W. W. ANGER, Die Welt in der wir leben

W. W. ANGER, Die Welt in der wir leben

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2001/02
W. W. Anger, Closed Circuit
1987/88
W. W. Anger, Krone des Nordens - Ruhm und Macht - Das Prinzip der schiefen Ebene (Eine plastische Trilogie)
1987/88
W. W. Anger, Krone des Nordens - Ruhm und Macht - Das Prinzip der schiefen Ebene (Eine plastische Trilogie)
1987/88
W. W. Anger, Krone des Nordens - Ruhm und Macht - Das Prinzip der schiefen Ebene (Eine plastische Trilogie)
1987/88
W. W. Anger, Krone des Nordens - Ruhm und Macht - Das Prinzip der schiefen Ebene (Eine plastische Trilogie)
1987/88
W. W. Anger, Krone des Nordens - Ruhm und Macht - Das Prinzip der schiefen Ebene (Eine plastische Trilogie)
1987/88
W. W. Anger, Krone des Nordens - Ruhm und Macht - Das Prinzip der schiefen Ebene (Eine plastische Trilogie)
1986/87
W. W. Anger, Bon jour Docteur Guillotine
1986
W. W. Anger, Revolvere
1987
W. W. Anger, Kommunizierende Gefäße (Der Traum vom Unterbewusstsein)
1988
W. W. Anger, Designstudie für ein Starwarprogram oder Die Leere dazwischen
1988/89
W. W. Anger, Woran wir uns gern erinnern
1989/90
W. W. Anger, Materialfluss
1990/91
W. W. Anger, Zeiträume
1990/91
W. W. Anger, Maxi und die großen Leute (Kunstgeschichte für Unterstufen)
1992
W. W. Anger, Das Ding?
1992
W. W. Anger, Das Ding?
1992
W. W. Anger, Das Ding?
1990/92, Mausoleum Graz 1995
W. W. Anger, Egozentrisches Universum
1990/92, Mausoleum Graz 1995
W. W. Anger, Egozentrisches Universum
1991/92
W. W. Anger, Egozentrische Gesellschaft
1994/1995
W. W. Anger, Stadt/Land (Keiner weiß mehr)
1999
W. W. Anger, Homebase for Outer Space
1995/96
W. W. Anger, Module
1998
W. W. Anger, Headquarter
2000/2001
W. W. Anger, Subsystem/ Zellteilung #1-7/ Anorganische Materie
2000/2001
W. W. Anger, Subsystem/ Zellteilung #1-7/ Anorganische Materie
2001/02
W. W. Anger, Closed Circuit
1992/93
W. W. Anger, Seilschaft, oder wir kommunizieren nicht mit uns selbst
2003
W. W. Anger, Tatsachenkörper
2003
W. W. Anger, Tatsachenkörper
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Zur Position von W. W. Anger in der österreichischen Kunst

Innerhalb der selektiven Wahrnehmungsparameter von Kunst stellt sich immer wieder die Frage nach der zunächst subjektiven Reizschwelle und in weiterer Folge erst nach möglichen objektivierbaren Kriterien. Zur klassischen Form-Inhalt-Dichotomie tritt in der Gegenwart in verstärktem Ausmaß die Ausformung einer relevanten Zeitspur hinzu, die für ein Kunsterlebnis entscheidend ist, das an die Werkästhetik eine „weitere Kommunikation künstlerischer oder sprachlicher Art anschließen kann“1Niklas Luhmann, in: Die Kunst der Gesellschaft, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 1997, S. 44.. Anlässlich der Vorbereitung der Ausstellung Besucher in der Künstlerwerkstatt Lothringerstraße 13 in München ist es 1987 zur ersten Begegnung mit W. W. Anger und seiner Kunst gekommen. In einem geräumigen Loft (Galerie Exhibitions) war seine Installation Krone des Nordens aufgebaut.

W.W. Anger, Krone des Nordens - Ruhm und Macht - Das Prinzip der schiefen Ebene (Eine plastische Trilogie) 1987/88

W. W. Anger, Krone des Nordens – Ruhm und Macht – Das Prinzip der schiefen Ebene (Eine plastische Trilogie) 1987/88

Eine Reihe von Objekten aus unterschiedlichsten Materialien und der mit ihnen erzeugte mehrdimensionale ästhetische Raum haben auf Anhieb ob einer doppelläufigen Zeitspur überrascht. Die Arbeit – so der erste Eindruck – stellte einen anderen als den aufgrund paralleler künstlerischer Entwicklungen eingeübten Anspruch an den Betrachter, die Betrachterin. Dafür waren mehrere Komponenten verantwortlich, die, wie sich später herausstellen sollte, für das weitere künstlerische Werk in immer neuen konzeptuellen Überlegungen und materiellen Ausformungen bestimmend blieben. Eines der am stärksten hervorstechenden Merkmale ist der Ensemblecharakter der Arbeit, der sich von zahlreichen damals üblichen Installationen deutlich unterscheidet. Im Zentrum steht weder ein Rapport raumgreifender Elemente noch eine lineare oder dialektische Entwicklung der Formen im Raum, sondern eine knappe visuelle Erzählstruktur, die von der Geschichte der Ästhetik und, noch bestimmender, von der Ästhetik der Geschichte handelt. Dadurch, dass WWA das indexikalische Prinzip2Ein Prinzip, das Philippe Dubois, in erster Linie Charles Sanders Peirce und Rosalind Krauss folgend, in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen stellt, wenn es – nicht nur im Bereich der Fotografie – um die Spur eines Wirklichen, also um den Diskurs des Index und der Referenz geht. Vgl. Philippe Dubois, Der fotografische Akt, Verlag der Kunst: Amsterdam, Dresden, 1998. lustvoll bis an jene Grenzen ausweitet, an denen es die Symbolform – manchmal im Sinn des Aufladens von banalen Materialien und Objekten – streift, bringt er jenes konnotative Moment ins Spiel, das dann zu unmissverständlichen inhaltlichen Dimensionen führt, wenn man den versteckten und mehrschichtigen ästhetischen Verweisen zu folgen bereit ist.

W. W. Anger, Krone des Nordens - Ruhm und Macht - Das Prinzip der schiefen Ebene (Eine plastische Trilogie) 1987/88

W. W. Anger, Krone des Nordens – Ruhm und Macht – Das Prinzip der schiefen Ebene (Eine plastische Trilogie) 1987/88

Das als Trilogie angelegte Werk (Krone des Nordens – Ruhm und Macht – Das Prinzip der schiefen Ebene) fokussiert nicht allein Formen totalitärer Ästhetik, sondern gibt in Ausschnitten Auskunft über die gesellschaftliche Rezeption von Geschichte. In der Ausbildung der Objekte und in ihrer Anordnung fällt auf, dass die Kategorie eleganter Perfektion keinen herausragenden Stellenwert besitzt. Es ist vielmehr ein unmittelbarer Zugriff auf die Thematik, der seine „Vorlagen“ aus den umfangreichen Bilderarchiven bezieht. Die Umsetzung der Invention basiert auf dem Akt der Transformation, und diese operiert verblüffend sicher mit der Kontextualisierung elementarer Formen. So nehmen Quaderformen innerhalb des weit ausgebreiteten Ensembles unterschiedliche Funktionen ein und damit Bedeutungen an. In Form von gebräuchlichen Sockeln dienen sie als Präsentationselemente für zwei bronzierte Gipsbüsten; horizontal unmittelbar auf den Köpfen lastend, vervollständigen sie diese und die dazugehörigen Stelen zum Ikon eines monumentalisierten Portals; im Raum selbst befreien sich die Quader von ihrer stützenden oder bekrönenden Funktion – sie sind nun, auf pfeilergestützten Grundflächen platziert, mit ihrem ausgeweiteten und senkrecht bzw. waagrecht ausgerichteten Volumen die zentralen Informationsträger, unschwer sowohl mit minimalisierten Tempelformen als auch mit Möbelstücken assoziierbar.

W.W. Anger, Krone des Nordens - Ruhm und Macht - Das Prinzip der schiefen Ebene (Eine plastische Trilogie) 1987/88

W. W. Anger, Krone des Nordens – Ruhm und Macht – Das Prinzip der schiefen Ebene (Eine plastische Trilogie) 1987/88

Nicht die für die Funktion im visuellen Text eher unterdimensionierte Größe verleiht ihnen ihre Bedeutung, sondern die Verknüpfung mit Elementen, die eine ästhetische Zeitspur repräsentieren – die Anmutung totalitärer Architektur. Gezielt relativiert WWA über die Größenverhältnisse Formerfahrungen, die uns einerseits aus dem Alltag, andererseits aus den zahlreichen Beispielen der Inszenierung von Macht geläufig sind. Dieses Switchen zwischen unterschiedlichen Rezeptionsebenen setzt sich im „Flügelaltar“, dem dritten Formkomplex, fort. Im geschlossenen Zustand finden wir auf Dekorplatten ein bronziertes Gipsrelief, das den Blick in das Innere zentralperspektivisch dargestellter monumentaler Architektur – Anselm Kiefers Stil in Erinnerung rufend – freigibt. Dadurch verstärkt sich, ohne dass eine direkte Verknüpfung hergestellt ist, ein weiteres Mal die Wahrnehmung der beiden im Raum stehenden Quader als „Tempel“.

W.W. Anger, Krone des Nordens - Ruhm und Macht - Das Prinzip der schiefen Ebene (Eine plastische Trilogie) 1987/88

W. W. Anger, Krone des Nordens – Ruhm und Macht – Das Prinzip der schiefen Ebene (Eine plastische Trilogie) 1987/88

Im geöffneten Zustand des variablen Bildtableaus stehen wir vor einer nahezu monochromen Fläche aus Schwarzblech3Es ist nicht zufällig geölt, weil damit eine Anspielung auf die Behandlung von Waffen verbunden ist, um diese vor Rost zu schützen., lediglich unterbrochen durch die beiden Steher aus verkohltem Holz und streifenförmige Ausnehmungen. In einen Betonblock im Mittelteil ist in eine Nische ein Gipsglobus eingestellt, der wohl in erster Linie die Welt wie ein Requisit der Machtansprüche oder wie einen gewonnenen Pokal zu erkennen gibt. Im Tor mit der Hitler- und der Stalinbüste findet sich über die Auseinandersetzung mit politisch-ästhetischen Sachverhalten hinaus ein weiterer Kommentar zur Auseinandersetzung mit Geschichte. Der erhöhte Sockel Hitlers und der dadurch aus dem waagrechten Lot gebrachte bekrönende Architrav des Tores verweisen auf die Disproportionalität in der Aufarbeitung von Diktaturen, wobei der Nazi-Terror gegenüber dem Stalinismus ins Hintertreffen geraten ist. Dafür spricht zudem die Einfügung eines schwebenden Holzobjekts, dessen rudimentäre Form zunächst für sich zu stehen scheint und sich erst von einem bestimmten Blickwinkel aus und im Zusammenhang mit weiteren fragmentierten Zeichen als Hakenkreuz enttarnt. Von diesem Detail eines übergreifenden, latent inkorporierten historischen „Logos“ aus, das erst durch genaue Beobachtung aufgespürt werden kann, sei der Blick, zeitlich und inhaltlich nahe liegend, auf eine Intervention des Münchner Künstlers Heribert Sturm und, weiter zurück und auf einer anderen Ebene angesiedelt, eine Arbeit von Peter Weibel gerichtet.

