Kolo Moser, Gemälde Graphik, Neue Galerie Graz 1969
Hinter dem Begriff Wien um 1900, der Literatur- und Musikwissenschaft ebenso eigenet wie der Kunstwissenschaft, ist eine Reihe von einschneidenden Ereignissen greifbar.
Als sich am 3.April 1897 die Vereinigung bildender Künstler Österreichs Secession konstituierte, zeichnete sich ein neuer Impuls im Wiener Kunstleben ab. Die neue Vereinigung verließ im Mai desselben Jahres die Genossenschaft bildender Künstler Wiens im Künstlerhaus, der sie bislang noch angehört hatte und beschloß, eigene Ausstellungen zu veranstalten. Anlaß der Abspaltung war der Streit um ein nicht ausgestelltes Bild, Ursache eine tiefe Unzufriedenheit mit einer „zunehmend geschmacklosen Kunstproduktion, die nur den Wünschen des Publikums entsprach“. Freilich waren auch die Vorgänge im Ausland von Einfluß, 1892 war in München, 1893 in Berlin eine Secession gegründet worden. Abspaltungen, die vor dem erstaunlich bewußt erlebten Ende des Jahrhunderts vollzogen worden waren. Der Summe, aus vielen Widersprüchen einer unausgeglichenen Zeit gebildet, sollte ein Neubeginn unter ganz bestimmten Voraussetzungen folgen. Eine war die Entwertung der Hierarchie der Kunstsparten, wodurch dem Kunstgewerbe, dem eine neue hohe Einschätzung der Handwerkskunst zugrunde lag, der Beigeschmack der „Kleinkunst“ genommen worden war. Damit war die bedeutungsvollste Basis der Zeit gefunden. Maler wie Henry van de Velde und Peter Behrens wollten von ihren Bildern nichts mehr wissen, um als eine der ersten nach der Synthese aus Funktion und ästhetischem Reiz zu suchen. Verwendbarkeit und Gebrauch waren faszinierende Vorwürfe, die nach einer Gestaltung drängten, und schließlich vor keinem Gegenstand Halt machten. Daß unter diesen Aspekten der Gedanke des Gesamtkunstwerkes bisher zum letzten Mal neu formuliert wurde, stellt eine logische Fortführung dieses Erneuerungsprozesses dar. Der Künstler sollte nicht mehr nur erbauen, sondern die Umgebung des Einzelnen gestalten.
Dem ausgebrannten Historismus abschwörend, war in einer neuen Auseinandersetzung mit der Natur die Formensprache gefunden oder aber aus abstrakt-geometrischen Motiven zusammengesetzt worden. Weniger in dem Umstand, daß vom Kunstgewerbe aus die Kunst als neu gefaßte Einheit erneuert werden sollte, lag der kritische Punkt der Bewegung, die gegen den Stil war, aber genau so wie der Historismus Stil suchte, sondern in der Diskrepanz zwischen dem unermüdlichen Streben nach der wahren, der reinen Kunst mit Mitteln, die mehrfach in der gekonnten künstlerischen Gestaltung der Gebrauchsgegenstände ihre Grenzen hatten. Die Substanz der ehemals unabhängigen Architektur und Malerei wurde aufgeweicht, kunstgewerbliche Einflüsse erhielten vielfach wieder Kraft und Funktion. So gelten uns heute die unmittelbarsten Produkte, die unter dem Einfluß der neuen Bewegung entstanden sind, Geräte, Möbel und Grafik, darunter wieder die Buchgrafik und die dekorative Grafik an erster Stelle, als bedeutendste Leistungen. In Wien, wo die späteste bedeutende Secession gegründet wurde, bestand ein beträchtlicher Nachholbedarf, der von den 19 Gründungsmitgliedern erkannt und zu befriedigen versucht wurde. So mußte es Ziel der neuen Vereinigung unter ihrem ersten Präsidenten Gustav Klimt sein, in einem eigenen Haus unabhängig arbeiten zu können.
Am 12. November wird der Bau von Josef Olbrich in der Friedrichstraße eröffnet. Doch schon ein Jahr zuvor hatte die Secession in ihrer ersten großen Ausstellung in den Räumen der Gartenbaugesellschaft am Parkring internationale Künstler, zum Teil erstmals in Wien, vorgestellt. Die Ausstellungen waren echte Aufgaben der Secession, hier konnte die Idee des Gesamtkunstwerkes für einige Wochen verwirklicht werden und es wundert nicht, wenn an der Diskussion über die Form der Ausstellungen die erste Wiener Secession im Jahre 1905 zerbrach. Denn der Verlust der durch Klein- und Kleinstarbeit aufgebauten und von einer großen Idee getragenen Mitte ließ das Gefüge auseinanderfallen. Die Räume des Hauses wurden nicht nur jeweils neu arrangiert, sondern immer wieder Umbauten vorgenommen und für die 1908 und 1909 von der ausgetretenen Klimt-Gruppe veranstalteten Ausstellungen, der Kunstschau, eine eigene Architektur von Josef Hoffmann gebaut, die wieder abgerissen wurde. Das berühmteste Beispiel für dieses Arrangement waren die Arbeiten rund um Max Klingers Beethoven-Plastik 1902, darunter Klimts Fries „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“. Neben der Schaffung einer internationalen Atmosphäre, deren Gefahren von vornherein mit der Äußerung: „Die ausländische Kunst soll uns anregen, uns auf uns selbst zu besinnen, wir wollen sie anerkennen, bewundern, wenn sie es wert ist; nur nachmachen wollen wir sie nicht“, zu bannen versucht wurden, war die Herausgabe einer eigenen Zeitschrift ein weiterer wesentlicher Schwerpunkt der Wiener Secession. Zeitschrift – sie war ein wichtiger Bestandteil des geistigen Lebens der Zeit, und die zahlreichen Exemplare, vor allem im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, haben viel zur raschen Ausbreitung eines neuen Stils beigetragen, der bei aller Universalität, die ihm die Anmerkung, der letzte gesamteuropäische Stil gewesen zu sein, eingetragen hat, seine unterscheidbaren Spielarten besaß: modern style, art nouveau, Jugendstil und Wiener Secessionismus.
