Zeitsprünge – Kunstwerke im Dialog
ZUR (etwas anderen) AUSSTELLUNG
Jede Präsentation einer Sammlung wie einer Ausstellung ist – außer wenn sie nur das Herzeigen zum Maßstab erhebt – auf einen Dialog ausgerichtet: auf den Dialog der Kunstwerke untereinander, auf den der Kunstwerke mit dem Betrachter. Warum also den Dialog im Untertitel nicht noch einmal festschreiben? Weil es sich um eine zeitliche Zwiesprache handelt; zeitlich im doppelten Sinn. Einmal vorübergehend, zeitlich begrenzt – das anderemal ausgreifend, ein Jahrhundert überspringend.
ZEITSPRÜNGE konfrontiert Bilder des 19. Jahrhunderts mit Kunstwerken der Gegenwart: eine (etwas andere) Ausstellung im Rahmen einer fix eingerichteten Sammlung. Dreizehn Werke zeitgenössischer KünstlerInnen dringen in einem bestimmten Rhythmus in die Schauräume ein. So werden sie mit einer Auswahl des Vorgegebenen in Beziehung gesetzt. Unterschiedliche Sprachmuster treffen aufeinander. Die Folge könnte ein babylonisches Sprachengewirr sein – auf jeden Fall ist es zunächst einmal eine Überwindung der Stummheit. Sie mag ihren hörbaren Ausdruck im dumpfen Grollen stürzender Steine finden, das von Zeit zu Zeit über Verstärker aus dem Lautsprecher dringt und als die speziell auf die Ausstellung raum- und inhaltsbezogene Installation den vierzehnten „Blick“-Punkt in das komplexe Konzept fügt: Zum Gletscher aus Messing und Chrom, zum Segelschiff, dessen Bildgrund und Rahmen der Monitor ist, zum Plexiglasschirm, auf dem die Lichtspuren eines verborgenen Objekts aufleuchten, zu den Tellern, die mit dem Porträt einer Suppenhenne geschmückt sind, zum übermalten Gebrauchskruzifix, zur überdimensionierten Friedhofsvase, zu den Fotos eines Gastarbeitertransportes und zu den anderen Motiven der Bilder und Objekte gegenwärtiger künstlerischer Produktion.
Das Konzept der Ausstellung entwickelte sich aus dem Seminar „Museumskunde“ am Institut für Kunstgeschichte der Grazer Karl-Franzens-Universität. Es ist das Endprodukt unterschiedlicher skizzenhafter Ansätze, die ihren Ausgangspunkt von den Möglichkeiten der Vermittlung zeitgenössischer Kunst mit den zur Verfügung stehenden und speziell entwickelten Methoden der Fachwissenschaft nahmen. Diese sollten in erster Line in Hinblick auf ihre Dialogfähigkeit mit dem interessierten Betrachter überprüft werden. Zwei Entscheidungen kristallisieren sich als wesentliche und erfolgversprechende Ansatzpunkte heraus: erstens, nicht am Einzelobjekt, sondern in einem größeren Zusammenhang zu arbeiten und zweitens, die aufgeworfenen Fragen und die eingenommenen Blickwinkel mit Hilfe einer schlanken Sprache zu präzisieren. Die Entscheidung zugunsten der Dialogpaare fiel mit der Absicht, ein bestehendes Angebot – die Sammlung der Gemälde von 1800-1930 – unter neuen Gesichtspunkten ins Gespräch zu bringen, durch Leihgaben österreichischer Museen und Galerien sowie von Künstlern zu erweitern und durch die hergestellten Konfrontationen in beide Richtungen, sowohl in das 19. Jahrhundert als auch in die Gegenwart, einen aktiven Fragenkatalog zusammenzustellen. Damit sollten die traditionellen und geistig weitgehend abgehakten Bildausschnitte aus dem vergangenen Jahrhundert nicht als Folie für das andersartig Neue unserer Tage dienen, sondern ebenso in ihrer Eigenwertigkeit bewusst gemacht werden. Ein so erzeugtes Spannungsfeld schien ein möglicher Nährboden für Diskussionen um die realen Gegenüberstellungen wie um die ihnen zugeordneten textlichen Kommentare zu sein. Auf diese Weise sollten einerseits die jeweilige Besonderheit des konkreten künstlerischen Gestaltungsaktes vor dem Hintergrund zeitlicher, also inhaltlicher und ästhetischer Gebundenheit, sichtbar gemacht werden. Die Aktualität der „orientalischen Mode“ (C. L. Müller) ist damit jener der inszenierten Fotografie (R. Iglar) gleichzusetzen.
