Kriesche/Hoffmann
Künstlermännerpaare
Die beiden in Graz lebenden Künstler Richard Kriesche (geb. 1940 in Wien) und Peter Gerwin Hoffmann (geb. 1945 in Gröbming/Steiermark) sind mehr als bloße Medienkünstler. Ihr Kunstraum ist der Lebensraum „mit seinen Bedingungen von Produktion und den normativen Verfahren der Reproduktion“, wie Werner Fenz in seiner Künstlerbetrachtung eines „Humanen Bildpotentials“ schreibt. Kriesche/Hoffmann arbeiten seit 1976 immer wieder an gemeinsamen Projekten.
Wenn das „Schwarze Quadrat“ von Kasimir Malewitsch durch eine computergestützte Bildverarbeitung zu einem bunt-plastischen Relief mutiert; wenn der Herzschlag des Künstlers, umgesetzt in einen Laserstrahl, der emotionalen Beziehung der Menschen zu ihrem unmittelbaren Lebensraum Ausdruck verleiht; wenn die in allen öffentlichen Institutionen und Gebäuden aufgefundenen Bilder einer steirischen Kleinstadt eine durch den Kunst-„Beleg“ herbeigeführte Kommunikation in Gang setzen und damit Wirklichkeitserfahrungen freischaufeln sollen; wenn der Bauer auf seiner Knopf-Harmonika jene dort fotografisch eingeschriebene Klaviatur der notgedrungenen Berufe spielt, um sich den Beruf Bauer noch leisten zu können; wenn der Video-Schirm zum therapeutischen Angebot in der Universitäts-Kinderklinik wird – dann stützt sich die These, daß „mit Kunst Wirklichkeit beschrieben wird“, über die so erzeugten und miteinander verknüpften Bilder nachdrücklich im Sinne eines funktionsorientierten Tuns.
Das Etikett Medienkünstler, das den beiden Grazern mangels anderer Kriterien schematisch verpaßt wird, verkürzt die Beschreibung der Arbeitswirklichkeit in unzureichendem und schon fahrlässigem Ausmaß. Foto, Video oder Computer sind die zwar adäquaten Mittel der Darstellung, das eigentliche Medium aber ist der Lebensraum mit seinen Bedingungen der Produktion und den normativen Verfahren der Reproduktion von Bildern; mit der Angewohnheit, Bildzeugnisse zwar als vorhandenes, aber auch unveränderbares Protokoll der Gegenwart hinzunehmen; mit der durch das visuelle Gewohnheitsrecht abgestützten Trägheit, Bilder und ihre Produktionsmechanismen als festgeschriebene naturgesetzliche Erscheinungen einzustufen, unter Ausschluß der kulturellen, sozialen oder wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Wenn man in der These von René Berger „Je mehr sich der Computer als Maschine bewährt, desto weniger tritt er als Maschine in Erscheinung“ die Begriffe Computer durch Gesellschaft und Maschine durch System ersetzt, wird das Koordinatensystem der Lebensbedingungen plötzlich in einer geradezu banalen Weise einsichtig. Durch weitreichende politische Pressionen mittelbar oder unmittelbar aufgeschreckt bzw. betroffen, scheinen zwar Sicherheit und Unsicherheit von Konstruktionen, die den Lebensraum des Menschen betreffen, klar auf der Hand zu liegen, immer noch nicht aber die dazugehörenden ästhetischen Implikationen. An diesem Punkt ist der enorme Wirkungsradius der Arbeiten von Kriesche und Hoffmann angesiedelt. Sie als Sozialanimateure abzustempeln, wäre ebenso billig wie unter den gegebenen Umständen des Ansatzes falsch. Das Ausdifferenzieren des Arbeitsvorgangs stellt einen intellektuellen Vorgang unter den Prämissen eigen-sinniger künstlerischer Definition dar.
