PUBLI©DOMAIN
3. Österreichische Triennale zur Fotografie 1999
Die Fotografie im Zentrum medialer Öffentlichkeit
Der Blick auf das Öffentliche
Ein Kunstprojekt unter den Titel PUBLI©DOMAIN zu stellen, fördert schlagartig eine Fülle von Erwartungshaltungen zu Tage, die sich von Anfang an in die unterschiedlichsten Richtungen verlaufen können:zum Beispiel in die Richtung des traditionellen Blicks auf das Öffentliche [mit der neuen Frage welche Öffentlichkeit?], der inzwischen geläufigen globalen Netzwerke [Netzkunst?], der frei verfügbaren Produkte im virtuellen Raum und den damit im Zusammenhang stehenden Definitionen nach dem Original und dessen rechtlichem Schutz [wer greift worauf zu?] Auf der einen Seite erweist sich der Begriff als scheinbar unbestimmt [oder unbestimmbar], auf der anderen Seite ist er bis an seine noch nicht sichtbaren Kapazitätsqrenzen voll gepackt. Diese Unsicherheiten und Chancen resultieren unter anderem aus der Suggestion einer unendlichen Erweiterung des Kommunikationsraums und der derzeit und in Zukunft bestehenden Praxis der Nutzung. Nicht zuletzt wegen der Komplexität ist PUBLI©DOMAIN bisher kaum befriedigend definiert1Auch wenn zahlreiche Definitionen über das Internet angeboten werden. wenngleich mehrfach verwendet und dabei meist direkt mit Öffentlichkeit gleichgesetzt.2 z.B. Pit Schultz <pit@icf.de>, Internet, a Public Domain?, in: Marius Babias, Achim Könnecke [Hrsg.], Die Kunst des Öffentlichen, Dresden, Amsterdam: Verl. Der Kunst, 1998, S. 140.
Zumindest ein vereinbartes Signal geht von diesem Begriff aber deutlich aus: NämIich, dass die Aktionsformen und RegeIn in den nahezu unüberschaubaren Bereichen des Öffentlichen sich verzweigt und drastisch verändert haben. Daher spielt im Projekt die allgemeinste Formel, die Öffentlichkeit als durch Mandatare gesicherten Vertretungsanspruch der Anliegen und Bedürfnisse des Gemeinwesens ausweist, keine relevante Rolle. Und dabei sind die individuellen und kollektiven Schnittflächen auszudifferenzieren. Von Interesse und Belang für die hier fokussierten Schnittstellen zwischen individuellen und kollektiven Ansprüchen und Bedürfnissen sind in erster Linie die Bildschirmoberflächen, auf denen heute Öffentlichkeit erscheint und die den dafür gespeicherten Programmen zu Grunde gelegten Muster der Links. Bei deren Aktivierung wird uns immer wieder schlagartig bewusst, dass wir es mit einer Vielzahl von Öffentlichkeiten zu tun haben, die ineinander verschachtelt sind, die sich gegenseitig beeinflussen, die, nicht an ein Raum-Zeit-Gefüge gebunden, sich nicht selten gegenseitig widersprechen und die bis auf die banalsten Ebenen des Nachrichtenaustausches und der Repräsentation rückwirken. Ein Faktum ist, dass die sozialen, politischen und ökonomischen Faktoren – die traditionellen Eckpfeiler des Öffentlichen – sowohl im lokalen [dem wirklicheren?] als auch im globalen [dem Virtuelleren?] Dorf permanent veröffentlicht werden und diese Formen der Veröffentlichung das Öffentliche beeinflussen.