W.W. Anger, Krone des Nordens - Ruhm und Macht - Das Prinzip der schiefen Ebene (Eine plastische Trilogie) 1987/88

W. W. Anger, Krone des Nordens – Ruhm und Macht – Das Prinzip der schiefen Ebene (Eine plastische Trilogie) 1987/88

Anlässlich des Projekts Bezugspunkte 38/88 im steirischen herbst 19884Insgesamt waren 16 KünstlerInnen daran beteiligt, darunter Hans Haacke, Jochen Gerz, die Gruppe IRWIN, Eric Hattan, Fedo Ertl oder Peter Baren. Vgl. Werner Fenz (Hg.), Bezugspunkte 38/88, steirischer herbst: Graz, 1988.  – eine Veranstaltung im öffentlichen Raum 50 Jahre nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland – lässt Sturm einen monumentalen Betonpfeiler mit längsseitigen Ausnehmungen gießen und platziert diesen, während der Dauer der Veranstaltung an einem Kranhaken hängend, knapp über dem Becken des Rosariumbrunnens in Graz, an der Stelle, an der das von den Nazis sofort nach ihrer Machtübernahme in der „Stadt der Volkserhebung“ zerstörte Dollfuß-Denkmal stand. Nur unter bestimmten Lichtverhältnissen sichtbar, spiegelt sich im Wasser ein Hakenkreuz, das seine Form durch die spezifischen Rillen im gängigen Konstruktionsmaterial von Industrieanlagen erhält. Weibel richtete 1982 im Kulturhaus Graz sein Österreich-Zimmer (mit einem Gasherd zur Erzeugung echt österreichischer Stimmung) ein, in dem eine Reihe von Gegenständen mit weißer und roter Farbe markiert wurde, sodass aus einer bestimmten Kameraposition aufgenommen, für die Betrachter auf einem Monitor ein rot-weiß-rotes Fragezeichen, die Einrichtung überlagernd, sichtbar war.

W.W. Anger, Krone des Nordens - Ruhm und Macht - Das Prinzip der schiefen Ebene (Eine plastische Trilogie) 1987/88

W. W. Anger, Krone des Nordens – Ruhm und Macht – Das Prinzip der schiefen Ebene (Eine plastische Trilogie) 1987/88

W. W. Angers Krone des Nordens, neben dem Understatement der Bezeichnung eines Sternbildes ein Synonym für die fatale Rassenideologie, hat auch die Aufmerksamkeit eines Münchner Museumskurators hervorgerufen. Das Konzept der Ausstellung Besucher, ein Gemeinschaftsprojekt zwischen dem „steirischen herbst“ und dem Kulturreferat der Stadt München, sah vor, dass jeweils vor Ort eine Künstlervorauswahl getroffen wurde: In Graz vom Autor dieses Beitrags, in München von Helmut Friedel, Vizedirektor der Städtischen Galerie im Lenbachhaus. In gegenläufigen Atelierbesuchen wurden die Reduktion des Angebotes vorgenommen und die AusstellungsteilnehmerInnen endgültig fixiert. Nach dem Auftakt in München mit der Kunst aus Graz (Besucher, 1988) wurde der Münchner Beitrag (Wirklichkeit im Bild aufheben) 1989 in Graz präsentiert. Diese intensive Zusammenarbeit, die mit der Routine von üblichen Austauschausstellungen nicht zu vergleichen ist, sei nicht nur deshalb erwähnt, weil es der erste internationale Auftritt W. W. Angers war, sondern vor allem aus einem weitaus wichtigeren Grund: Die Teilnahme hat bestätigt, dass ein seiner Arbeit zugrunde liegender Kunstbegriff über den lokalen Raum hinaus von Interesse war.

Formale und inhaltliche Schwerpunkte haben überregionale Aufmerksamkeit erzeugt, obwohl sie, oder richtigerweise wohl: weil sie in dieser spezifischen Auseinandersetzung nicht im Mainstream der Kunstproduktionen gelegen sind. In Österreich, im Besonderen aber in der Steiermark, standen Tendenzen im Mittelpunkt von Präsentationen, die einen engen Rahmen nicht überschritten. Nach der am Beginn der 1980er-Jahre vor allem von Wilfried Skreiner, dem damaligen Leiter der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum, forcierten „Neuen Malerei“ verlagerte sich der Schwerpunkt in der Mitte des Jahrzehnts zwar vom Bild auf die dreidimensionale Gestaltung, die jedoch in zahlreichen Beispielen noch aus dem Geist der postmodernen Bildauffassung gespeist war. Eine Reihe von Ausstellungen kann diese Analyse belegen. In Graz hat sich die Situation insofern zugespitzt, als mit dem Wiederauftauchen der Malerei vor dem internationalen Kunsthorizont durch die Person des Galeriechefs lange Jahre eine einseitige Orientierung stattfand, die in erster Linie darauf abzielte, KünstlerInnen, die ihre Haltung nicht ausschließlich als subjektive Invention von Artefakten, sondern als Intervention im Kultur- und Gesellschaftsraum ausformulierten, als VertreterInnen unaktueller und „gescheiterter“ Tendenzen der 1970er-Jahre abqualifiziert wurden.

Im Gegensatz zu diesen die Grazer und die steirische Szene nachhaltig beeinträchtigenden Ausschlussverfahren rückte der Blick von internationalen Jurymitgliedern für die Vergabe des Förderungspreises des Landes Steiermark für zeitgenössische bildende Kunst einmal jährlich die Positionierungen entscheidend und überzeugend zurecht. So wurde beispielsweise, um den entsprechenden Zeitraum heranzuziehen, 1987 die mit dem Medium Keramik arbeitende Künstlerin Irmgard Schaumberger für eine Installation mit minimalistischen, roh gebrannten Objektformen mit dem ersten Preis ausgezeichnet, 1988 das Künstlerduo Horáková & Maurer für eine komplexe Installation, bestehend aus einem Dutzend mechanisch rotierender Gymnastikbälle und einem monumentalen Fotobild, das auf die Sport-Ästhetik der 1930er-Jahre rekurriert. Auch die Kunst von WWA hat erst durch eine nicht von Wilfried Skreiner kuratierte Ausstellung (Raum für Raum, 1989) sowie durch die Zuerkennung eines Ankaufspreises durch eine internationale Jury Eingang in das Museum gefunden5Für eine etwas reduzierte Form der Installation Materialfluss im Jahr 1991., ein Umstand, der sich erst nach dem Ausscheiden des Galerieleiters 1992 geändert hat.

Für die Ausstellung in München entwickelt WWA ein vielgliedriges räumliches Ensemble, das sich durch einen eminenten Detailreichtum auszeichnet. Dadurch verändert sich die Matrix seiner Arbeitsmethode, nicht aber die Basis der immer wieder neu forcierten „referentiellen Kontiguität“ (Dubois)6Vgl. Anm. 2..

W. W. Anger, Bon jour Docteur Guillotine, 1986/87

W. W. Anger, Bon jour Docteur Guillotine, 1986/87

W. W. Anger, Revolvere, 1986

W. W. Anger, Revolvere, 1986

In Revolvere und Bon jour Docteur Guillotine (beide 1986) steht eine Archaik der Formensprache im Mittelpunkt, die Konzentration auf jeweils ein Objekt und dessen materielle und inhaltliche Kombinatorik bestimmt die ästhetische Qualität. Holz, Beton, Blech und Granit als Materialien schaffen jene konzentrierte metasprachliche Ebene, auf der mit vergleichsweise wenigen Elementen bildhaft assoziativ argumentiert wird. In einem Vorgang, der im übertragenen Sinn mit einem Zoom-Effekt vergleichbar ist, richtet sich der Fokus beispielsweise auf ein keilförmiges Blechobjekt, auf dem die Börsenberichte aus dem Wirtschaftsteil einer Zeitung affichiert sind und zwei mit linearen Zeichen versehene Granitblöcke (Maximilien de Robespierre) oder auf die gerade noch in Balance gehaltene Verschränkung einer mobilen Holzstange mit einem Metallrad (Revolvere).

W. W. Anger, Kommunizierende Gefäße (Der Traum vom Unterbewusstsein), 1987

W. W. Anger, Kommunizierende Gefäße (Der Traum vom Unterbewusstsein), 1987

In der betonten Nähe zum Einzelobjekt nimmt dieses den Charakter eines Vehikels an, wobei der Referent, nicht aber die Logik der Verbindungen und Verweise – ebenso wie in Kommunizierende Gefäße (der Traum vom Bewusstsein), 1987 – außerhalb des alltäglichen Erfahrungshorizonts steht. Es handelt sich bei diesen im Gegensatz zu späteren Arbeiten um ein Dispositiv, in das zwar Spuren eingetragen sind, die allerdings eher auf ein metonymisches Verfahren verweisen als auf ein strikt indexikalisches. Wenn also der zylindrische, fast zu einer Bombenform zugespitzte Blechkörper ein „Gefäß“ in Form eines Steinblocks an die Seite gestellt bekommt, dann verstrickt sich das physikalische Gesetz des Gleichstands von Flüssigkeiten bei jeder Zufuhrmenge sowohl im optischen als auch im inhaltlichen Sachverhalt der materiell unterschiedlichen und zusätzlich verschlossenen Formen sowie im Paradoxon der Kommunikation im ein- und ausgeschalteten Bewusstseinszustand.

In der Designstudie für ein Starwarprogram oder Die Leere dazwischen, eine Anordnung, die in der Münchner Lothringerstraße präsentiert wurde, nimmt das Dispositiv konkretere, im Erfahrungsschatz der Betrachter stärker verankerte Bildmotive auf. WWA richtet sein Formenvokabular auf eine radikalere Fragmentierung aus, die in mehrfacher Hinsicht wirksam wird.

W. W. Anger, Designstudie für ein Starwarprogram oder Die Leere dazwischen, 1988

W. W. Anger, Designstudie für ein Starwarprogram oder Die Leere dazwischen, 1988

Im Wahr-Nehmen, um die entscheidenden Rezeptionsmöglichkeiten herauszugreifen, wird die Ästhetik des Bruchstückhaften zu dem erwartet ganzheitlichen Entwurf eines Designs in Widerspruch stehen und damit die machtpolitische Realität zu einer reflexiven, wenn nicht aufklärerischen Kunst-Inszenierung führen, was nicht nur an den Atompilz-Skulpturen auf Sockeln – die zimmergerechten Trophäen einer militärischen Vernichtungsoperation – festzumachen ist. Es handelt sich weniger um eine zynische Strategie, wenn hier der Bronzeabguss einer Glühbirne oder einer Bierdose von Jasper Johns zitiert wird, als vielmehr um eine folgerichtige Ausweitung der Konsumgegenstände auf von der Rüstungsindustrie entwickelte Produkte, deren präzise Form die Medienmaschinerie in alle Welt frei Haus geliefert hat und weiter liefert. In der „Leere dazwischen“, strukturiert von Markierungspunkten, deren „außerirdische“ Realität letztlich einen immer größeren Anteil am Lebensraum nimmt, bewegt sich der Mensch, fortschreitend in die Geiselhaft politischen Designs genommen.

