Michael Schuster
The Ultimate Goal of Photography is…
Wenn Michael Schuster durch die siebenfache Vergrößerung aus dem optisch-technischen, der mechanischen wie der elektronischen Bildproduktion zugeordneten Hilfsinstrument Macbeth ColorChecker® Color Rendition Chart ein Kunstwerk kreiert, dann wird er die Selbstdarstellung des Produktes durch die Firma sehr wohl mitreflektiert haben: „The ultimate goal of any process of photography, television, or printing is to reproduce all colors perfectly. However, color rendition is a very subjective matter. Different renditions may be preferred for different applications, and different people may have varied color preferences. To help us make meaningful judgements about color rendition, we need a totally non-subjective standard of comparison. That is why we developed the Macbeth ColorChecker chart.“1The Macbeth ColorChecker. Color Rendition Chart, Einleitung der Produktdarstellung, Beipackzettel.
Auffallend ist, daß in dem Diagramm des Checker über die rein optischen Daten der Farbtöne, des Weiß und Schwarz sowie der verschiedenen Grauabstufungen und über die verschiedenen Farbdichten hinaus die Haut, der Himmel, das Laub und die Blume als Tonwerte der Population und der Natur/Landschaft jenseits der abstrakt-konkreten Werte als aufbauende und farblich meßbare Grundsubstanzen, als Träger typischer Farbmaterialität auftauchen. Insgesamt ein objektiver Raster im Vergleich zu den subjektiven Vorstellungen und Vorlieben. Ein Raster auch, der die Welt in ihren unterschiedlichsten bunten Erscheinungsformen – also in ihrer sinnlich-optischen Gesamtheit – zu vermessen imstande ist. Mit den Instrumenten des ColorChecker wie auch der „KODAK Color Control Patches“ vermögen wir (farb)getreue Abbilder der Wirklichkeit herzustellen. Was diese Wirklichkeit ist, steht freilich nach wie vor zur Disposition, wenngleich Determinanten wie bunt, meßbar, in Grundelemente zerlegbar und aus diesen wieder zusammensetzbar, vergleichend kontrollierbar, in Zusammenhang mit Licht- und Zeitfaktoren der bilderzeugenden Maschinen objektivierbar einen mehr oder weniger deutlich abgesteckten Raster ins Spiel bringen.
Ein System also, das sich auf die technische Seite der Welt-Aufnahme bezieht, als Kontrollkarte und -streifen im medialen Zeitalter der verfeinerten und beschleunigten technischen Reproduzierbarkeiten. Die aufgrund der Vergrößerungen und veränderten Endausführung als Semi-Ready-mades zu definierenden „KODAK Color Control Patches“ und „ColorChecker“ sind nicht nur objekthafte, sondern ebenso medienreflexive Zeichensetzungen, die Anspruch und Möglichkeiten der Fotografie in sich vereinigen. Dies geschieht an jener Schnittstelle des künstlerischen Diskurses, an der konzeptuelle Strategien nicht mehr als Einzelphänomene in Form einer Versuchsanordnung registriert werden, sondern als Aussage einer Allgemeinverbindlichkeit. In dieser summarischen Vorgangsweise steckt die Radikalität des künstlerischen Ansatzes. In jeder der bisher durchexerzierten Realisationsmöglichkeiten handelt es sich um eine eminent wichtige räumliche Dislozierung. Der instrumentale Charakter des Ausgangsmaterials läßt von Anfang an die begriffliche Definition als Ready-made in Zweifel ziehen. Selbst dann, wenn es sich bei dem Präsentationsort um einen traditionellen Kunstort handelt.
Denn bei Michael Schusters „Farbkeil“ oder „ColorChecker“ kann von vornherein nicht ausgeschlossen werden, daß es sich um eine Illusion einer organischen Synthese aus Valorisiertem und Profanem handelt. Also entsprechen unsere Objekte nicht der und von Boris Groys jüngst berechtigterweise ins Spiel gebrachten Charakterisierung des Ready-mades.2Boris Groys, Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie, C. Hanser: München, Wien 1992, S. 71–76. Schuster gibt mehr als deutlich einen „Hinweis auf irgendein anderes, drittes Prinzip“, das aus dem Valorisierten und Profanen zu einer neuen Einheit und vor allem Bedeutungskomponente verschmilzt. Seine zur Diskussion stehenden Arbeiten erschöpfen sich nicht in der Umwertung des Banalen mit Hilfe eines valorisierten Raumes, sie verweisen auf das Faktum, die Bedingungen und Möglichkeiten der Fotografie, auf stellvertretende Objekte, in denen das Foto als Denk-Bild aufgehoben und zugleich anwesend ist.