Das heißt, dass Öffentlichkeit unter verschiedener Gewichtung seit alters her auch und besonders in medialen Räumen stattfindet – von den Büsten politischer Repräsentanten auf dem römischen Forum, von Brot und Spielen bis hin zu den TV-News und zu Wetten, dass …? Florian Rötzer verweist im Zusammenhang mit Öffentlichkeiten auf die Erzeugung von Aufmerksamkeit als eine der wesentlichsten Voraussetzungen und auf die Stabilisierung dieser Aufmerksamkeit gegen Konkurrenz. Die mit immer weiterentwickelten Methoden fortschreitende Mediatisierung unserer Gesellschaft hat die medialen Räume aus der Passivität ihres reproduzierenden Status befreit und ihnen eine aktive Gestaltungsrolle im Zusammenhang mit Öffentlichkeit zuerkannt. Diese Aktivität ist erst in zweiter Linie – im Bereich der Kommunikationstheorie oder auch der Kunst – eine kritisch medienreflexive: Sie ist in erster Linie ein hoch spezialisierter dialogischer Parameter, der – so könnte man es vorsichtig umschreiben – mit seriösem Kalkül das Ursache-Wirkung-Prinzip umkehrt. Über die mediale Matrix wird Öffentlichkeit in ihren heutigen Formen ausgebildet und verbindlich gestaltet.
Nicht nur einmal ist die Frage aufgetaucht, ob Fernsehdiskussionen oder die Veröffentlichung von Umfragen der Meinungsforschungsinstitute das Wahlverhalten einer lokalen Öffentlichkeit entscheidend beeinflussen: nicht weil der eine oder andere Kandidat besser oder schlechter dabei abgeschnitten hat, nicht weil die Zahlen schlampig recherchiert worden sind.Scheinbar nebensächliche Dimensionen wie die Wahl des Zeitpunkts, die Themenvorgabe, die Reihenfolge der Wortmeldungen oder die aus den publizierten Prozentpunkten abgeleitete Taktik der Wählerlnnen sind ausschlaggebend. Immer wieder wird der Golfkrieg als erster Medienkrieg der Geschichte zitiert, ein Krieg, an dem die gesamte Welt-Öffentlichkeit im gemütlichen Heim teilnehmen konnte.
In einem Heim, das nicht selten rund um die visuelle Nachrichten- und Unterhaltungsquelle eingerichtet ist: Gemütliche Sofas oder spezielle Fernsehstühle, die leichte Erreichbarkeit von Knabbergebäck und Getränken entsprechen im privaten Raum, in den die mediale Öffentlichkeit eingespiegelt wird, der Inszenierung der griechischen Pnyx. Dieser Raum war nicht wie die Agora flach und für die zirkulierende Bewegung offen, er war selbst konzentrierend, eine Art Massenmedium, das zwischen Sprechenden und Zuhörenden strikt unterschied und diese Unterscheidung räumlich markierte.lm Hinblick auf Massenmedien wie Fernsehen oder Radio unterschied es sich durch die körperliche Anwesenheit von SprecherInnen und Publikum im gleichen Raum.3F. Rötzer, op.cit., S.44. Was für das elektronische Massenmedium im Hinblick auf die Schaffung und nur die Darstellung der Wirklichkeit gilt, muss auch für die Printmedien in Anspruch genommen werden.
Hier ist der Weg in Richtung Mehr Bilder, größere Bilder, farbige Bilder vorgezeichnet, eine Entwicklung, die folgerichtig in mehreren Studien auf den Einfluss des Fernsehens zurückgeführt wird.4Werner Kroeber-Riel, Bildkommunikation, München: Verlag Franz Vahlen GmbH,1996 Wie der Siegeszug von USA Today ein eindrucksvolles Beispiel für das Vordringen der Bildkommunikation [schon 1985 betrug der Anteil der Bildflächen durchschnittlich 32%] ist, so ist es auch die Tatsache, dass alle einschlägigen Nachrichtenmagazine, Österreich eingeschlossen, in den letzten eineinhalb Jahren den Bildanteil drastisch erhöht und dabei eine entscheidende Layout-Korrektur vorgenommen haben. Parallel dazu verläuft die Entwicklung in den jungen Radiosendern, die immer mehr akustische Bilder produzieren und der Wortbelastung [Fachjargon Ö3] durch sachliche Information den Kampf ansagen. Innerhalb der Informationsgesellschaft, die Gegenwart und Zukunft als strukturelle wie anschauliche Wirklichkeit bestimmt, haben die bildproduzierenden Maschinen Hochbetrieb. Die Aufmerksamkeit als Medium der Öffentlichkeit [Rötzer], das Konkurrenzverhalten und die immer höher liegenden Reizschwellen zwangen zu rasch wechselnden Gestaltungsmustern: Bei starker Informationsüberflutung sind die Anbieter der Informationen in besonderem Maße auf die Durchschlagskraft der Bilder angewiesen.5W. Kroeber-Riel, op.cit. S.7.