Im Bewusstsein um die Vielschichtigkeit und gleichzeitige Ausschnitthaftigkeit des Unterfangens wurden die Ausgangspunke der Dialoge bewusst auf möglichst unterschiedlichen Ebenen angelegt.Einmal waren es leicht einsehbare, vordergründig motivische Übereinstimmungen, von denen aus die unterschiedlichen Gestaltungsmuster und damit geistigen Ansatzpunkte aufgerollt werden sollten (J. Kniep – L. Feher, M. Pernhart – F. Lesak oder I. Hofer – I. Haider). Die Motive antiker Säulen, der Monumentalität von Gletschern oder des Stillebens zeugen zwar von scheinbarer Kontinuität, belegen aber vom leicht nachvollziehbaren thematischen Kristallisationspunkt aus mit großer Deutlichkeit die formale und inhaltliche Verschiebung.Die unterschiedliche künstlerische Dimension des einzelnen Werkes, was seine farbige, materielle und konzeptuelle Beschaffenheit betrifft, offenbart sich gerade durch die hergestellte Klammer in eindrucksvoller Weise. Auf der verwandten Ebene, die durch das Anreißen christlicher Symbolik zusätzlich aufgeladen wird, ist auch die Konfrontation zwischen J. Wibmers „Erlöst“ und A. Rainers „Kreuz“ angesiedelt. Einer ganz anderen Kategorie sind, um die Ansatzpunkte beispielhaft zu verdeutlichen, die Dialog-Situationen J. Manskirsch – H. Florey, J. Neugebauer – B. Kowanz oder A. Romako – E. Wurm zuzuordnen. Die strenge Farb- und Formharmonie Floreys scheint auf den ersten Blick der romantischen Mondlandschaft des Manskirsch willkürlich zugeordnet. Erst der herauskristallisierte Gedanke allumfassender Einheit, der als Stimmungsmotiv der Romantiker bekannt, in der Formulierung des Zeitgenossen unter dem konkret-abstrakten Muster verborgen erscheint, lässt die Konfrontation in einem anderen Licht erscheinen.
Sein in einer über den konkreten Anlaß hinausreichenden, die beiden Jahrhunderte in ihren künstlerischen Anliegen grundsätzlich charakterisierenden Weise. Die Bildmittel, die zum Aufbau eines illusionären Raumes eingesetzt werden, verweisen auf veränderte Sprachformen ebenso wie auf unterschiedliche Denksysteme. Die Direktheit im Einsatz des Materials bei Brigitte Kowanz vermag über den persönlichen Stil hinaus stellvertretend für eine Generation von KünstlerInnen den Zugang zur Realität zu beschreiben. Bei Erwin Wurms „Landschaft“ wird im Dialog mit Anton Romakos „Bäuerin“ ein struktureller Zugang zu den beiden Werken gesucht. In der Zerklüftetheit von Gesicht und übertragener landschaftlicher Formation nähern sich Bild und Skulptur trotz unterschiedlicher Definition und Bedeutung des Gegenstandes an. Braucht Romako noch den konkreten Ausgangspunkt des Porträts, kann sich ein Künstler der achtziger Jahre unseres Jahrhunderts über enge Grenzziehungen zwischen den sogenannten Sujets hinwegsetzen und Höhlung und Wölbung als Grundthema plastischen Gestaltens als selbständige, freie haptische Form, als Aufbrechen eines scheinbar festgefügten begrifflichen Vokabulars zur Diskussion stellen.
Gerade diese unterschiedlichen Paar-Beziehungen und die verschiedenartigen Zugänge zu ihnen sollen den Labor-Charakter der Ausstellung signalisieren. Es handelt sich um Versuche der Annäherung, die mit aller Behutsamkeit und dem Wissen um Unvollständigkeit vorgenommen wurden. Sie stellen eine der möglichen Sichtweisen dar, wollen einen Weg des Zugangs exemplarisch festhalten und zu weiteren, selbständigen Betrachtungsweisen auffordern. In dieses Zusammenführen verschiedenartiger Blickpunkte fügt sich auch die Einladung an einen Künstler, auf das Ausstellungskonzept und die vorgefundene Präsentation der Sammlung von Kunst des 19. Jahrhunderts von sich aus mit einer speziell strukturierten Arbeit zu reagieren. Josef Taucher hatte sich in der letzten Zeit mehrfach mit vorgefundenen Orten und Situationen auseinandergesetzt, sodaß von ihm ein Interesse an der Reflektion zu erwarten war. Vor der Fülle von Bildern entschied er sich, ohne unseren Konfrontationen im Einzelnen zu kennen, für eine akustische Installation. Sie bildet nun aus der Sicht des Künstlers, von einem einzelnen Bild ausgehend, eine große hörbare Klammer für die vielen Bildwelten des 19. Jahrhunderts. Vor ihnen hat Taucher zwar nicht die Sprache verloren, aber ein weiteres „Bild“ verweigert.
Ich danke den Kolleginnen und dem Kollegen für die intensive Arbeit, die das Konzept, die Texterstellung und das Kataloglayout miteinschloß. Unser Dialog beschränkte sich nicht nur auf die zahlreichen Arbeitssitzungen, sondern weitete sich sinnvollerweise auf die KünstlerInnen, die uns offen Rede und Antwort standen, aus.