Einen Schritt weiter in eine wesentlich komplexere Situation geht Schuster dann, wenn er den „Farbkeil“ als künstlerisches Werkzeug3Das „künstlerische Werkzeug“ im Sinne von Daniel Buren, der diesen Begriff für seine Gestaltungsmethode verwendet. räumlich transferiert: zum einen als Objekt in den urbanen oder Landschaftsraum stellt und/oder diese Anordnung als Bild-im-Bild-Situation fotografisch inszeniert. In der realen Konfrontation des Multiples mit einer objekthaften Wirklichkeit verstärkt sich der Grad der Instrumentalisierung. Sie zielt auf den gesamten Bereich der Realität und deren möglicher fotografischer Vermessung. Diese wird nun auf den unterschiedlichsten Ebenen determiniert. An die auch theoretisch präzise vorbereitete und künstlerisch ebenso umgesetzte Haltung von „Alle haben alles gesehen“ und „Szene aus dem gleichnamigen Stück“ anschließend handelt es sich letztendlich um Statements zur Abbildungsfunktion und -möglichkeit der Fotografie, auch zur Positionierung des mechanischen statischen Mediums vor dem Hintergrund des bewegten elektronischen; um einen Beitrag zum künstlerischen/fotografischen Diskurs als Positionierung in der Diskussion zum vorhandenen, notwendigen oder angestrebten Realkontext.
Dieser ist durch formale wie inhaltliche Texturen bestimmt. Im Formalen laufen die Beziehungen zwischen Fotografen und Bildgegenstand: Das heißt, durch das Einstellen des Bildobjektes „KODAK Color Control Patches“ in einen Landschaftsraum werden die Kategorien der Verfremdung wie der Inszenierung aktiviert. Der einmal festgelegte Vergrößerungsmaßstab des Multiples nimmt in Verbindung mit der Wahl des Aufnahmepunktes auf den Umraum Rücksicht. Der „Farbkeil“ wird nicht zum Signet abgewertet oder hochstilisiert, er vermag seine physische Präsenz als Kunstobjekt zu entfalten. In seiner bestimmenden hochrechteckigen Form und mit seinem präzisen Rastersystem setzt er sich von den Texturen der ausgesuchten Umgebung ab. Es handelt sich nicht um die konzeptuelle technische oder „stehengelassene“ Materialmarkierung am Bildrand, wie sie etwa in der fotografischen Praxis seit den siebziger Jahren mehrfach auftaucht: z.B. Bildsequenzen in Form von reproduzierten Kontakt-Streifen mit Perforierung, Filmbezeichnung und fortlaufender Nummerierung (oder auch das Einbeziehen der Materialränder im Einzelbild).
Als inhaltlicher Parameter wird das exakt nachgebaute und in das „Weltpanorama“ eingestellte Objekt mehrfach bildbestimmend: propädeutisch als medienreflexives Element. Seine Anwesenheit realiter, besonders aber im Foto, läßt uns das Bild sofort anders lesen. Hier muß zweierlei beachtet werden: Erstens, daß es sich nicht um eine der auch heute üblichen Einkopierungen realer Motive in andere reale Motive handelt und zweitens – die Definition des Ready-mades im Gedächtnis –, daß wir es mit einem relativ leicht erkennbaren medienimmanenten Objekt zu tun haben. Durch diese offensichtliche Bezüglichkeit zur Fotografie wird die Rezeption bestimmt und durch sie das Bild nicht als mehr oder weniger sinnvolle Montage zwar verschiedenartiger, aber doch ähnlichen Realitätskategorien angehörender Beleg-Ausschnitte interpretiert. Im geometrischen Farbraster des „ColorChecker“ wie der „Control Patches“ ist die Wirklichkeit anders präsent: dinghaft und instrumental als objektive Voraussetzungen zur perfekten Reproduktion dieser Wirklichkeit. In weiterer Folge – in der Konfrontation des referentiellen Kunstobjektes mit dem traditionellen fotografischen Wirklichkeitsbild – taucht durch diese spezifische Anordnung immer wieder ein Begriffsinstrumentarium im Kopf des Betrachters auf, das durch Messung, Kontrolle, Perfektion, erreichbaren Standard technischer, also in diesem Fall fotografischer, Reproduzierbarkeit gefärbt ist. Dieses leidenschaftslose Memento, das von Schuster zwar ideologiekritisch, aber nicht wertend eingebracht wird, bestimmt nicht nur die Bildproduktion, es ist vielmehr ihr Anlaßfall. Zugleich wird auch ein Statement zur Wahrheit und Authentizität der Fotografie ausformuliert, das nicht mit dem entscheidenden Augenblick argumentiert, sondern mit dem Vermessungsraster im technischen 1:1-Format, mit den potentiellen Möglichkeiten, ja mit der Virtualität der Bilder.