Greift man aus dem künstlerischen Angebot der Besucher7An der Ausstellung haben neben W. W. Anger auch Horáková & Maurer, Richard Kriesche, Klaus Schuster, TEER (Wolfgang Temmel/Fedo Ertl) und Erwin Wurm teilgenommen.nur eine Position heraus, dann zeigt sich im Vergleich mit Erwin Wurms Krieg der 50er mit den 60ern bereits das eigenständige Profil von W. W. Angers Kunstauffassung. Wurm hat seine ebenfalls gesuchten und gefundenen Materialien zu mehreren Objektkompositionen zusammengefügt und dynamisch akzentuiert im Raum verteilt. Durch den Einsatz eines Bleiüberzugs werden die Gegenstände in ihrem Äußeren vereinheitlicht, und es wird ihnen dadurch bewusst ihre materielle Charakteristik genommen. Dem gegenüber stehen bereits auf den ersten Blick die Formenvielfalt und die unterschiedliche Stofflichkeit in der Designstudie. WWA glättet seine Fundstücke, seine daraus erstellten Werkelemente nicht, sie werden zu ebener Erde und im Raum schwebend zu Koordinaten, ausgestattet mit einem unmittelbaren Transferpotenzial. Das bedeutet, dass hier ein anderer Modus im Umgang mit Objekten und Raum im Spiel ist. Auch wenn sich in beiden Fällen der skulpturale Ansatz aus der Eigenkreation ab ovo entfernt hat, zeigen sich klare Unterschiede im Einsatz der Mittel. Während wir bei Erwin Wurm richtigerweise von einem imaginierten „Kriegsspiel“, transportiert über ein neutraler gehaltenes Formenvokabular, ausgehen müssen, spannt WWA den Bogen in Richtung einer nicht verdeckten gesellschaftlichen Wirklichkeit, für die seine Materialfragmente den Anhaltspunkt insofern liefern, als sie die Referenz zu Handlungsprozessen herstellen, also einen deutlichen indexikalischen Modus verfolgen. Mit dieser Absicht ist so etwas wie eine visuell bestimmte Versuchsanordnung verknüpft, deren Ziel weniger ein einheitliches Ganzes als das wiederholte punktuelle Auslösen von Assoziationsketten ist.

W. W. Anger, Woran wir uns gerne erinnern, 1988/89

W. W. Anger, Woran wir uns gerne erinnern, 1988/89

Eine Disparität der Ebenen, die in erster Linie für das Frühwerk charakteristisch ist, zeigt sich als zentrale Sprachform in der Installation Woran wir uns gern erinnern (1988/89). Aufgelöst kann diese scheinbare Unvereinbarkeit nur durch die BesucherInnen bei entsprechender „Anteilnahme“ am Kunstwerk werden. Wenn in Untersuchungen zum Thema des Rezeptionsverhaltens immer wieder davon die Rede ist, dass der Betrachter, die Betrachterin das Werk vollendet, dann zielt das wohl im strengen Sinn ausschließlich auf Arbeiten, die eine physisch aktive Handlung von Seiten des Publikums erfordern, indem es Schalter umlegt, Kontakte auslöst oder letztendlich Geräte bedient. WWA richtet seine Strategie auf das aktive Erinnerungsvermögen, auf die Fähigkeit, ein Erlebnis zurückzuholen.

Im Wissen um die Problematik, wenn nicht gar die Unmöglichkeit eines solchen Anspruchs, werden die Erfahrungsräume a priori gesplittet, ein Verfahren, das die Möglichkeit eröffnet, das Private und das Kollektive als Grundkonstanten der Orientierung zu thematisieren. Die Mondlandung, der erste Schritt vom Lebensraum in einen bislang konstruierten und vermessenen Vorstellungs- und Wissenschaftsraum, bildet zugleich den Ausgangspunkt und den Anlass für den ausführlichen künstlerischen Kommentar. In ihm scheint die traditionelle Ästhetik der Mimesis ebenso auf wie die Metapher als Form der Analogie in der Herstellung von dreidimensionalen Bildern. Von der NASA veröffentlichte Fotos der ersten Berührung eines Himmelskörpers außerhalb der Erde durch einen menschlichen Körper hängen als bronzierte Reliefs an der Wand, unterbrochen vom in derselben Technik hergestellten Abbild eines Biedermeierkastens, ergänzt durch ein vergrößertes Detail aus dem Bild der Landung – das Bein der Mondfähre. Auf dem mit Sand bedeckten Boden steht eine mehrteilige Konstruktion aus unterschiedlichen Materialien, vorgefundenen und dann miteinander in Beziehung gesetzten. Von diesem „Zentrum“ aus führt ein länglicher transparenter Quader – einem Gang ähnlich – diagonal auf eine kleine Stellage zu, in die zwei Betonblöcke geschlichtet sind; auf dem Kästchen steht ein Glas mit einer Rose. Keines der Elemente ist in eine als perfekt geltende Form gebracht, die Holzoberflächen sind unbearbeitet, die Reliefs verschieden groß und nicht exakt im rechten Winkel. Das disparate Klima herrscht im gesamten Raum, Schwankungen sind einkalkuliert und es gibt keine Anzeichen, sie auszugleichen.

Es ist nur zu verständlich, dass wir uns von den Abbildern aus zu orientieren beginnen. Nachdem also bereits an der Wand der Raumsprung vom Weltall (Astronaut) zum Wohnbereich (Kasten) stattfindet, kann ein analoger Denkprozess im dreidimensionalen Bereich weiter in Gang gesetzt und von den durch das Material imaginierten technoiden in die persönlichen Bereiche weiter fortgesetzt werden: Das Erlebnis, an das wir uns gern erinnern, hat tatsächlich mit oder ohne Blumen in mindestens 500 Millionen Zimmern – im Übertragungsraum – vor den Fernsehgeräten stattgefunden, auch wenn real eine beträchtliche Raumstrecke dazwischen lag. Doch an dieselben Bilder sind unterschiedliche Erinnerungen geknüpft, weil bereits das realzeitliche Erlebnis unter anderen Voraussetzungen gestanden ist. Weitaus befremdlicher als die Relieftafeln, die den Charakter privater Dekoration oder Information tragen, würde die ausgefahrene Stütze des Fluggeräts in den persönlichen Raum eindringen, wäre es möglich, die unterschiedlichen Raumkompartimente voneinander zu trennen. Sie überlappen sich von Anfang an, geben über das konkrete Ereignis hinaus Auskunft über die Formatierung von Erinnerungen und bestätigen ein knappes Jahrzehnt vor 9/11, dass sich trotz einer komplexen Verschachtelung von Wahrnehmungsebenen eine Vielzahl von medialen Bildern unauslöschlich in das Gedächtnis einschreibt, selbst wenn zum Zeitpunkt ihrer Reproduktion nicht auf Anhieb zu unterscheiden war, ob es sich um eine dramatische Film- oder eine Realszene gehandelt hat.

WWA begnügt sich in diesem Werk und auch in späteren Arbeiten nicht mehr mit einem einzigen Fokus wie etwa bei Revolvere. Seine in den Raum gesetzten Konstellationen fächern sich auf, nähern sich teilweise filmischen Sequenzen an, benötigen den Modus der Entwicklung einer Szenerie. Ausnahmslos sind in die Installationen „Ecken“ eingebaut, sei es im Bezugssystem der Objekte zueinander, sei es in der immer wieder praktizierten Materialkonfrontation oder in der Präsentationsform, die auch – hier wendet er sich mehrfach bewusst gegen den üblichen „Museumsstandard“ – auf Schragen oder Tischen stattfinden konnte.8So präsentierte er die Arbeit Module einmal auf einem Tischtennistisch, ein anderes Mal ordnete er sie „wie in einem Architekturbüro“ an. Nicht immer wurde erkannt, dass es sich bei der Auswahl der Werkstoffe nicht um Verlegenheitslösungen handelte, sondern dass dem Künstler ein unmittelbarer Bezug zum Ausdruckswert, der sich sowohl spontan einstellen konnte oder am Ende eines längeren Prozesses des Aufspürens von Materialien stand, unverzichtbar war.

Immer wieder – wenn auch auf unterschiedlichen Ebenen – spielt im Werk von WWA das Einbringen persönlicher Erfahrungen und eine ausführliche Reflexion darüber eine entscheidende Rolle. Abgesichert werden diese reflexiven Komponenten durch eine ausführliche Beschäftigung mit Antworten auf Fragen des Weltverständnisses, die in erster Linie aus den Fachgebieten der Sozialwissenschaften, der Soziologie, der Systemtheorie aber auch aus der Literatur stammen. Dieser durch zahlreiche Autoren vertiefte Blickwinkel schlägt sich in der Konzeption der meisten Projekte ebenso nieder wie das eigene Interesse an kommunikativen und Beobachtungsphänomenen. Verknüpft sind die Schwerpunkte eines immer wieder neu innerhalb klarer Grenzen abgesteckten Arbeitsfeldes mit dem Freilegen von Erfahrungspotenzial und dem unbändigen Drang, die Abläufe von Information aufzuspüren respektive die Bereitschaft dazu anzustacheln. Dabei spielen politische und gesellschaftliche Komponenten die entscheidende Rolle. Immer wieder sind die aufgegriffenen Bezugssysteme mehrschichtig und schließen neben autobiografischen Momenten die Schärfung der Beobachtung oder ein bildungspolitisch gekennzeichnetes Verhalten im Umgang mit der Aufarbeitung von Geschichte und die Bewertungskriterien von Objekten der klassischen Moderne mit ein, um nur einige Beispiele des vor allem Ende der 1980er-, Anfang der 1990er-Jahre eingesetzten Verweismodus anzuführen.

W. W. Anger, Materialfluss, 1989/90

W. W. Anger, Materialfluss, 1989/90

Im Materialfluss (1989/90) werden im Vergleich zur Designstudie kompaktere, konzentriertere Raumzeichen eingesetzt. Die Vielteiligkeit des Ensembles weicht einer Installation aus idealen geometrischen bis minimalistischen Formen, die ein klares, den Raum akzentuierendes Zentrum bilden. Wären da nicht die in das diagonal postierte Pentagon – für WWA Symbol der Beobachtung und Observierung – und in den mit ihm verschränkten halbkreisförmigen Bogen eingeschnittenen Schächte, könnte man an einige von anderen KünstlerInnen stammende skulpturale Gestaltungen aus dieser Zeit denken. So aber finden sich im zentralen Teil der Installation wie in den Wandkonsolen und in dem am Boden platzierten Quader (alle aus unbehandeltem Sperrholz) aus Gips geformte Straßenfahrzeuge mit bronzefarbenem Überzug in den Öffnungen. Dadurch taucht wiederum, in einer neuen Formulierung, ein spezifischer Verweischarakter des Werks auf. Der über und in Konstruktionen fließende und ruhende Verkehr suggeriert über das Vehikel Automobil eine ausschnitthafte, dynamisch inszenierte Mobilität. Material und Materialien fließen im Kreislauf der Wirtschaft und des Kapitals.

