TEER
Künstlermännerpaare
Wolfgang TEmmel (geb. 1952 in Graz) und Fedo ERtl (geb. 1953 in Deutschlandsberg/Steiermark) beschließen im Juni 1985, gemeinsam Arbeiten unter dem Namen TEER zu realisieren. Es läßt sich jetzt nicht mehr feststellen, wer von beiden zuerst diese Idee hatte. Seither sind in unregelmäßigen Abständen Arbeiten entstanden. Dies könnte auch in Zukunft durchaus so sein. Temmel und Ertl arbeiten ansonsten als Einzelkünstler. Hauptantrieb von TEER ist eine nicht näher untersuchte Arbeitsmethode, bei der der Satz „Separately I am, together we are“ eine gewisse Rolle spielt. Im Gegensatz dazu, wer Initiator der Gruppenbildung gewesen ist (siehe Statement der Künstler), läßt sich feststellen, daß sowohl Fedo Ertl als auch Wolfgang Temmel schon lange vor ihrer Zusammenarbeit immer wieder den Weg in die Öffentlichkeit gesucht haben.
Ertls Interesse an sichtbarer Aufarbeitung von Geschichte und realpolitischen Phänomenen ließ ihn eine unscheinbare Mauer an einem noch unscheinbareren Ort freilegen, weil sie aus den Ziegeln der zerstörten Grazer Synagoge errichtet worden war; dieser urbanen Raumverlagerung folgte eine globale, als er die Berichte von emigrierten Zeugen der Nazi-Epoche aus den USA auf den ehemaligen Platz des jüdischen Gotteshauses in Direktschaltung einspielte. Im Rahmen des Projekts „BEZUGSPUNKTE 38/88“ (Grazer Innenstadt 1988) errichtete er aus einem Semi-Ready-made seines Schwiegervaters (eine in Verwendung stehende Schöpfkelle aus einem deutschen Wehrmachtshelm und einer angeschweißten Stange) ein Denkmal persönlich erlebter und erlittener Geschichte – im „Ehrenhof“ mitten unter den Büsten der Großen des Landes. Auf dem Hauptplatz der Stadt versuchte er, die Politiker beim Wort in Form eines Zeichens zu nehmen, indem er die Allegorie der Mur am Erzherzog-Johann-Brunnen solange durch einen kubistischen Mantel zu verhüllen gedachte, bis der Gipfel über die Verschmutzung des steirischen Hauptflusses ein konkretes Ergebnis gezeitigt hätte. Wie öffentlich der städtische Propagandaraum ist, zeigte die vorzeitige Entfernung des Objekts. Wolfgang Temmel führte unter anderem mit 14 Filmprojektoren auf einer 50 Meter breiten Filmleinwand in einem öffentlichen Freibad „Das endlose Fließen des Flusses Laßnitz“ vom Ursprung bis zur Mündung in aneinandergereihten Bildsequenzen vor.
Am Remisenneubau der städtischen Verkehrsbetriebe legte er ein Stockgleis – links und rechts von Bäumen – an eine monumentale Spiegelwand heran, von der aus die einziehenden Wagen metaphorisch zurückgeschickt (remittere) wurden; auf der „ars electronica“ in Linz arbeitete er (nicht zum erstenmal) für Radiokunst sein Projekt „Heart-beats“ aus, das live über den ORF übertragen wurde.
Die je verschiedenartige Auseinandersetzung mit Zeichen – mit persönlichen und dennoch anonymen, mit solchen der Macht und jenen gesellschaftlichen Prestiges – prägte die bisherige gemeinsame Projektarbeit, die im Oktober 1988 (schließlich mit einer Neuinszenierung im Juni 1989) vorläufig bereits wieder abgeschlossen wurde.
„Bewohntes Gebiet“ thematisiert in einer zum Abbruch freigegebenen Druckereihalle den Um-Raum im Status quo der Um-Welt. Vermittels „Spurenelementen“, die gerade im alltäglichen Kommunikationsrepertoire vorübergehende Anwesenheit signalisieren, wurde ein aus dem verlassenen Areal ausgegrenztes Wandgeviert belebt: auf dem Boden 500 schaumstoffgefüllte Hüte, auf der stoffbespannten Decke 250 Paar Schuhsohlen. Die Besucher waren eingeladen, den Raum zu durchschreiten und in körperlichen Kontakt mit den Kopfbedeckungen zu treten, mit genau jenem Teil der Fußbekleidung, der im Ambiente von unten nach oben gekehrt war, den Schuhsohlen. Diese interaktive Belebungsrekonstruktion inmitten eines verödeten Geländes mündete im Fußtritt gegen die Schutzhülle des rationalen und emotionellen menschlichen Zentrums.
„Weiße Fahne“ setzte sich mit den Zeichen der Macht auseinander,insofern als fünf der bekanntesten Macht repräsentierenden Zeichen (Pentagramm, Kreuz, Halbmond, Hakenkreuz, Hammer und Sichel) eine Woche lang auf ein weißes, an einer Fahnenstange befestigtes Tuch projiziert wurden.Ein Stück Stoff, das, in eine bestimmte Form gebracht, „selbst weiß nicht mehr unschuldig ist“, weil es Geschichte und Politik in eine zwar jeweils unterschiedliche, letztendlich aber doch mit ähnlichen Ansprüchen besetzte Hoheit gezwungen haben. Um diese parallel geschalteten Mechanismen sichtbar zu machen, war die Fahne mit einer Emulsion beschichtet, die ein Nachleuchten erzeugte: das neue (in seiner Tendenz aber doch alte, ebenfalls den Besitz der Welt einfordernde) Bild erschien, noch ehe das vorangegangene vollständig verlöscht war. Geßlers Hut bildet die Klammer mit vertauschten Plus- und Minuszeichen zur vorweg skizzierten Installation.
Mit dem Zeichenrepertoire der Gesellschaft, das vornehmlich eines der Gesellschaften geworden ist, setzten sich die Bronzereliefs von „fish & chips“ auseinander. In zwei unterschiedlichen Inszenierungen, einmal auf weißer Wand hinter leuchtend blauem Fußboden (München, Lothringerstraße, 1988), das andere Mal im Tresorraum des Museums (Graz, Neue Galerie, 1989), leuchteten vier goldbronzene Kreditkartensymbole im gleißenden Scheinwerferlicht. Gegossene Male jederzeitiger Verfügbarkeit,die die neuen Dimensionen der Macht aufreißen. Die Be-Zeichnung gesellschaftlicher Wirklichkeit als Thema der Kunst; Verzicht auf inventorische formale Gestaltung, da sie eine ausgefeilte und -gefuchste Logokultur frei Haus liefert.