PUBLI©DOMAIN und Bildkompetenz
Bildkompetenz im öffentlichen Raum und innerhalb des Rasters öffentlicher Bilder ist das Thema von PUBLI©DOMAIN. Das Projekt setzt sich nicht Kunst im öffentlichen Raum zum Ziel, sondern geht der Frage nach, wie eine Bild-Kunst des Öffentlichen, konfiguriert aus den sozialen, politischen, ökonomischen und ästhetischen Wirklichkeiten, zum Gegenstand einer Veranstaltung werden kann.
Das Begriffspaar Kunst und Öffentlichkeit wurde im letzten Jahrzehnt auf vielfältige Weise sowohl künstlerisch wie theoretisch interpretiert als auch ideologisch strapaziert. Durch die gegenwärtige Kunstpraxis, die in immer neuen Beispielen bewusst und zum Teil radikal auf die Strukturen und Systeme des Öffentlichen reagiert, müssen veränderte Diskussionsparameter eingeführt werden, um den großteils veränderten Zugängen gerecht zu werden. Aus unserer heutigen Sicht sind nicht wenige Fragen, auch vor dem Hintergrund wesentlicher – gern ausschließlich den Kategorien Ideologie und Utopie zugerechneter – Projekte und Produktionsansätze der Siebzigerjahre, neu zu stellen. Die permanente Veränderung und Erweiterung der Öffentlichkeit in Bezug auf Raum und Gestalt, ausführliche Recherchen über die Funktion einzelner und die Komplexität und den Zusammenhang grundverschieden konnotierter Systeme untereinander führen nicht nur in der politischen, sozialen oder gesellschaftstheoretischen Analyse zu aufschlussreichen Ergebnissen: Sie bestimmen auch die künstlerischen Strategien.
Im Informationszeitalter und in der Mediengesellschaft haben sich auf der einen Seite die Wesensmerkmale und damit auch die Erscheinungsformen des Öffentlichen drastisch verändert. Auf der anderen Seite erfolgt auf der künstlerischen Ebene eine immer präzisere Ausdifferenzierung der Systempraxis, die dazu führt, dass der öffentliche Aspekt von Kunst keineswegs auf einen architektonischen Ort im urbanen Gefüge und damit auf die signalhafte Wirkung innerhalb ästhetisch ohnedies [über]besetzter Räume reduziert wird. Die traditionellen Modelle von Kunst und Öffentlichkeit sind längst einer nachhaltigen Revision unterworfen6Einzelne Aspekte wurden in jüngst publizierten Untersuchungen aufgelistet: Claudia Büttner, Art Goes Public, München: Verlag Silke Schreiber, 1997; Marius Babias, Achim Könnecke, Die Kunst des Öffentlichen, Amsterdam, Dresden: Verl. Der Kunst, 1998; Markus Wailand, Vitus H. Weh [Hrsg.], Zur Sache. Kunst am Bau, Wien: Triton, 1998. nicht zuletzt dadurch, dass sich die Künstlerlnnen ohne Scheu vor der Nähe zur Lebenspraxis Paolo Bianchi wählte mit seinen „Lebenskunstwerken“ einen vergleichbaren Ansatz, der aber der Autonomie von Kunst als „Verselbständigung der Gesellschaft“ einen breiten, prozesshaft konfigurierten Raum verschafft.7Paolo Bianchi [Hrsg.], Lebenskunstwerke [LKW] und Lebenskunst als Real Life, Kunstforum International, Bd. 142 und Bd. 143, Oktober-Dezember 1998 und Januar-Februar 1999. und deren konstituierenden Merkmalen und Regeln auf die Vielfalt öffentlicher Systeme einlassen und ihre Konfigurationen in Relation zu praktizierten Handlungsmustern entwickeln. Innerhalb des Komplexes Öffentlichkeit spielen Bilder – inszenierte Fotos, computerbearbeitete Fotos, Reportage-Fotos – eine entscheidende Rolle. Täglich millionenfach neu kreiert, dienen sie der Dokumentation und der Information über öffentliche Sachverhalte sowie der Repräsentation von jeweils systemimmanenten Strukturen.