Dass unter der Oberfläche der bürgerlichen Wohlstandsgesellschaft zerstörerische Kräfte schlummern, wie es Jean-Luc Godard 1967 in seinem Film Weekend thematisierte, mag für den Cineasten WWA durchaus eine thematische Anregung gewesen sein. Als gelernter und bekennender Bildhauer fand er einen unvergleichlichen Weg der Darstellung, in der gesellschaftliche Implikationen über das gestalthafte Denken zur Form werden. Erstmals präsentiert auf dem 25. Salon für bildende Künste in Zagreb, zu dem KünstlerInnen aus Kroatien, Ungarn, Deutschland und Österreich eingeladen waren, wurde Materialfluss von einer internationalen Jury mit der Begründung, es handle sich um eine „inhaltlich wie formal hochinteressante zeitgeistige künstlerische Manifestation“ der erste Preis zuerkannt. Es kam zu dieser Zeit nicht selten vor, dass mehrere Themenbereiche nahezu gleichzeitig konzipiert und kurz hintereinander ausgeführt wurden.

W. W. Anger Zeiträume, 1990/91

W. W. Anger, Zeiträume, 1990/91

In der Arbeit Zeiträume steht 1990/91 die Auseinandersetzung mit Bildern als ästhetisch und ideologisch konfigurierte Informationsträger im Zentrum. Nicht dass WWA nicht schon vorher, wie auch angesprochen, übersetzte Bilder in seine Ensembles miteinbezogen hätte, doch hier konzentriert sich die Raumgestaltung ausschließlich auf sie. Den skulpturalen Anteil an der Installation markieren optische Einrichtungen auf Fotostativen, 22 mit deren Hilfe die Bildwerke an der Wand vom Raum aus ins Visier genommen werden können. Mit dieser Anordnung wird der Beobachtungsstatus der BetrachterInnen über den üblichen Prozess hinaus definiert. Hier handelt es sich um das Forcieren einer Aufmerksamkeit, wie zu erwarten, nicht auf beliebige Abbildungen, sondern auf kulturhistorische Markierungen, 23 die in der Darstellung von österreichischen Pionierleistungen im Straßen- oder Kraftwerksbau (Großglockner-Hochalpenstraße, 1935, oder Turbinenanlagen aus den 1950er-Jahren) Geschichte, besser: den Umgang mit Geschichte, Nationalstolz und identitätsstiftende Aufbauarbeit im Sinne eines im Detail nicht reflektierten politischen Bildungsprogramms reproduzieren.

Die Vorlagen stammen aus Geschichtswerken und Schulbüchern und werden dem Konzept entsprechend zur einen Hälfte als vergrößerte Kopien an die Wand gebracht, zur anderen in Linolschnitte übertragen, die durch die Beschränkung auf Schwarzweiß und den expressiv gesteigerten Duktus die heroische Implikation ins Spiel bringen. Auf Ausschnitte sind die Reproduktionen deshalb reduziert, um den öffentlich praktizierten fragmentarischen Charakter des historischen Nachvollzugs sichtbar zu machen. Zudem kann erst bei bewusster und genauer Beobachtung durch die „Sehmaschinen“ hindurch Ordnung in die Bilder gebracht und danach, möglicherweise, die heimatkundliche Perspektive zurechtgerückt werden. Voraussetzung dafür ist das von William Burroughs9William Burroughs, Western Lands (The western Lands), Dt. u. mit einem Nachw. v. Carl Weissner, Limes: Frankfurt/M, Berlin, 1988. entliehene Zitat „Nichts existiert, solange es nicht wahrgenommen wird“, das von WWA durch „nicht einmal die Vergangenheit“ ergänzt wird.10Heimo Ranzenbacher hat auf die Ergänzung des Zitats hingewiesen. H. R., Die Optik der Zeiten, in: Kronen Zeitung, Graz, 23.7.1990.

Was diese Arbeit im Besonderen auszeichnet, ist die Reaktion des Künstlers und seines formalen Repertoires auf den bestimmenden Ausgangspunkt. Nicht eine einmal entwickelte und in der Folge immer wieder leicht abgewandelte Sprache zwingt den „Anschauungsunterricht“ in eine künstlerische Form, sondern, aufmerksam für die Laufrichtung der Kausalitäten, entwickelt sich das Verfahren unabhängig vom eingeübten Vokabular aus dem Anlass heraus. So wird hier auf die Materialkonfrontationen verzichtet oder auf den, wenn auch bereits mehrfach gebrochenen, bildhauerischen Zugriff, und neuerlich steht der Kunstbegriff in der Weise zur Disposition, dass die Methoden in Referenz zum Ausgangspunkt der künstlerischen Haltung und der daraus abgeleiteten Handlung abgestimmt werden.11Heimo Ranzenbacher formuliert es radikaler, wenn er vom Scheitern von Ideen, der des heimatkundlichen Industrie-Realismus oder des Sozialistischen Realismus spricht und weiter ausführt: „Unter diesem Aspekt des Scheiterns ist dann auch die traditionelle Idee der Skulptur zu sehen. Anger nimmt die Fragwürdigkeit eines (gesellschaftlichen) Wertes zum Anlass, sein eigenes Metier einer Überprüfung zu unterziehen“. H. R., vgl. Anm. 10.

W. W. Anger, Maxi und die großen Leute (Kunstgeschichte für Unterstufen), 1990/91

W. W. Anger, Maxi und die großen Leute (Kunstgeschichte für Unterstufen), 1990/91

Den Beleg für diese These kann ein kurzer Blick auf die Werke Beleuchtungs- und Verwaltungsfragen (Ein plastischer Kommentar), 1988/89, oder Maxi und die großen Leute. Kunstgeschichte für Unterstufen, 1990/91, liefern. Sind es im ersten Beispiel zehn Kästchen mit von der minimal art angeregten Betonformen gefüllt, am Anfang und am Ende der Reihe Medaillons von Sokrates und Platon in Bronze-Imitat und diesen, vom Index ins Symbol übergeführt, ebenfalls aus Gips geformt eine Glühbirne bzw. ein Aktenlocher zugeordnet, so finden wir in der zweiten Arbeit aufklappbare Schachteln, die in Form von verglasten Schaukästen capo lavori der jüngeren Kunstgeschichte, collagiert und weitergebaut mit Resten seines eigenen Kinderspielzeugs, zeigen: Wie man nicht dem toten Hasen die Kunst (Beuys), sondern dem Maxi die Kunstgeschichte erklärt. In beiden seriellen Werken unterscheidet sich der Gestaltungsmodus dem Konzept entsprechend zwar, aber dennoch stehen sie sich näher als jedes von ihnen der Zeiträume-Installation. Diese verschiedenartigen Ausformungen innerhalb von zwei Jahren charakterisieren den künstlerischen Zugang weniger als beliebige Variationsbreite, denn als bewusste Suche nach gestalterischen Instrumenten und deren Kontiguität zum thematischen Ansatz – ein Befund, der in dieser Konsequenz ab den 1990er-Jahren bis zum letzten Werk, 2003, besondere Aktualität besitzt.

Ein Versuch, die künstlerische Praxis W. W. Angers mit der seiner Zeitgenossen – im Speziellen mit jenen etwa seiner Generation, die ebenfalls durch Herkunft oder Ausstellungstätigkeit einen intensiven Graz-Bezug aufweisen – zu vergleichen, kann exemplarisch das Profil der Arbeiten und Projekte schärfen. Wenn der Blick dabei auf Manfred Erjautz, Michael Kienzer oder Werner Reiterer fällt, können nur punktuell Gestaltungsmethoden skizziert werden, alles andere würde den Rahmen dieses Beitrags überschreiten. Selbst in der vorgenommenen Form bin ich mir bewusst, dass das Unterfangen problematisch ist, weil es die Werkentwicklungen zu berücksichtigen nicht in der Lage ist. Dennoch: Der Blick sei trotz aller möglichen Unschärfen gewagt. Kienzers Werk charakterisieren unter anderem über einen längeren Zeitraum hinweg Skulpturen aus Glas, die, aus zahlreichen Schichten bestehend, den verwendeten Klebstoff als sichtbar gebliebene und damit auch aktivierte gestische Spur oder im Glasblock „gefangene“ Buchstabenfragmente als transparenten Kern enthalten. Auch hier ist – abgesehen von radikaleren Interventionen wie der Teilung eines Ausstellungsraums mittels einer diagonal gespannten Kordel oder der Formatierung einer Teppichrolle zum referentiellen Kunstobjekt – die Materialästhetik in konzentrierter Form von entscheidender Bedeutung.

Greift man aus dem Œuvre von Manfred Erjautz Bezeichnendes heraus, dann sind es unterschiedliche Verarbeitungen der „Logokultur“, die als Sticker Räume markieren, als Aufnäher die Gewänder der Schaufensterpuppen-Familie zieren oder über die in die Lichtplastik übertragenen Initialen ME den Ich-Bezug respektive in der um 180 Grad gewendeten Leserichtung das kollektive WE als exakt produzierte Werkstücke solitär in den Raum setzen. Für Werner Reiterer gilt als Primat das Moment der Wahrnehmungsverschiebung, der er jedes Material unterwirft, auch das a priori nicht verformbare. Wenn er, wie in früher Zeit, Möbel dekonstruiert, indem er sie durch das Ausgießen mit Beton in einen Block verwandelt, dann ist in diesem Vorgang die Codierung der alltäglichen Funktionalisierung als „Gegenbild“ mit eingeschlossen. Bereits diese bei weitem nicht in die Tiefe reichenden Streiflichter auf parallel laufende künstlerische Positionierungen mit großem Gewicht12Die drei genannten Künstler sind auf dem nationalen und internationalen Kunstmarkt präsent. bringen strukturelle und inhaltliche Unterschiede an die Oberfläche. WWA scheint sich den erwähnten Beispielen gegenüber weitaus bestimmter in die oft rezeptiv kippenden Details der Materialsprache zu „verlieren“ und dabei über die Einzelheiten das Ganze mit jener auf- und abschwellenden Metaphorik auszustatten, die es ihm erlaubt, den Korpus der Gesellschaft als System und die Kommunikation in ihrer Funktion als zwar zentralen, jedoch nicht eindimensional aufschließbaren Vorgang als wesentliches Thema im Auge zu behalten. Sein künstlerisches Credo ist weit davon entfernt, ein pointiertes Verrücken der Wahrnehmung als Ziel anzustreben, die Aufmerksamkeit auf die bedeutsame Ebene des Vergleichbaren, das sich als ein Anderes herausstellt oder auf einen direkten, konzeptuell wie sinnlich überzeugenden Text/Bild/Objekt-Transfer aus der Realwelt zu richten – die Kognition erfolgt weitgehend über einen ausschließlich im handwerklichen Nachvollzug gebauten Mikrokosmos.

Zwei Arbeiten aus dem letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts können als Schlüsselwerke für den Kunstanspruch von WWA bezeichnet werden, auch wenn sie sich in der Thematik und der Ästhetik diametral gegenüberstehen.