Berlin war im deutschsprachigen Gebiet mit dem Pan vorangegangen, der erstmals 1895 unter der Redaktion von Julius Meier-Graefe und Otto Julius Bierbaum erschien. Die aus einem vorwiegend literarischen Kreis erwachsene Exklusivität der Berliner Zeitschrift nützend, brachte Georg Hirth ein Jahr später in München die Jugend heraus, eine Wochenschrift, die wegen ihres literarischen Beitrages und ihrer Aufmachung längst vergessen wäre, hätten nicht die besten deutschen Illustrations- und Buchschmuckkünstler sich und der Zeitschrift einen Namen gemacht.
Ein wesentliches Merkmal der 1898 herausgegebenen Wiener Zeitschrift mit dem beziehungsvollen Titel Ver Sacrum, der eine gewisse künstlerische Religiosität andeutet, war die Tatsache, daß sie Sprachrohr einer Vereinigung war. Die bibliophilen Ansprüche waren groß, wenn sie auch anfangs in der Fülle des Materials zu ersticken drohten. Als Mitteilungen der Vereinigung bildender Künstler Österreichs war Ver Sacrum trotz des literaturschwangeren Wien der Jahrhundertwende keine literarische Zeitschrift, wenn auch die Bereitschaft der Dichter und Essayisten mitzuarbeiten groß war und gewürdigt wurde. Vielmehr läßt sich ein gewisser Musterbuchcharakter der Zeitschrift, die unter bibliophiler Flagge Schmuckmotive aller Art aufnimmt und verbreiten will, zumindest in den ersten Jahrgängen nicht leugnen. Als Folge der Durchdringung des gesamten Lebens mit Kunst, nahmen sich des Plakates, des Buches und der Zeitschrift die ersten Künstler an.
Kolo Moser, Gründungsmitglied der Wiener Secession und zum engeren Kreis ihrer Wortführer zählend, war 30 Jahre alt, als er Mitarbeiter des Ver Sacrum wurde. In diesem Kreis der Buchschmuckkünstler und Illustratoren befanden sich maßgebende Architekten wie Joseph Olbrich und Josef Hoffmann. Von hier aus lassen sich am übersichtlichsten jene Kreise ziehen, die Mosers grafisches Werk umfassen. Stilische Entwicklungen finden in der Zeitschrift der Secession ihren Niederschlag, der Motivschatz wird voll ausgebreitet. Im wahrsten Sinn des Wortes ausgebreitet, denn Kolo Moser zählt zu den fleißigsten Mitarbeitern, der vor allem in den ersten beiden Jahrgängen eine Fülle von Material liefert. Sein Beitrag zu einem Wiener Flächenstil, der besonders nach der Jahrhundertwende an Bedeutung gewann, muß im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen, wenn von den Leistungen des Ver Sacrum-Kreises die Rede ist.
Der neuen Einstellung, daß Plakat, Buch, Zeitschrift, daß Postkarten, Banknoten, Marken etc. einer künstlerischen Gestaltung bedürfen, kam die Beschäftigung mit der Frage nach einem eigenen Flächenstil, die im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts nicht nur in der Malerei gestellt wurde, zugute. Die Fläche forderte ihre eigene Formungsweise, die, soweit es sich um Muster handelte, auch auf ihre Anwendbarkeit überprüft wurde. Als entscheidender Schritt ist der Bruch mit der Auffassung, Fläche sei nur die Oberfläche eines Illusionsraumes anzusehen. Im Erkennen der Eigengesetzlichkeit von Flächenformen, die ihre konsequenteste Verwirklichung in schattenloser, modellierungsfreier Zweidimensionalität fanden, lag eine wesentliche Voraussetzung für die Verwirklichung der angestrebten grafischen Einheit. So war eine Übereinstimmung mit der Schrift möglich geworden und es ist kein Zufall, daß in diesem wechselseitigen Zusammenspiel einerseits die legendäre Secessionsschrift entstand, andererseits vom Buchstaben ausgehend der Zwischenraum und der Hintergrundausschnitt aktiviert und auf das Dekorationsprinzip übertragen wurden. Dieser Ansatzpunkt der Betrachtungen erleichtert manche Verständigungsschwierigkeiten und schien auch für Mosers Arbeiten angebracht.