Auf dieser Ebene haben sie im Regelfall nichts von ihrer traditionellen Symbol- und Illusionskraft eingebüßt, auch wenn sie im Bewusstsein des raschen Verbrauchs durch die Benutzerlnnen konzipiert und realisiert werden. Nicht erst seit den unüberschaubaren Bilddateien des World Wide Web werden Bilder von KommunikationsstrategInnen mit wegweisendem und vielfach reproduziertem Anspruch als Machtinstrumente eingesetzt, die gegenüber der privaten Bildproduktion vor allem den Vorsprung funktionell kalkulierter Inszenierung und technischer Perfektion besitzen.
Ausgefeilte visuelle Kodes – in der Nachfolge nicht selten standardisiert – bestimmen den öffentlichen Raum, in dem über die elektronischen und Printmedien, über CD-Cover, Flyer, Werbeflächen bis hin zu den täglichen Postwurfsendungen ein sich ständig erneuerndes, zwar kurzlebiges, aber gewaltiges Bildarchiv aufgebaut wird. Ein Bildarchiv, das einerseits den Anforderungen der Globalisierung mit den Ansprüchen auf multinationale Komponenten standhält, andererseits der Verortung im lokalen Raum, an der Peripherie, in den nach wie vor aktuellen Zentren der Informations- und Kommunikationsmaschinerie, verpflichtet ist. Wie und mit welcher Konsequenz kann die künstlerische Fotografie ein öffentliches Bild erzeugen, das sich nicht nur in der mediatisierten Welt behaupten kann, sondern darüber hinaus über die verschiedenen Öffentlichkeiten Auskunft gibt und damit die Kunst des Öffentlichen über diesen Zugang als zentrale Frage thematisiert? Aufmerksamkeit und Durchschlagskraft sind nicht nur Begriffe aus der Kommunikationstheorie, sie sind auch dem Kunstwerk zuzurechnen – ungeachtet dessen, ob es aus postmodernistischen oder avantgardistischen Produktionsansätzen stammt.
Fragen, die es vor dem Hintergrund des Diskurses über Öffentlichkeit und mediale Öffentlichkeit zu klären gilt, sind die nach der Aktualität, den Methoden und der affirmativen oder der Gegen-Strategie. Da sich die Informationsdaten, wie die Kommunikationsforschung eindrucksvoll unter Beweis stellen kann, immer stärker auf die Bildebene verlagern und dabei der Anteil geprinteter Bilder nicht zu vernachlässigen ist, kommt der Fotografie im Nachrichtenaustausch weiterhin ein hoher quantitativer und qualitativer Stellenwert zu. Vor allem dann, wenn nicht nur aus dem vorhandenen Bilderfundus ausgewählt, sondern ein den ökonomischen Bedingungen folgender Auftrag erteilt wird. Dieser Umstand, der von Anfang an ein fixer KonzeptteiI der Österreichischen TriennaIe zur Fotografie war 81993 „KRIEG“, 1996 „Radikale Bilder“, verschärft die Brisanz der Bildkompetenz, die den Künstlerlnnen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Bild als Aufgabe zukommt.
Das Foto sollte sowohl am öffentlichen Ort der Plakatwand – 25 großformatige Werbeflächen an einer südöstlichen Einfahrtsstraße von Graz – als auch im halb-öffentlichen Ausstellungsraum Aufmerksamkeit im Sinne eines Mediums der Öffentlichkeit entfalten. Diese Zuspitzung auf ein Medium des Öffentlichen wird erstmals in dieser Form praktiziert. Mit dieser in der aktuellen kunst- und medientheoretischen Diskussion relevanten Aufgabenstellung waren naturgemäß unterschiedliche Ergebnisse zu erwarten, die das Spektrum der methodischen Ansätze exemplarisch sichtbar machen konnten.
lm Bewusstsein, dass es sich nicht nur um hochwertige, von internationalen Künstlerlnnen produzierte Foto-Bilder handeln wird, sondern um eine spezifisch eingeforderte Auseinandersetzung mit systemischen Fragestellungen, waren seit Produktionsbeginn die reflexive und die rezeptorische Ebene eingeblendet. Auch Niklas Luhmanns System-zu-System-Beziehung, die davon ausgeht, dass in diesem Beziehungssystem auch die andere Seite der Form etwas [ist], das markiert und bezeichnet werden kann,9Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1997, Kapitel 4. Die Funktion der Kunst und die Ausdifferenzierung des Kunstsystems, S. 217-219. tauchte erwartungsgemäß hinter den grundsätzlichen Überlegungen zu diesen Bildproduktionen auf.