Wo immer der „Farbkeil“ (auch als Schwarzweiß-Reproduktion) auftaucht, bestimmt er das Bild als „informatives“, weil aus dem üblichen Bildkosmos ausbrechendes.4Ein entscheidender, und wohl deshalb auch so oft zitierter Begriff von Vilém Flusser (V. F., Für eine Philosophie der Fotografie, Göttingen: European Photography 1991, S. 63). Realiter (wie anläßlich der „1. Internationalen Foto-Triennale Esslingen“) wird die Umgebung des Objektes zum leicht variierbaren, aber determinierten Motiv. Als (Meß)Bild im Bild setzt sich der Dialog zwischen dem Objekt, das bereits zuvor als künstlerisches Werkzeug definiert wurde, und den übrigen Wirklichkeitstexturen in Gang. Denn wie die Realität des „Instrumentes“ unbestritten ist, so ist es auch die des übrigen Bildgegenstandes. Letztlich aber findet so etwas wie eine Nivellierung der Motive statt: Die vom Konzept und der Zeit aufwendige US-Serie der „KODAK Color Control Patches“ ist in der reinen Bildwirkung dem Bildgegenstand „Schottergrube“ oder „Grazer Schloßberg“ gleichzusetzen. Die Anwesenheit des überdimensionierten Kontrollobjektes relativiert den fotografischen Illusionsraum, wie es auch ganz allgemein die Frage nach Hierarchien und Bedeutungskomponenten künstlerischer Prozesse aufwirft. Werden die Skyline von Chicago, das Areal von Cape Kennedy oder die Beschaulichkeit des Esslinger Wehrneckars von den „Control Patches“ bestimmt, beeinträchtigt, verändert? Relativiert sich ihr Realitätsanspruch als Foto durch das eingestellte Objekt?
Mit einer Antwort auf diese Frage können wir Michael Schusters Position in den gegenwärtigen (foto)künstlerischen Diskussionen festmachen. Das Einstellen der Meßlatte in einen traditionell ausgebeuteten fotografischen Bildraum führt das Foto unmißverständlich auf das Medium der Fotografie zurück. Diese Rückführung erfolgt auf der Basis einer Instrumentalisierung. Wenn wir uns folgerichtig nicht nur mit dem Erkennen der Methode zufrieden geben, sondern weiter nach der Art der Instrumente forschen, erscheint ein auf das Wesentlichste reduziertes Beziehungsgefüge: jenes zwischen dem Subjekt und dem Objekt, also zwischen dem Fotografen und seinem verwendeten Medium, der Fotografie. Die Instrumentalisierung erfolgt also systemimmanent und -konform. Sie entbehrt jeder spektakulären Erfindungen und basiert auf einer konzentrierten Auswahl aus dem ständig im Blickfeld befindlichen Regelkreis.
Dieser Ansatz gilt in der Qualität der Konsequenz auch für andere, immer wieder konzis weiterformulierte Werkgruppen: neben den schon genannten „Alle haben alles gesehen“ und „Szene aus dem gleichnamigen Stück“, ebenso für „THIS PAPER MANUFACTURED BY KODAK“, für „Hasselblad“, die „Autofocusfalle“ oder „5x SM 144–18“. Der (ideologie)kritische Umgang zielt auf das Gegebene und Bestimmende, nicht auf die metaphorische Anreicherung oder einen abrupten Szenenwechsel. Indem Schuster permanent „Szenen aus dem gleichnamigen Stück“ reproduziert und dabei die Reproduktionsqualität verfeinert, entwickelt er einen engmaschigen Raster mit einer Schlüssigkeit, die das Allgemeine repräsentiert. Gerade in der Form des Repräsentierens im Sinne eines Wieder-gegenwärtig-Machens definiert er die Fotografie als wesentlichen Teil der weiteren medialen Systeme: mit ihrem Spezifikum der Informationsbeschaffung und -darstellung im Zeitalter einer fortschreitenden Verselbständigung der Apparaturen und der einzig möglichen Entscheidung des Knopfdrucks in einem bestimmten Moment. Stringenter als in manchen anderen Positionen wird die Objekthaftigkeit des fotografischen Apparats, die nicht nur an das Aufnahmegerät selbst gekoppelt ist, sondern das bedienende Subjekt miteinschließt, sichtbar und denkbar gemacht: als Denk-Apparat einer rasanten Bildrevolution.
Manuskript zu: Werner Fenz, The Ultimate Goal of Photography is…, in: Michael Schuster, Oktagon Verlag: München/Stuttgart 1993, S. 43–52.
Erschienen anlässlich der Ausstellungen in der Neuen Galerie Graz (5. Juni bis 20. Juli 1993) und im Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (29. Mai bis 20. Juni 1993).
Abbildungen: Österreichisches Fotoarchiv, Archiv Fenz-Kortschak
Fotos: Michael Schuster, Werner Fenz
Publikation
↑1 | The Macbeth ColorChecker. Color Rendition Chart, Einleitung der Produktdarstellung, Beipackzettel. |
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↑2 | Boris Groys, Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie, C. Hanser: München, Wien 1992, S. 71–76. |
↑3 | Das „künstlerische Werkzeug“ im Sinne von Daniel Buren, der diesen Begriff für seine Gestaltungsmethode verwendet. |
↑4 | Ein entscheidender, und wohl deshalb auch so oft zitierter Begriff von Vilém Flusser (V. F., Für eine Philosophie der Fotografie, Göttingen: European Photography 1991, S. 63). |