W. W. Anger, Das Ding?, 1992

W. W. Anger, Das Ding?, 1992

Die Rede ist von Das Ding?, 1992, und von Egozentrisches Universum, 1990-92. Beide verkörpern jeweils die „geschlossene Form“, das heißt die Konzentration auf einen einheitlichen gestalterischen Duktus, wie er nach der Mitte der 1990er-Jahre für die jeweilige Konzeption und Ausführung bestimmend wird. Das Ding? besteht aus 25 kleinen bunten Kartontruhen, aus 54 Verpackungshüllen (Karton und Kunststoff) sowie aus der vierteiligen Linoldruckserie Zoom und dem Linoldruckpaar Tag und Nacht. Mit dem Heidegger-Zitat „Viel näher als alle Empfindungen sind uns die Dinge selbst“ wird die Boden- und Wandinstallation einbegleitet. Auf den Kunststoffverpackungen, von denen nur noch die transparenten Zelte über den Gegenständen erhalten sind, auf den kleinen im Raum ausgebreiteten Kartontruhen sowie auf dem flächig-linearen Abbild der leeren Hüllen setzen sich Texte aus Martin Heideggers „Der Ursprung des Kunstwerks“ fort.

W. W. Anger, Das Ding?, 1992

W. W. Anger, Das Ding?, 1992

Diese vielteilige und mehrschichtige Arbeit des Grazer Künstlers ist ein Schlüsselwerk zum Verständnis seines zwar immer wieder veränderten, aber mit einigen durchgehenden Konstanten versehenen skulpturalen Werks. WWA klinkt sich damit auch in einen seit den späten Achtzigerjahren relevanten geistig-ästhetischen Diskurs ein, der über die Strukturierung des dem Menschen zur Verfügung stehenden Erfahrungspotenzials und seines Ursprungs ebenso grundsätzlich geführt wird wie über die Rolle und „Beschaffenheit“ einer Kunst, die sich den erweiterten, veränderten Ressourcen – den wissenschaftlichen, sozialen und ästhetischen – verpflichtet fühlt; die das mimetische und/oder imitative Verhalten bzw. die sichtbare Gestalt unter diesen oder unter entgegengesetzten Prämissen verkörpert. Die Frage nach den Bildern, die dem Menschen näher denn je auf den Leib rücken, nach den Differenzen zwischen dem Wirklichen und dem Symbolischen in der neuen, nicht nur durch die elektronischen Medien veränderten Konstellation wurde wiederholt gestellt und zu analysieren versucht. Auf einer ähnlich virulenten Diskussionsebene, die teilweise mit der vorhin genannten verknüpft ist, erscheinen in zahlreichen modellhaften Umsetzungen, als Artefakt oder als prozesshafte Anordnung und Handlung, die Begriffe Ready-made oder Realfragment. Das heißt, dass die an den Menschen drängenden Bilder einer in höchstem Ausmaß visualisierten Umwelt neue Denkmuster und Produktionsverfahren evozieren. Die Bilderwelt wird nicht im Schaffen von „Gegenbildern“ ausgeklammert, ebenso wenig aber in ihrem bloßen Augenschein bestätigt. Welche begriffliche und habituelle Gradation aber besitzt das Kunstwerk, das sich weder im bloßen Abbild erschöpft noch eine verschlossene Innenwelt mit subjektivistischen Zeichen und Formeln nach außen stülpt?

W. W. Anger, Das Ding?, 1992

W. W. Anger, Das Ding?, 1992

Wenn wir Das Ding? – im Fragezeichen wird bereits die begriffliche wie auch die gestalthafte Identitätskrise des Gegenständlichen, nicht nur in der Kunst, vermerkt – weiterhin näher betrachten, finden wir eine von WWA entwickelte aufschlussreiche Grammatik vor. So unter anderem die Abwesenheit des Gegenstandes und seine Repräsentation durch die Hülle, die Verpackung, die die Funktion des Abbildes übernehmen. Dieser repräsentative Habitus signalisiert ein neues Verhältnismuster, das als Denkschema durchaus vor dem Hintergrund der traditionellen Symbolsprache funktioniert, deren begriffliche und eingeübte Festlegung allerdings aufhebt. Während die Pop-Art dem säkularisierten Symbol in erster Linie den konsumistischen Stempel aufdrückte, argumentiert und produziert die Kunst der Neunzigerjahre vorwiegend auf der Ebene der Konnotationen. Auch WWA bemüht nicht, um das extremste Beispiel in Erinnerung zu rufen, die Tautologie des Nachbauens von Brillo-Schachteln. Er entkernt jene spezifischen Ready-mades der eingeschweißten Produkte, deren Hüllen ihrer Neutralität als (nur bedruckte) Box beraubt werden.

Die Umrisse des Dings und der praktikable, leicht archivier- und präsentierbare Hintergrund sind die Bildträger einer fremdartigen Textualisierung: Heideggers philosophische Abhandlungen ersetzen den Produktnamen und das Firmenlogo. Zudem werden die Umrisse des Verpackungsobjektes, das seinem Gebrauchswert längst entzogen ist, auf die Deckel der kleinen, bunten Truhen projiziert. Dort könnte das zum grafischen Muster stilisierte „Leergut“ wiederum das Abbild des Inhalts repräsentieren. Die Projektionen, die Objekt- und Bildmutationen betreiben in dieser Anordnung und in dem lesbaren Realitätsgrad nicht mehr allein ein optisches Verwirrspiel, sie fügen sich aus ihren grammatikalischen Einzelteilen zu einer logistischen Abhandlung über den Realitätstransfer, in die mit veränderten Positionierungen Objekt, Bild und Text eingeschlossen sind. Diese skulpturale Praxis findet nicht mehr mit den „Grundrechnungsarten“ des frühen Joseph Kosuth das Auslangen, sie erweitert den Projektionsraum auf das Produktdesign, das mit den Einzelelementen hergestellte Szenario und eine jenseits der lexikalischen Definition gelegene Beschreibungs- und Interpretationsdimension.13Bei dieser Textpassage handelt es sich um eine gekürzte und teilweise veränderte Version meines Beitrags „Das ästhetische Universum als Re-Aktion“, in: W. W. Anger, Egozentrisches Universum, Graz, 1995.

W. W. Anger, Egozentrisches Universum 1990/92, Mausoleum Graz 1995

W. W. Anger, Egozentrisches Universum 1990/92, Mausoleum Graz 1995

Während also hier über eine dichte und außergewöhnliche ästhetische Matrix der Diskurs über das Ding, sprich: die Ware – anhand eines Ensembles, das aus eben diesen Ding-Objekten besteht – abgehandelt wird, verbildlicht Egozentrisches Universum 40 die Projektion eines von der Erde aus gesehen scheinbar objektiven Bezugssystems. Diese Deutung wird durch die Konstellation der Elemente nahe gelegt: Elf Sternbilder mit insgesamt 66 Sternen formen ein komprimiertes unendliches Universum, das sich zwar seiner räumlichen Positionierung nach als Modell des Blicks ins All zu erkennen geben mag, sehr rasch jedoch durch den beabsichtigten Bedeutungstransfer „korrigiert“ wird. Die an bestimmten Punkten im großen wie im kleinen Koordinatensystem angesiedelten Markierungen, die in einer Zusammenschau innerhalb der Distanzen Figuren erzeugen (können), entpuppen sich als Scherenschnitte von menschlichen Köpfen. Familienangehörige, Freunde, Bekannte und – am entferntesten Punkt – Ludwig Wittgenstein14„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, aus: Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, Frankfurt am Main, 1963, S. 89. WWA zitiert diesen Satz in einem Brief an seinen Freund Johann Becker und bringt ihn dort in folgender Weise mit seiner Arbeit in Verbindung: „Im Übrigen habe ich nur einen Toten in mein Universum aufgenommen, und zwar Ludwig Wittgenstein. Er ist des Zentrums fernster Stern und bewacht damit die Grenzen meines Universums…“, 11. 9. 1991.konstituieren, aus Messing geschnitten, die kosmische Bilderwelt.

W. W. Anger, Egozentrisches Universum 1990/92, Mausoleum Graz 1995

W. W. Anger, Egozentrisches Universum 1990/92, Mausoleum Graz 1995

Da WWA in dieser Installation, die an anderer Stelle des Werkbuchs noch genauer aufgeschlüsselt und als spezifisches Weltmodell verankert wird, folgerichtig vom Blickpunkt des Beobachters ausgeht, der, fiktiv an eine andere Stelle des Universums versetzt, einen komplett verschiedenen (Stern-)Bilder-Atlas vorfinden würde, splittet er den Begriff Perspektive in einen realen und in einen übertragenen Bedeutungsgehalt auf. Wir, im Raum des Mausoleums Kaiser Ferdinands II., seit Jahren ein Wunschort für die Präsentation, bevor es 1995 so weit war, sehen das räumliche Gebilde „falsch“ – es ist auf die Perspektive eines konkreten Ego ausgerichtet, verkörpert durch eine am Boden liegende Kopfplastik, die die Züge des Künstlers trägt. Seine Sternbilder sind nicht die astronomischen, schon gar nicht die astrologischen, sie setzen sich aus Gesprächspartnern, aus zur Kommunikation fähigen Menschen zusammen. Dem sakralen Gottes- und Weltbild, das Anger in diesem Raum so deutlich verkörpert fühlte, wird ein Abbild der sozialen Beziehungen, wird das gesellschaftliche Universum inkorporiert: vom Ego und von dessen Blickwinkel aus. Das bedeutet, dass jeder für sich die Sozialisationsprozesse einleitet und dass diese als eine der Grundkonstanten menschlicher Beziehungen jene Gesetzmäßigkeiten aufweisen, die wir dem Konstrukt der Sternenbilder zuschreiben. Mit der Verankerung der Idee im Makrokosmos erfährt sie einerseits universale Ansprüche15In diesem Zusammenhang soll ein zunächst vielleicht irritierender Vergleich angestellt werden: Als Wladimir Tatlin 1919/20 sein Monument für die III. Internationale als Modell vorlegte, bediente er sich auf einer anderen Ebene eines grundsätzlich ähnlichen Konzepts. Die Konstruktion folgt in ihrer dynamischen Diagonale dem Winkel der Erdachse. In das Spiralskelett sind von unten nach oben ein zylindrischer, ein pyramidaler und ein kubischer Raumkörper eingelassen. Sie beherbergen das Parlament, die Exekutive und die Informations- und Propagandazentrale, Räume, die sich im Jahres-, im Monats- und im Tagesrhythmus um ihre Achse drehen und so das architektonische Gebilde – und mit ihm in diesem Fall das Politische – in einen größeren Kosmos einbinden., andererseits wird die Wertigkeit von „Weltbildern“ und mit ihr die Ausrichtung von Orientierungen verrückt.