Als Beitrag zu einer medialen Öffentlichkeit in der [Foto-]Kunst sind die Konzepte und deren Realisierungen explizit in einen Systemzusammenhang eingebettet. Das heißt, dass das Bild nicht ausschIießlich auf Grund seiner künstlich-künstlerischen Konfiguration zur lrritation oder zum Störfaktor im Zusammenhang mit Öffentlichkeit und unter diesem Aspekt veröffentlicht wird, es heißt vielmehr, dass scheinbar unverrückbare Systemverbindungen aufgeschlüsselt und sichtbar gemacht werden. lm Endeffekt zeigen die hergestellten Ergebnisse das Vorhandensein von Systemen und die Möglichkeiten der Kunst, als Systemsegment sich mit anderen Systemen kurzzuschließen und als eines der wesentlichen Orientierungsinstrumente zu fungieren, auf. Damit richtet sich die Aufmerksamkeit von der Kunst aus auf die Phänomene medialer Öffentlichkeit und deren gegenwärtige Ausformungen. Der Systemzusammenhang im Sinne Luhmanns wird in den Produktionen für PUBLI@DOMAlN um die gestalterischen Möglichkeiten, das an traditionellen Parametern gemessene Tabu der Differenzschwelle zur Alltagsrealität zu brechen, erweitert.10Diesen Begriff habe ich in Zusammenhang mit Kunst im öffentlichen Raum in die Diskussion gebracht. Vgl. 2000-3. ArtSpace plus Interface, Katalog und CD-Rom [Medienkombination], Wien: Triton, 1998.
Diese Differenzschwelle bezeichnet eine auf den ersten Blick ununterscheidbare ästhetische Position gegenüber unterschiedlichsten Alltagsstandards. Kunst wird nicht sofort als Kunstkörper (=Fremdkörper) wahrgenommen, sondern gleicht sich in ihrem Habitus an alltägliche Erscheinungsformen der öffentlichen medialen lnszenierung an. Erst in einem differenzierteren Blick auf das Kunstwerk, das als solches – oder schlicht und einfach als anderes ästhetisches Produkt – erst erkannt werden muss, sind Veränderungen auf der inhaltlichen wie formalen Ebene festzustellen. Nicht das Fremde ist irritierend, der Integrationsprozess in das Bestehende kann zu jener Dialektik führen, über die die These festgeschriebener medialer Bilder sich im künstlerischen Beitrag erschließt. Die für PUBLI©DOMAIN geschaffenen Beiträge legen uns nahe, über veränderte Ausdrucksmittel einer Kunst nachzudenken, die mit den praktizierten Methoden und den eingeführten Strukturen des Öffentlichen in Korrelation steht; in dem Sinne vielleicht, den Michel Foucault seinem Begriff der Heterotopien gegeben hat.
Als Gegenpol zu den Utopien bezeichnen sie nicht die Platzierungen ohne wirklichen Ort, nicht die im wesentlichen unwirklichen Räume. Sondern: die wirksamen 0rte, die in jeder Kultur eingezeichnet sind, ohne dabei schon reale Plätze zu sein.11Michel Foucault, Andere Räume, in: Aisthesis, Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig: Reclam, 1990, S. 34-46. Foucaults Begrifflichkeit hat sich insofern verschoben, als das mediale Bild längst seinen fixen Platz in Zusammenhang mit Öffentlichkeit besitzt bzw. sich die Öffentlichkeit über mediale Bilder als solche manifestiert.Brauchbar in der theoretischen Argumentation sind aber nach wie vor die wirksamen Orte, die in jeder Kultur eingezeichnet sind, generalisiert als jener Bereich, in dem die Kunst unter der Voraussetzung der dargelegten Strukturen ihren realen Platz einnehmen kann [muss].