Der Untertitel „Ästhetisches und Humanpotential digitaler Bildproduktion“ ihrer bisher letzten gemeinsamen Arbeit „W.Y.S.I.W.Y.G.“ (What You See Is What You Get) aus den Jahren 1988/89 kann trotz der Spezifikation auf die computergestützte Bildverarbeitung exemplarisch die übergeordnete geistige Haltung verdeutlichen: das Potential, die Potenz des dem Menschen zugeordneten ästhetischen Blickfeldes. Es handelt sich hier, wie in den früheren Arbeiten „Kulturinitiative Weiz“ (1976/78), „Öffentliche Brucker Bilder“ (1976), „Kinderfreundliches Krankenzimmer“ (1979), „Humane Skulpturen“ (1980/81) oder „2000 Jahre Kunst“ (1982/84), um einen Spiegel und eine Schule visueller Umgangsformen. Die Artikulationsfähigkeit zielt auf „Randgruppen“, die wir alle in den unterschiedlichsten Konstellationen bilden: als in der humanen Existenz Bedrohte im Krisengebiet einer bestimmten Kleinstadt (Eisenerz, „2000 Jahre Kunst“) oder auf dem Land („Humane Skulpturen“), als im Bildgebrauch Unkundige in der Arbeitswelt („Kulturinitiative Weiz“) oder im täglichen amtlichen Geschäftsverkehr („Offentliche Brucker Bilder“), als Benutzer künstlicher Intelligenzen, deren Bildausstoß und Bildregulativ unterschätzt und unter kreativen Gesichtspunkten kaum beachtet werden, obwohl sich die stündlich produzierten, keiner vorstellbaren Maßeinheit mehr zuzuordnenden visuellen Informationen stetig im Unterbewußtsein ablagern.
Mit ihrem in „W.Y.S.I.W. Y.G.“ realisierten Konzept haben sich die beiden, die auch die Gruppe „kulturdata“ gründeten und für Kollegen als Handlungsspeicher zur Verfügung stellen, als „Bilderstürmer“ des Museumsraumes bemächtigt. 20 Bilder „als kleinstmögliche Auswahl aus der abendländischen Bilderkunst“ wurden verschiedensten technischen Programmen ausgeliefert, um „Ästhetik und Kunst im Kontext der Digitalisierung bzw. Elektronisierung zu orten“, wohl, um auch die Sinnfrage zweimal zu stellen: nach den Fähigkeiten der künstlichen Intelligenz und nach der Intelligenz künstlerischer Fähigkeiten. Dies vor allem vor dem Hintergrund einer diagnostizierten „Materialermüdung“ innerhalb der zeitgenössischen Bildproduktionen. Abnutzungen nicht nur aufgrund hektischer Steuermechanismen innerhalb der System-Kunst, sondern vor allem im Gegenüber zum digitalen Bild. Unterschiedliche Vermessungsraster zielen in diesem Projekt auf die bildliche Oberfläche ab. Sie kippen das dem Bewußtsein eingeübte Sehen auf die frisch angelegte Halde nur minutenlanger, aber punktgenauer Rechenarbeit. Der Ästhetizismus der Computergrafik wird durch die Brechung gestalthafter, visueller Dogmen als verführerischer Parameter ausgeschaltet.
An der Bruchlinie von alten Sehgewohnheiten und neuen Produktionsnormen wird auch das „Schwarze Quadrat“ als lnkunabel auf den Prüfstand geschickt. Kaum zur Deutung von Malewitsch, viel eher, um einen neuen ästhetischen Fragenkatalog zu präsentieren, der nicht, nur im Dunstkreis künstlerischer Kriterien aufgestellt, Kunst simuliert, sondern an sie direkt Hand anlegt. Jene gesicherten künstlerischen Zeugnisse mit ihren vielfach standardisierten Rezeptions- und Deutungsmustern dienen als direkte Reibefläche, an der mit dem Rechner wie mit einem Streichholz ein Licht entzündet wird, das durch sein Aufflammen die Bilder neu beleuchtet. Die Wirklichkeit der Kunststücke verliert zumindest auf der optischen Ebene ihre Eindeutigkeit, da sie in anderer Gestalt neu berechenbar sind. An diesem Punkt setzt auch die Dialektik der Methode ein: Bildproduktionen werden dem gesteuerten Bilderproduzenten übergeben; sein Potential ergänzt das Original in derart vielfältiger Form, daß er vor dem Ergebnis kreativer Handlung in seiner eigenen möglichen Kreativität Konturen gewinnt. Vor den Arbeiten von Kriesche und Hoffmann sollte man die Feststellung, „der Betrachter werde ins Bild gesetzt“ (Kemp), durch einen zweiten Teil ergänzen: um sich in ihm und mit ihm in den gewohnten und neu erbauten Lebensräumen zu orientieren.