W. W. Anger, Egozentrische Gesellschaft, 1991/92

W. W. Anger, Egozentrische Gesellschaft, 1991/92

Eine zweite, der ersten verwandte Arbeit zum Thema Individuum und Gesellschaft trägt den Titel Egozentrische Gesellschaft, 1991/92, und entwickelt sich auf der vertikalen Dimension der Wand, auf der in einer Spiralform der Titel und fortlaufend die ineinander gesteckten Kopfsilhouetten, diesmal aus Sperrholz, angeordnet sind. Zitate aus dem Werk Strukturale Anthropologie von Claude-Levi Strauss überziehen als handschriftliche Textfragmente die Köpfe. In dieser Konzeption wird ein Standpunktwechsel vorgenommen, es „wird in dieser Plastik ein Modell der Situation von einem fiktiven Standpunkt außerhalb des Systems entworfen“.16W. W. Anger, Typoskript, o. J., aus dem Archiv des Künstlers

Verfolgt man die Entwicklung im Œuvre von WWA genau, dann steuert sie von den zuletzt genannten Positionen aus inhaltlich immer konsequenter und von den verwendeten Sprachmitteln in sich immer homogener auf das Thema systembestimmter Erfahrungs- und Kommunikationsräume zu. Ohne Widersprüche – im Gegenteil: als abwechslungsreiche Projektionen – figurieren Architekturmodelle und -bilder sowie neutrale Raumkapseln als ästhetische Träger dieses Formulierens. Wenn der Künstler den Fokus auf die Landschaft oder das urbane Ambiente scharf stellt, dann ist das Erkunden der Natur der Dinge, die in diesen Räumen zu finden sind, das Ziel seiner Beobachtungen und eines immer wieder neu aus diesem Kontext abgeleiteten Gestaltungsmodus. Dieser baut sich aus dem Konstruieren von Zusammenhängen, aus dem Erfassen von Abläufen auf, deren Parameter oft auf einem radikalen Perspektivenwechsel in Bezug auf Motive und deren Korrespondenz zueinander basieren. Auf welche Weise lässt sich eine Systematik in den wie zufällig aneinander gereihten Erscheinungsformen erkennen? Womit hängt was zusammen? Getrieben von der Absicht, unter den Oberflächenreizen auf den Kern der realen Konfigurationen zu stoßen, diese derart mit den Mitteln der Kunst in den Raum oder ins Bild zu setzen, dass übergreifende Strukturen erkennbar werden, dass ein bisher unbeachtetes oder neues Zusammenspiel des Seienden als Theorem aufscheint, werden die Darstellungsmodi zunehmend deutlicher zugespitzt. Immer steht, von unterschiedlichen Zugängen aus, das Ziel vor Augen, Modelle einer Wirklichkeitserfahrung zu entwickeln. Nicht dass sich die Kunst seiner Zeit, ob regional oder international, in mimetischen Gestaltungsmustern erschöpft hätte – doch die Strategie, modellhaft an der Entwicklung von Weltbildern zu arbeiten, lässt den künstlerischen Zugang in dieser Form weitgehend als singulär erscheinen.

W. W. Anger, Stadt/Land (Keiner weiß mehr), 1994/1995

W. W. Anger, Stadt/Land (Keiner weiß mehr), 1994/1995

Dieser Zugang charakterisiert beispielsweise in hohem Ausmaß auch das Werk Stadt/Land (Keiner weiß mehr) aus den Jahren 1994/95. Die Anordnung der Objekte erfolgt auf einer horizontalen Raumskala in elf Vitrinen. Unter Plexiglas mit farbig getönten oberen Scheiben finden sich Landschaftsformationen und Hausformen. In ihrer Abfolge nehmen die Objekte den Status von in die Dreidimensionalität übersetzten Filmstills ein, einzelne Kader aus dem beständigen Vorgang des Zoomens. Dieses fortschreitende Heranholen eines Motivs an den gleich bleibenden Aufnahmestandpunkt erfolgt von zwei unterschiedlichen Richtungen aus, die einen jeweils anderen Kontext repräsentieren: Auf der einen Seite ein Hochgebirgstal, auf der anderen die Stadt – in der Mitte der seriellen Anordnung treffen sich zwei „formatfüllende“ Häuser. Auf den Vitrinen scheinen Begriffe auf, die jeweils von links nach rechts bzw. von rechts nach links mit der Natur und dem zivilisatorischen Bereich assoziiert sind, bis sich der Text im zentralen Mittelstück vermischt. WWA verfolgt nicht Sichtweisen, sondern Konstruktionen der Wirklichkeit, eine Rezeption, die durch die durchgängig monochromen Polyesterskulpturen bestätigt wird. Die spezifischen Oberflächen treten hinter dem Primat der Gestalt – Haus und Umraum scheinen ein untrennbares Gebilde zu sein – zurück. Ihre Bedeutung ist auf den Wechsel der Perspektive, auf die damit in Verbindung stehenden unterschiedlichen Größenverhältnisse ausgerichtet. In einer nachvollziehbaren Konsequenz unterliegt der Index des Motivs einer zeit-räumlichen Verwandlung und fügt dadurch den zahlreichen Erweiterungen des Skulpturbegriffs eine neue Facette hinzu. Charakterisiert ist diese Positionierung nicht durch einen Übertragungsvorgang wie er, um zwei Beispiele anzuführen, bei Erwin Wurms One Minute Sculptures oder seinen Gewandfaltungs-Objekten eingesetzt wird, sondern durch die unterschiedliche Skalierung ein und desselben Motivs.

W. W. Anger, Homebase for Outer Space, 1999

W. W. Anger, Homebase for Outer Space, 1999

Bleiben wir dem Haus auf seiner referentiellen Spur, dann kann sie uns zur Rauminstallation Homebase for Outer Space (1999) leiten. Kartonobjekte, bestehend aus Quadern und Dachformen, schweben im Raum. Sie scheinen auf der Basis von Computeranimationen gefertigt zu sein, haben ihre Ursprung jedoch in den Abbildungen im Katalog der Firma Elk-Fertighaus, die ihr Angebot in dieser Form bereitwillig zur Verfügung stellte. Mit der Feststellung „So wie die Eigenheime durch den unstrukturierten Raum der Vorstädte und die Raumschiffe durch die intergalaktische Leere driften, so driften auch die Kartonmodelle durch den irrealen Raum des ‚white cube’“17W. W. Anger, Typoskript, o. J., aus dem Archiv des Künstlers., bringt WWA ein entscheidendes Moment seiner Installation auf den Punkt. Im Gegensatz zum statisch abgeschlossenen Stadt/Land-Vokabular dominiert nun eine für die Thematik trügerische Dynamik. Denn erst in der realen Verortung des einem Baukasten-System entnommen zu sein scheinenden Formangebots wird die dem Werk innewohnende Dialektik erfahrbar: Uniformität versus persönliche Freiheit, die man sich mit der Verwirklichung des Traums vom Eigenheim erkaufen zu können vermeint.

Die verfremdeten plastischen Formwucherungen zielen weniger auf die Kritik subjektiven Verhaltens, also auf das Phänomen des Besitzes und seiner Fetischisierung im Einzelnen; vielmehr wird das an den Peripherien urbanen Lebensraums beheimatete Statussymbol – den immer wieder aus der Beobachtung entwickelten Interessen des Künstlers folgend – vor dem gesellschaftlichen Hintergrund aufgefächert. Eine Annäherung an ähnliche, letztlich in die Gleichförmigkeit mündende Ziele zählt zu jenen Konstanten, die in der Geschichte des Kapitalismus, der Selbstverantwortung und Entscheidungsfreiheit predigt, ihren Niederschlag gefunden haben. Es überrascht nach den vorangestellten Beispielen nicht mehr, dass W. W. Angers Bezugspunkte außerhalb des Präsentationsorts liegen; dass er die je neu konfigurierte künstlerische Form über ihren sinnlichen Eindruck hinaus einem bestimmten wirksamen System zuordnet; dass er sich als Bildhauer einem Lebensraum gegenüber verpflichtet fühlt und ihn vom Systemraum Kunst aus bespielt, um die weiterführenden Kontexte der plastischen Objekte ins Blickfeld zu rücken.

W. W. Anger, Module, 1995/96

W. W. Anger, Module, 1995/96

In Module (1995/96) verlässt die äußere Form der Darstellung aufgrund offensichtlicherer Realitätsverweise scheinbar die Ebene einer die Form betonenden plastischen Gestaltung. An die Stelle der verschachtelten Eigenheimkörper wie in Homebase for Outer Space oder der von der Decke hängenden Hausformen von Landeanflug (1996/97), 49 die allein schon durch die im Raum eingenommene Position den künstlerischen Gestaltungsakt offen legen, treten zwanzig aus Karton gefertigte Architekturmodelle im Maßstab 1:80. In Verbindung mit dieser Konzeption steht erstmals, im weiteren Werkverlauf von WWA als wesentlicher Parameter weiterentwickelt, der forcierte Blick von außen nach innen, dorthin, wo sich das Zentrum des Geschehens zu befinden scheint. Die Betonung einer Wahrscheinlichkeit ist deshalb von Bedeutung, da erst die äußere Referenzform der Wohnanlagen den Übergang von einem Raum in den anderen und damit die Polarität von Wahrnehmung des Öffentlichen und des Privaten konstituiert. Aufgrund der bewusst klein dimensionierten Siedlungslandschaft erfordert der Beobachtungsvorgang ein exaktes In-Position-Bringen und Scharfstellen des Betrachterfokus – dem Verhalten eines Voyeurs vergleichbar. Hinter einigen niedrigen Fenstern ereignen sich „Szenen des Alltags“, in denen die Beziehungen von Menschen (als Modelleisenbahnfiguren) zueinander im Mittelpunkt stehen.

Es ist kein Zufall, dass sich diese exemplarischen Aktionen innerhalb der Rahmenform eines architektur- und städteplanerischen Dispositivs abspielen, ist dieses doch eine Konstante in einer Reihe von unterschiedlich konfigurierten Werkgruppen. Hier, in der Module-Konzeption, rückt jener Faktor in den Vordergrund, der in verschiedenen anderen Installationen bereits, wenn auch latent, in Form von mit Bedeutung aktivierten Zwischenräumen wirksam wurde: Untersuchungen zum Thema Kommunikation. Mit diesem Phänomen und seiner Verankerung innerhalb gesellschaftlicher Strukturen setzte sich WWA über einen längeren Zeitraum gedanklich, seine Handlungen und Absichten notierend, aber auch über unterschiedliche Theorien (von Seiten der Philosophie, der Soziologie wie auch der Naturwissenschaften) auseinander. Anlass dazu liefern ihm die immer einflussreicheren Raumerweiterungen durch die Virtualität, den Cyberspace und die verschiedenen Formen der Informations- und Kommunikationsnetze. Dennoch, konkreter: gerade deshalb konzentriert er sich auf die herkömmlichen Referenten des gesellschaftlichen Lebens, sowohl im inhaltlichen Ansatz als auch in der Darstellungsform. Ein wesentliches Charakteristikum dabei ist, dass in den praktizierten Low-Tech-Verfahren Kernbereiche des Erfahrungs- und Handlungsraums Gesellschaft eine plastische Gestalt annehmen, die weder einem hermetischen Habitus von Skulptur noch dem Status eines telematischen Nachrichtenkanals nahe kommt.

Der Blick auf das Öffentliche und das Private, der Einblick in diese einander bedingenden und die Lebensform bestimmenden Raumsegmente erfolgt nicht nur über eine formale Transparenz, wie sie in Subsystem oder Closed Circuit wieder auftauchen wird, sondern auch über groß dimensionierte Bildtableaus. In Import-Export-Freizeit, 1998, erscheinen Landschaften im Cinemascope-Format, in einem strengen Raster auf der Wand platziert. Sie entstammen kommerziellen Bildarchiven und wurden danach ausgewählt, dass Straßen – nicht zufällig in Anlehnung an Bildmotive der Romantik – in die Weite unberührter Natur führen. Jeder dieser in Acryl reproduzierten Reproduktionen ist der Name einer bekannten Automarke vorgeblendet. Am Boden davor stehen bunte Kartonautos in strenger Formation. Sie sind die Vehikel, die in den Medienbildern Mobilität garantieren. Die gleichförmig anonymen Fahrzeuge können über den Marken-Text der Autoindustrie zugeordnet und mit den Ebenen Wirtschaftsfaktor und Statussymbol verknüpft werden. Durch dieses forcierte In-Bezug-Setzen entschlüsselt sich der Charakter des Landschaftsraums als mediale Konstruktion und Projektion. In dieser Konstellation findet der zunächst nahe liegende Begriff des Symbols keine Anwendung mehr, da er sich als Index der Praxis einer inszenierten Wirklichkeit entlarvt.