Raster der Öffentlichkeiten
Die Künstlerlnnen von PUBLI©DOMAIN haben die in jeder Kultur eingezeichneten wirksamen Orte mit stringenten methodischen Verfahren aufgesucht und die darauf gelegte Aufmerksamkeit mit einer unterschiedlich positionierten Referenzialität in den Bildern realisiert. Ein wesentlicher Zugang in der künstlerischen Arbeit fokussiert sich im Einsatz von Fremdmaterial. Fotos von Freunden [Aleksandar Ilić] bilden ebenso den Ausgangspunkt wie der Rückgriff auf einen allgemeinen historischen wie gegenwärtigen Bilderstandard [Lewis Baltz/Slavica Perković, Plamen Dejanov/ Swetlana Heger, Nika Span].
Das Auswahlprinzip, das eine der möglichen Verknüpfungen mit der Projektidee darstellt, bildet die Voraussetzung für unterschiedliche künstlerische Lösungen: Einmal findet die entscheidende Nachbearbeitung durch die Einführung einer weiteren visuellen Dimension mit Hilfe des Textes statt, das andere Mal markiert der direkte Zugriff auf vorhandene Bildmuster und deren Transfer in den individuellen künstlerischen und den spezifischen Projektzusammenhang die Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Bild. Repräsentationsstrategien und das Sichtbarmachen von Systemverschiebungen stehen am Beispiel von Dejanov/Heger hinter der getroffenen Entscheidung.
Nika Span wählte professionelle Bilder konkreter medialer Öffentlichkeit und den dazugehörigen Autor als Stellvertreter für die zahlreich möglichen und vorhandenen Bilddaten zu einem Thema aus, an dem permanent gearbeitet wird. Ebenso auf vorhandene Zeichensysteme greift Stefan Römer zurück: Er spürt sie im öffentlichen Raum auf, fügt sie zu einer vernetzten Datenbank zusammen, wobei in der hier vorgenommenen Konfiguration – wieder unterstützt durch Textpassagen – eine Konzentration und lnterpretation des Zeichencharakters auch auf den Ebenen räumlicher und architektonischer Anordnungen erfolgt. Mit der Schnittstelle zwischen Privatem und Öffentlichem greifen die Künstlerlnnen einen wesentlichen Aspekt des weit reichenden Themas auf.
Merry Alpern wählte den individuelleren Ansatz des Beobachtens in Umkleidekabinen, Anita Witek den des Beobachtetwerdens mittels Web Cams – ein Vorgang, der im Internet längst professionalisiert ist –, wobei in den Fotos die plakative Veröffentlichung des Privaten durch den fragmentierten Ausschnitt von Raum und Körper ersetzt wird.
Die Rolle der Selbstinszenierung als entscheidender Faktor medialer Öffentlichkeit taucht als repräsentative körpersprachliche Pose bei Tomaž Gregorič, als intimes Dokument bei Jun Yang auf. Beiden Lösungen ist gemeinsam, dass die Darstellungsfolie, der Hintergrund, ein wesentliches Bildelement darstellt: auf der einen Seite zur Vervollständigung der repräsentativen Veranschaulichung frei gewählt, auf der anderen Seite als Selektionsfaktor industrieller, vorfabrizierter Angebote eingesetzt. Den Bezug auf Werbemuster greift Philip Huyghe als Form oder Formel auf, um darin eine persönliche, ebenfalls auf den Körper bezogene Botschaft einzuschreiben.
Auf der Ebene des weiblichen Rollenbildes siedelt Pia Lanzinger ihren Beitrag an. Dieser differenziert als exemplarische Bestandsaufnahme das Bild heranwachsender Mädchen und dessen Projektion auf den Hintergrund gesellschaftlicher Bildmuster aus. Die Warenästhetik und deren Bedeutung im Transportmittel des öffentlichen Bilderflusses sind über die Auswahl und die damit verbundenen Konnotationen präsent. Während Tomáž & Ester Polcarovi das Brot ikonenhaft isolieren, kulminieren bei Monica Studer/Christoph v d Berg in Bezug zum normativen Angebot verstümmelte Objekte in opulenten Stillleben. Ihr Arrangement ist zudem nur preislich fixiert, vom Publikum unter ökonomischen und ästhetischen Bedingungen jederzeit frei wählbar.
Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Kodes – Martha Rosler, Dominique Auerbacher/Holger Trülzsch – setzt sich auch in einem veränderten Blick auf architektonische und landschaftliche Räume und in einer weiter führenden Analyse so genannter dokumentarischer Blickpunkte fort [Monica Bonvicini, Luchezar Boyadjiev, Serhiy Bratkov, Rosa Brueckl/Gregor Schmoll, Andree Korpys/Markus Löffler, Joke Robaard] fort.
Während Ria Pacquée ihr eigenes umfangreiches Bildarchiv neuerlich aktivierte und Bilddateien zur Verfügung stellte, in denen der Blick auf die mediale Öffentlichkeit im wahrsten Sinn des Wortes gelöscht zu sein scheint, rücken Tamara Horáková/Ewald Maurer fiktive Horrorszenarien über den Umweg der Auseinandersetzung mit scheinbar rein subjektiven, sich selbst auflösenden lnszenierungsstrategien einer der bedeutendsten Medienfiguren des aktuellen kommerziellen Films in den Mittelpunkt ihres Bezugssystems.
Unmittelbar politische und soziale Bildstrategien stammen von Oliver Ressler/Martin Krenn und KIub Zwei. Dort erscheinen die Verwüstungen des Kriegs und die dafür verantwortlichen Headquarters im Fadenkreuz, hier die prozesshafte Auseinandersetzung mit dem Schicksal von Migrantinnen und deren Statements zur realen Situation ihres neuen Lebensraumes. Aus der Erkenntnis um die nach wie vor aktuelle Bedeutung der sprachlichen Kommunikation wird das Foto-Bild durch ein Sprach-Bild mit höchstmöglicher Wortbelastung ersetzt. Die Beiträge für PUBLI©DOMAIN – ein in dieser Form einmaliges Erforschungsprojekt – greifen aus den verschiedensten Richtungen auf den Gegenstand ihrer Untersuchungen zu. Die Fotografie, das fotografische Bild dokumentieren in diesem Zusammenhang ihre Kompetenz mitten im Raum medialer Öffentlichkeit. Norm und Standard werden nicht durch referenzlose Gegenbilder ersetzt, sie werden durch die Ergebnisse der künstlerischen Untersuchungen konkret und aktuell thematisiert und bringen so die Projektionsflächen einer Kunst zur Sprache, die sich als Teil eines ästhetisch argumentierenden gesellschaftspolitischen Diskurses und eines kulturellen Gesamtsystems versteht.
Kommunikation, Produktion, Präsentation und ihre Orte
Entsprechend der thematischen Auseinandersetzung mit dem Begriff Öffentlichkeit im Zusammenhang mit [Foto-]Bildern wurden für PUBLI©DOMAIN auch mehrere Formen des öffentlichen Umgangs mit ihnen und der õffentlichen Präsentation und Repräsentation von Bildern herangezogen. Bereits im September wurden die Homepage http://fototriennale.mur.at und das Diskussionsforum think-tank@mur.at eingerichtet. Die Künstlerlnnen veröffentlichten neben Textdaten einen Ausschnitt aus ihrer bisherigen Produktion und folgten der Einladung, in einer ersten Projektphase gemeinsam mit Theoretikerlnnen eine Diskussion über die verschiedenen Formen der Öffentlichkeit zu führen. lm Verlauf des Produktionsprozesses wurden die Bilddaten [3-5 Bilder pro Teilnehmerln] dem Veranstalter übermittelt. Je ein Beispiel wurde auf die Homepage gestellt, die weiteren Dateien wurden als Prints in Auftrag gegeben: je ein Bild als 24-Bogen-Ptakat, die übrigen als großformatige Ausdrucke für die Ausstellung. Vor der Affichierung der Poster im Stadtraum mit Beginn der Ausstellung startete an den für die Plakatierung ausgewählten Werbeflächen Anfang November eine Teaser-Aktion mit den Titeln der Werke.
