickfeld geratenen Ursachen geforscht wird.