W. W. Anger, Headquarter, 1998

W. W. Anger, Headquarter, 1998

Headquarter vereint auf einer Fläche von sechs mal vier Metern ein Kompendium von Stadtansichten und Einblicke in Shopping Malls. Sind die Städtebilder mit Filzstift (nach)gezeichnet, handelt es sich bei den Abbildungen der Einkaufszentren um Farbfotos. Auch hier, wie bei den meisten Beispielen aus den 1990er-Jahren, ist evident, dass nicht das einzelne Werkstück, sondern ausschließlich die Gesamtheit der Bild- oder Objektinformation von Interesse ist und so die Qualität der Arbeit bestimmt. Nur der nahtlose Übergang von einer Reproduktion in die andere ist in der Lage, das unbestimmte, aber charakteristische Rauschen als Merkmal der Information über den Status der funktions- und konsumorientierten, austauschbaren, vom Zentrum in die Peripherien und wieder zurück reichenden Weltoberflächen wahrnehmbar werden zu lassen.

W. W. Anger, Subsystem/ Zellteilung #1-7/ Anorganische Materie, 2000/2001

W. W. Anger, Subsystem/ Zellteilung #1-7/ Anorganische Materie, 2000/2001

In Subsystem/Zellteilung/Anorganische Materie (2000/2001) verstärkt WWA den Laborcharakter seiner räumlichen Anordnungen. Der Verweis auf einen biotechnologischen Status der Wirklichkeitserfahrung scheint als auffällige zeichenhafte Strategie das räumlich variierbare Ensemble von Subsystem zu bestimmen. Ein vergrößertes Molekularmodell, das sich entlang von Kommunikationskanälen durch den Raum spannt und in der „idealen“ Kugelform die Parameter von Zentrum und Peripherie analog zu biologischen, informationstechnologischen und praktizierten kulturellen wie gesellschaftlichen Erfahrungsmodulen nicht mehr eindeutig zuzuordnen vermag. In der gesetzmäßigen Veränderung eines ansteigend entwickelten Proportionssystems (Zellteilung 1-7), das knapp vor der Autonomie der Einzelteile abbricht, um Zusammenhang und Verknüpfung als Paradigma von Systemtheorien aufrechtzuerhalten, stoßen formal-künstlerische und inhaltlich-wissenschaftliche Darstellungsmuster aufeinander.

W. W. Anger, Subsystem/ Zellteilung #1-7/ Anorganische Materie, 2000/2001

W. W. Anger, Subsystem/ Zellteilung #1-7/ Anorganische Materie, 2000/2001

In der Anorganischen Materie 55 setzt sich ein räumlich ornamentales Gefüge auf einer reliefartigen Ebene fort. Diese ist sowohl in der Anordnung der „Medaillons“ – vom medialen Reproduktionsstatus aus eingespiegelte Porträts – als auch im Form gebenden Duktus der vorwiegend kantigen, schematisch eingesetzten Linien präsent. In diesen Konstruktionszeichnungen findet der Textkommentar, der den Verlust und die damit verloren gegangene Vorstellung eines zentralen Begriffs an der Schnittfläche von grundsätzlich „lebendiger“ und hochtechnologisch entwickelter „toter“ Erscheinungs- und Existenzform referiert, seine Entsprechung. Vor dem Hintergrund untereinander kommunizierender Maschinen kommt den als Ready-Mades eingesetzten Modellfiguren in den farbig unterschiedlich behandelten Glaskugeln wesentliche Bedeutung zu. Vor allem der Umstand einer deutlich wahrnehmbaren Skalierungsverschiebung ist dafür verantwortlich. In der modellhaften Anordnung im Raum stoßen der Blick von außen und ein Blick von innen nach außen aufeinander: Der Betrachter findet sich in seinem standardisierten Modell, das zur „Verlebendigung“ von Spielzeug-Eisenbahnen Verwendung findet, wieder.

In einem freieren oder in einem statischeren Habitus bevölkern die Eingeschlossenen die Netzknoten einer Installation, die von wissenschaftlichen Anschauungsmodellen ausgeht. Sie markieren entweder einen „Senderaum“, dessen Output nicht wirklich zu verfolgen ist, oder haben sich in einen Demonstrationsraum – Bill Grawen spricht auch von den berühmten Science-Fiction-„Raumstationen à la Perry Rhodan“18Bill Grawen, Emerging Subsystem, Typoskript, o. J., aus dem Archiv des Künstlers.  – eingenistet, der ihnen in der folgerichtigen Anordnung nur formal mehr und mehr Bewegungsraum zuerkennt. Mit der rigorosen Umkehr des Maßstabs treibt der Künstler die Verknüpfung der Betrachtungs- und Bedeutungsebenen in Bezug auf ihre Wertigkeit auf die Spitze. Innen- und Außenraum klappen spätestens nach einem intensivierten Blick auf die optisch ergiebige und scheinbar leichtfüßige Konfiguration auseinander und führen durch diese Entstabilisierung von Wahrnehmungsgewohnheiten zu einer Neubewertung von tradierten Verknüpfungsmustern ohne Ausweg, entscheidende Referenzpunkte zu aktuellen systemischen Strukturen und deren Auswirkungen auf unsere Erfahrungen im Bereich von Information und Kommunikation zu übersehen. Der Darstellungsmodus erfolgt nicht unmittelbar im Zusammenhang mit Datenmaschinen, sondern über die Ausbildung neu definierter, dem indexikalischen Schema verpflichteter Formen.19Dieser Abschnitt folgt im Wesentlichen einem Text des Autors, der unter dem Titel Referentielle Symbolformen. Zu den komplexen Subsystemen von W. W. Anger veröffentlicht wurde. Siehe: Lichtungen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Zeitkritik, 86 / XXII. Jg. / 2001, S. 112-126.

„Körperlos in isolierten Kopfwelten verfangen, partizipieren sie (die ca. 16 cm großen Köpfe der zehnteiligen Installation, Anm. d. Verf.) doch an einer kryptischen Kommunikation. Die in Plastikfolie eingeschweißten und mit Kabelbindern auf das Schlauchsystem gehängten Textfragmente aus J. G. Ballards Roman Crash201973 entstanden, setzt sich das Werk mit einer gesellschaftlichen Endzeit auseinander. sprechen von Leiden und Freuden der körperlichen Obsessionen in einer körperlosen Welt. Gotischen Textbändern gleich konstituieren sie zusammen mit den Köpfen, den Schlauchsystemen, den Kontrolllampen und den Fotostativen das Ornament einer schwierigen Kommunikation. Das rapide Verschwinden der Körper in der Kommunikation und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Kommunikation sind Hauptstränge dieses Ornaments.“21Bill Grawen, Typoskript, 2002, aus dem Archiv des Künstlers.

W. W. Anger, Closed Circuit, 2001/02

W. W. Anger, Closed Circuit, 2001/02

Dieser Text bezieht sich auf Closed Circuit, eine 2001/2002 realisierte skulpturale Raummarkierung. Sie muss als Weiterentwicklung von Subsystem gesehen werden, wobei einige Schwerpunktverschiebungen zu beobachten sind: Die Köpfe und die bunten, auf Kugelformen reduzierten Körper füllen die die Figuren bergenden, diese gegenüber der Außenwelt aber im gleichen Ausmaß verschließenden Hüllen, ortlos in Bezug auf eine gesellschaftsräumliche Situation, nahezu vollständig aus. Durch diese gestalterische Entscheidung verlieren sie die Qualität einer Szenerie und rücken dem Betrachter, trotz eines diminuierten Maßstabs, fast bedrohlich näher. Mit dem Einsatz der Stative, dieser statischen, im vorliegenden Arrangement zugleich skelettartig organisch wirkenden Konstruktionen, die in erster Linie zur Postierung einer Kamera herangezogen werden, kann ihre Anordnung im Raum wie auf einem Beobachterposten wahrgenommen werden. In dieser Lesart könnte sich das Verhältnis von Betrachten und Betrachtetwerden als Vorstufe eines Kommunikationsprozesses auch umkehren.

W. W. Anger, Seilschaft, oder wir kommunizieren nicht mit uns selbst, 1992/93

W. W. Anger, Seilschaft, oder wir kommunizieren nicht mit uns selbst, 1992/93

Die Fragen, die sich daraus ergeben, spielen im Werk von WWA auf unterschiedlichen Ebenen und in verschiedenartiger Darstellungsform eine zentrale, hin und wieder auch im Titel apostrophierte Rolle (Man denke an Kommunizierende Gefäße von 1987 oder an Seilschaft oder wir kommunizieren nicht mit uns selbst von 1992/93). Eine nicht unwesentliche Unterstützung in Bezug auf dieses Thema erfährt der Künstler aus der Beschäftigung mit dem Philosophen Slavoj Žižek, dessen einleitende Fragestellung „How can we be sure that we can speak with the other, how is communication possible?“ und die daran anschließenden Überlegungen22Aus: Slavoj Žižek, The Sublime Theorist of Slovenia. Peter Canning interviews Slavoj Zizek, in: Artforum international, March 1993, S. 89. Žižeks Thesen müssen vervollständigt werden: “This can be put in personal terms or, more fashionably, in terms of ethnic community. How can we be sure what a Chinese speaker means? Are we not, each of us prisoners of our own ethnic, ideological universes? How can we say that we participate in the same field of meaning? The mistake of the solipsistic view is, that we can never be sure that we communicate with ourselves. Lacan’s answer is that we communicate with the others precisely because we cannot communicate with ourselves, precisely because we are always split. The way we are split connects us with others; we look for the missing part in the other. The other fills our own gap. This also answers the question of how communication is possible”. Da sich W. W. Anger intensiv mit Niklas Luhman beschäftigt hat, sei eine seiner auf die Kunst bezogenen Aussagen dem Theorem Žižeks gegenübergestellt: „Entscheidend ist, dass, wie bei aller Kommunikation, die Differenz von Information und Mitteilung den Ausgangspunkt bildet, an den weitere Kommunikation künstlerischer oder sprachlicher Art anschließen kann.“ Vgl. Anm. 1einen nachweisbaren Einfluss ausgeübt haben.