ln dieser Form der Veröffentlichung [ebenso wie auf der Video-Wall im Stadtzentrum] sind die ersten Text- und die späteren Fotobilder in Konfrontation mit den kommerziellen öffentlichen Bildern sowohl künstlerisches Produkt als auch Werbeträger für die Veranstaltung. Analog zur Plakataktion will auch die Ausstellung das virtuelle Netzwerk materialisieren, um auf diese Weise den ganzheitlichen Aspekt der gegenwärtigen Bildkommunikation ins Zentrum zu rücken. Die Fotos werden bewusst als Prints präsentiert und verweisen damit auf die rasche und leicht handhabbare Produktion von Bildwerken, wobei gezielt auf das immer wichtiger werdende Faktum des jederzeit möglichen Zugriffs und damit verbunden auf einen offenen Status zwischen Original und Reproduktion verwiesen wird. Als Konsequenz aus diesen Beobachtungen der Praxis nimmt jener Plotter, auf dem die Prints hergestellt wurden, eine wichtige Rolle am zentralen Ausstellungsort – das Eiserne Haus als Schnittpunkt zwischen ehemaligem Café, gegenwärtigem Geschäftslokal und zukünftigem Kunsthaus der Stadt Graz – ein: Das Publikum kann seine Lieblingsbilder erwerben und an Ort und Stelle ausdrucken lassen.
Zitiert aus: Werner Fenz/Ruth Maurer, PUBLI©DOMAlN. 3. Österreichische Triennale zur Fotografie. Third Austrian Triennial on Photograph, Graz/Wien: Triton-Verlag 2000, S. 10-18.
Abbildungen: Trition_Verlag, ArchiV Fenz-Kortschak
Fotos: Werner Fenz, Ruth Maurer, Ewald Maurer
PUBLI©DOMAIN. Ausstellung im öffentlichen Raum und im Eisernen Haus, Graz
21.11.1999 bis 09.01.2000
KuratorInnen: Werner Fenz, Ruth Maurer
Gesamtkoordination: Birgit Kulterer
ON DEMAND. Ausstellung im Fotohof, Salzburg
11.12.1999 bis 13.01.2000
GLORY BOX. Ausstellung im der Kunsthalle Tirol, Hall in Tirol
26.11.1999 bis 23.01.2000
PUBLI©DOMAiN. Ausstellung im STUDENTSKI CENTAR, ZAgreb
Publikation
Webseite
↑1 | Auch wenn zahlreiche Definitionen über das Internet angeboten werden. |
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↑2 | z.B. Pit Schultz <pit@icf.de>, Internet, a Public Domain?, in: Marius Babias, Achim Könnecke [Hrsg.], Die Kunst des Öffentlichen, Dresden, Amsterdam: Verl. Der Kunst, 1998, S. 140. |
↑3 | F. Rötzer, op.cit., S.44. |
↑4 | Werner Kroeber-Riel, Bildkommunikation, München: Verlag Franz Vahlen GmbH,1996 |
↑5 | W. Kroeber-Riel, op.cit. S.7. |
↑6 | Einzelne Aspekte wurden in jüngst publizierten Untersuchungen aufgelistet: Claudia Büttner, Art Goes Public, München: Verlag Silke Schreiber, 1997; Marius Babias, Achim Könnecke, Die Kunst des Öffentlichen, Amsterdam, Dresden: Verl. Der Kunst, 1998; Markus Wailand, Vitus H. Weh [Hrsg.], Zur Sache. Kunst am Bau, Wien: Triton, 1998. |
↑7 | Paolo Bianchi [Hrsg.], Lebenskunstwerke [LKW] und Lebenskunst als Real Life, Kunstforum International, Bd. 142 und Bd. 143, Oktober-Dezember 1998 und Januar-Februar 1999. |
↑8 | 1993 „KRIEG“, 1996 „Radikale Bilder“ |
↑9 | Niklas Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1997, Kapitel 4. Die Funktion der Kunst und die Ausdifferenzierung des Kunstsystems, S. 217-219. |
↑10 | Diesen Begriff habe ich in Zusammenhang mit Kunst im öffentlichen Raum in die Diskussion gebracht. Vgl. 2000-3. ArtSpace plus Interface, Katalog und CD-Rom [Medienkombination], Wien: Triton, 1998. |
↑11 | Michel Foucault, Andere Räume, in: Aisthesis, Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, Leipzig: Reclam, 1990, S. 34-46. |