W. W. Anger, Tatsachenkörper, 2003

W. W. Anger, Tatsachenkörper, 2003

Im letzten vollendeten Werk, das unter dem Titel Tatsachenkörper 2003 entstanden ist, bezieht sich WWA auf den „Körper als Konstrukt und Ort des Bewusstseins, als existentielle Erfahrungsmaschine“.23Bill Grawen, Bodysnatcher oder Das Bewusstsein als Parasit am Körper. Über die Tatsachenkörper von W. W. Anger, Typoskript, 2003, aus dem Archiv des Künstlers. Irritierend und eine möglicherweise bisher nicht beachtete Bedeutungsebene der Installation ins Spiel bringend ist der Titel „Leichenräuber“ (Dieser „Berufsstand“ grub im 19. Jahrhundert eben bestattete Leichen wieder aus und verkaufte sie an Anatomen. Auf diese Praxis hat mich Wenzel Mraček freundlicherweise aufmerksam gemacht – dennoch oder gerade deshalb bleibt die Irritation im Zusammenhang mit dem Werk von WWA bestehen). Diese Überlegungen sind der Extrakt eines Befundes der Installation, in welcher der eigene Körper in einzelnen Teilen in Gips abgenommen und in Torsi, auf ausgebreiteten Altkleidern, auf dem Boden des Ausstellungsraums verteilt ist. Bis zu diesem Zeitpunkt erscheint, mit Ausnahme des von fremder Hand geformten Porträtkopfs im Egozentrischen Universum kein Abbild des Künstlers in seinen Installationen und jetzt – diese größtmögliche Authentizität, allerdings ohne Kopf. Was auf diesem überraschenden Skulpturenfeld, abgesehen vom Grundvokabular des fragmentierten Körpers und dessen aufgesplitteter Anordnung – Körper waren zuletzt im Übertragungsstatus von Spielzeugfiguren präsent – zu weiteren Annäherungswerten einer Interpretation führt, sind die auch formal relevanten Antennen, 59 die aus Füßen, Händen, Ober- und Unterkörper herausragen und damit auf ebenso eindrucksvolle wie rätselhafte Weise eine Sendefähigkeit des leblosen „Körpermaterials“ suggerieren. Weisen die Torsi die Inkarnatfarbe auf, wie sie in den zahlreichen Körperdarstellungen der Kunstgeschichte immer wieder zum Einsatz kommt, sind die Schnittstellen roh grau gestrichen, wie abgedichtet und zurechtgemacht für die erfolgte Inventarisierung und Katalogisierung, damit die mit A 1 und A 2, B 1 und B 2 usw. beschriebenen Endteile wieder exakt zusammengesetzt werden könnten. Sollen wir, dürfen wir von einer über den Tod hinausreichenden Kommunikationsfähigkeit der Körper sprechen oder eher, bedingt durch das Fehlen des Kopfes, von der Unmöglichkeit, überhaupt das Ganze je erfassen zu können? Der Sprung von der sozialen Ausrichtung der Begegnungs- und Artikulationsmöglichkeiten, verankert in den gesellschaftlichen Strukturen und den sie bestimmenden Systemen – ob architektonischer, städtebaulicher, historischer, wirtschaftlicher oder medialer Provenienz –, hin zur Einführung einer leiblichen Komponente als „Verbildlichungswerkzeug“ könnte größer nicht sein.

W. W. Anger, Tatsachenkörper, 2003

W. W. Anger, Tatsachenkörper, 2003

In welche Richtung des Seins, des Bewusstseins und des Nicht-Mehr-Seins aus diesem elegischen Werk Fragestellungen abgeleitet werden können, wird an anderer Stelle im Werkbuch untersucht. Dennoch soll hier angemerkt werden, dass der Gestaltungsmodus wie so oft zuvor seine „Fühler“ auch dezidiert nach dem Draußen ausstreckt. Nicht, dass die autonome Sprache des Kunstwerks nicht schon zuvor und in hohem Maß auch parallel zum Schaffen W. W. Angers weitgehend abgelöst worden wäre – ein geradezu obsessives Interesse am Outer Space, der den inneren Raum des beobachtenden Körpers in allen seinen Teilen gefangen hält und ästhetische Formulierungen für die Fragen nach den entscheidenden Relationen sucht, manifestiert sich in diesem unermüdlichen Beitrag, einen den Gesellschaftskörper betreffenden Sinn in der künstlerischen Arbeit zu suchen und mit ihr an der Konstruktion von Wirklichkeit mitzuwirken: Auf eine Weise, die mit dem Kopf durch die Wand der Moden und Konventionen, der Etiketten und Marktanteile, der Kompromisse und der Anpassung geht.

Manuskript Zu: Werner  Fenz,  Die Welt, in der Wir Leben. Zur Position von W. W. Anger in der Österreichischen Kunst, in: Werner Fenz (Hg.), W. W. Anger – subSYSTEME, Weitra: Verlag Bibliothek der Provinz 2005, S. 51 -90
Ausstellung: W. W. Anger (1957-2004): subSYSTEME. Die Retrospektive. 01. bis 31. Oktober 2005, Minoritengalerien Graz im Priesterseminar
Abbildungen: Verlag der Provinz, Minoriten-galerien
Fotos: Wenzel Mraček, Elmar Ranegger
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References
1 Niklas Luhmann, in: Die Kunst der Gesellschaft, Suhrkamp: Frankfurt am Main, 1997, S. 44.
2 Ein Prinzip, das Philippe Dubois, in erster Linie Charles Sanders Peirce und Rosalind Krauss folgend, in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen stellt, wenn es – nicht nur im Bereich der Fotografie – um die Spur eines Wirklichen, also um den Diskurs des Index und der Referenz geht. Vgl. Philippe Dubois, Der fotografische Akt, Verlag der Kunst: Amsterdam, Dresden, 1998.
3 Es ist nicht zufällig geölt, weil damit eine Anspielung auf die Behandlung von Waffen verbunden ist, um diese vor Rost zu schützen.
4 Insgesamt waren 16 KünstlerInnen daran beteiligt, darunter Hans Haacke, Jochen Gerz, die Gruppe IRWIN, Eric Hattan, Fedo Ertl oder Peter Baren. Vgl. Werner Fenz (Hg.), Bezugspunkte 38/88, steirischer herbst: Graz, 1988.
5 Für eine etwas reduzierte Form der Installation Materialfluss im Jahr 1991.
6 Vgl. Anm. 2.
7 An der Ausstellung haben neben W. W. Anger auch Horáková & Maurer, Richard Kriesche, Klaus Schuster, TEER (Wolfgang Temmel/Fedo Ertl) und Erwin Wurm teilgenommen.
8 So präsentierte er die Arbeit Module einmal auf einem Tischtennistisch, ein anderes Mal ordnete er sie „wie in einem Architekturbüro“ an.
9 William Burroughs, Western Lands (The western Lands), Dt. u. mit einem Nachw. v. Carl Weissner, Limes: Frankfurt/M, Berlin, 1988.
10 Heimo Ranzenbacher hat auf die Ergänzung des Zitats hingewiesen. H. R., Die Optik der Zeiten, in: Kronen Zeitung, Graz, 23.7.1990.
11 Heimo Ranzenbacher formuliert es radikaler, wenn er vom Scheitern von Ideen, der des heimatkundlichen Industrie-Realismus oder des Sozialistischen Realismus spricht und weiter ausführt: „Unter diesem Aspekt des Scheiterns ist dann auch die traditionelle Idee der Skulptur zu sehen. Anger nimmt die Fragwürdigkeit eines (gesellschaftlichen) Wertes zum Anlass, sein eigenes Metier einer Überprüfung zu unterziehen“. H. R., vgl. Anm. 10.
12 Die drei genannten Künstler sind auf dem nationalen und internationalen Kunstmarkt präsent.
13 Bei dieser Textpassage handelt es sich um eine gekürzte und teilweise veränderte Version meines Beitrags „Das ästhetische Universum als Re-Aktion“, in: W. W. Anger, Egozentrisches Universum, Graz, 1995.
14 „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, aus: Ludwig Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, Frankfurt am Main, 1963, S. 89. WWA zitiert diesen Satz in einem Brief an seinen Freund Johann Becker und bringt ihn dort in folgender Weise mit seiner Arbeit in Verbindung: „Im Übrigen habe ich nur einen Toten in mein Universum aufgenommen, und zwar Ludwig Wittgenstein. Er ist des Zentrums fernster Stern und bewacht damit die Grenzen meines Universums…“, 11. 9. 1991.
15 In diesem Zusammenhang soll ein zunächst vielleicht irritierender Vergleich angestellt werden: Als Wladimir Tatlin 1919/20 sein Monument für die III. Internationale als Modell vorlegte, bediente er sich auf einer anderen Ebene eines grundsätzlich ähnlichen Konzepts. Die Konstruktion folgt in ihrer dynamischen Diagonale dem Winkel der Erdachse. In das Spiralskelett sind von unten nach oben ein zylindrischer, ein pyramidaler und ein kubischer Raumkörper eingelassen. Sie beherbergen das Parlament, die Exekutive und die Informations- und Propagandazentrale, Räume, die sich im Jahres-, im Monats- und im Tagesrhythmus um ihre Achse drehen und so das architektonische Gebilde – und mit ihm in diesem Fall das Politische – in einen größeren Kosmos einbinden.
16 W. W. Anger, Typoskript, o. J., aus dem Archiv des Künstlers
17 W. W. Anger, Typoskript, o. J., aus dem Archiv des Künstlers.
18 Bill Grawen, Emerging Subsystem, Typoskript, o. J., aus dem Archiv des Künstlers.
19 Dieser Abschnitt folgt im Wesentlichen einem Text des Autors, der unter dem Titel Referentielle Symbolformen. Zu den komplexen Subsystemen von W. W. Anger veröffentlicht wurde. Siehe: Lichtungen. Zeitschrift für Literatur, Kunst und Zeitkritik, 86 / XXII. Jg. / 2001, S. 112-126.
20 1973 entstanden, setzt sich das Werk mit einer gesellschaftlichen Endzeit auseinander.
21 Bill Grawen, Typoskript, 2002, aus dem Archiv des Künstlers.
22 Aus: Slavoj Žižek, The Sublime Theorist of Slovenia. Peter Canning interviews Slavoj Zizek, in: Artforum international, March 1993, S. 89. Žižeks Thesen müssen vervollständigt werden: “This can be put in personal terms or, more fashionably, in terms of ethnic community. How can we be sure what a Chinese speaker means? Are we not, each of us prisoners of our own ethnic, ideological universes? How can we say that we participate in the same field of meaning? The mistake of the solipsistic view is, that we can never be sure that we communicate with ourselves. Lacan’s answer is that we communicate with the others precisely because we cannot communicate with ourselves, precisely because we are always split. The way we are split connects us with others; we look for the missing part in the other. The other fills our own gap. This also answers the question of how communication is possible”. Da sich W. W. Anger intensiv mit Niklas Luhman beschäftigt hat, sei eine seiner auf die Kunst bezogenen Aussagen dem Theorem Žižeks gegenübergestellt: „Entscheidend ist, dass, wie bei aller Kommunikation, die Differenz von Information und Mitteilung den Ausgangspunkt bildet, an den weitere Kommunikation künstlerischer oder sprachlicher Art anschließen kann.“ Vgl. Anm. 1
23 Bill Grawen, Bodysnatcher oder Das Bewusstsein als Parasit am Körper. Über die Tatsachenkörper von W. W. Anger, Typoskript, 2003, aus dem Archiv des Künstlers. Irritierend und eine möglicherweise bisher nicht beachtete Bedeutungsebene der Installation ins Spiel bringend ist der Titel „Leichenräuber“ (Dieser „Berufsstand“ grub im 19. Jahrhundert eben bestattete Leichen wieder aus und verkaufte sie an Anatomen. Auf diese Praxis hat mich Wenzel Mraček freundlicherweise aufmerksam gemacht – dennoch oder gerade deshalb bleibt die Irritation im Zusammenhang mit dem Werk von WWA bestehen).