Mit dem „Dekorativen Fleck in Rot und Grün“, dem Umschlag für das zweite Heft des I. Jahrganges und einem „Verzierten Notenmanuskript“ (Kat.103) gestaltete Moser charakteristische Beiträge am Anfang der Zeitschrift. Flächenformen, Linienmuster und die Bewegung der Linie werden auf jener Ebene verwendet, auf der ihr Zusammenhang mit Realitäten klar erkennbar bleibt. Die Modellierung der Gesichter, räumliche Überschneidungen und körperliche Formungen, wobei die Linie als formendes Element eingesetzt wird, sind ein wesentlicher Bestandteil der Darstellung und machen in ihrem Gegensatz zu flächigen Bildpartien den eigenen Charakter der Arbeiten aus. Noch löst sich die Linie nicht von ihrem tragenden Motiv los und nimmt nur hie und da die Gelegenheit wahr, in losen Schnörkeln zu enden und frei auszulaufen. Pflanzliche Elemente, die wohl in der Zusammenstellung mit weiblichen Köpfen und speziell weiblichem Haar verwendet werden, sind gebändigter als im deutschen Jugendstil, obwohl keinesfalls von einer abstrakten Stilphase gesprochen werden kann. Die Formquellen sind klar in der Natur zu suchen und zahlreiche Studien mit Pflanzen- und Blütenstilisierungen unterstreichen diesen Eindruck. Das ausgeprägteste Beispiel für eine Einheit mit vegetabilischen Formen bietet die Illustration zu einem Gedicht von Arno Holz, in der der menschliche Körper in weit ausladende Blätter auswächst.
Typisch für Kolo Moser wird schon in den ersten Jahren, die Linie geschmeidig in S-Formen zu führen und auch dort, wo pflanzliche Motive Verwendung finden, die rundere, geschlossenere Form vorzuziehen. Den eigenartigen naiv-kindlichen Figurentypus bringt er aus seiner Vergangenheit als Illustrator mit.
Im „Jugendschatz deutscher Dichtungen“, in der Broschüre „Für die Jugend des Volkes“ bis zurück zu den Blättern in den „Allegorien, Neue Folge“ tauchen diese ausdruckslosen, blutleeren Gesichter und Gestalten auf, vor allem als weibliche Figuren. Über diesen langgewandeten Figurentypus sind die Einflüsse der englischen Illustrationskunst, wie sie zum Teil in der Kunstzeitschrift The Studio wiedergegeben wurde, ohne weiteres abzulesen. Neben dem Übernehmen von Gesichtsumriß und Gewandstücken wird vor allem die Stimmung der sehnsuchtsvollen, zerbrechlichen Mädchen und der schönen Jünglinge, wie sie auch im Münchner Illustrationskreis üblich waren, von englischen Vorbildern bezogen.
Mit dem III. Jahrgang wird nicht nur das Format von Ver Sacrum kleiner, sondern es nimmt auch der reiche Motivschatz ab. Die Überladenheit der zahlreichen Kopf- und Randleisten, der Reihen, Vignetten und Muster wird abgebaut und dem Schriftblock, oft nur von kleinen Zeilenfüllern begleitet, mehr Wirkungsraum zugestanden. Kolo Moser, der seit 2 Jahren Professor an der Kunstgewerbeschule ist, arrangiert 1900 einige Ausstellungen der Secession, wobei er vor allem bei der Hängung der Bilder neue Wege geht, sein grafischer Beitrag für die Zeitschrift ist in diesem Jahr knapp.
Immerhin fällt bei einer Zierleiste aus 1900 die radikale Entkörperung der Frauengestalt auf. Schwimmende Frauen in Verbindung mit Fischen stellen auch in der einfacheren Bilderwelt genauso wie Werke Klimts die Verbindung zu Siegmund Freuds Sexualsymbolik her. Es sind nun reine Flächenformen, aus denen die Figur zusammengesetzt wird, lediglich stilisierte Hände und ein stilisiertes Gesicht stellen annähernd menschliche Bezüge her. Noch ist die Gestalt in ihrer Gesamtheit dem Eindruck der einzelnen Teile, die dem Gesetz der Fläche gehorchen, gleichwertig.
In diesem neuen Verhältnis zur menschlichen Gestalt ergeben sich Querverbindungen zu den dekorativen Arbeiten der „Glasgow Four“, insbesonders zu denen von Charles R. Mackintosh. Im November 1900 stellten die vier schottischen Künstler Charles R. und Margaret Mackintosh, Herbert und Frances McNair in der Wiener Secession aus. War schon eine auffallende Ähnlichkeit zwischen dem Möbelstil von Mackintosh einerseits und besonders Hoffmann andererseits festzustellen, die auch bei kritischer Betrachtung bisher noch keinen der beiden Künstler das Primat zuweisen konnte, so dürfte der dekorative Teil der Arbeiten Kolo Moser beeinflusst haben. Eine Zeichnung im Österreichischen Museum für angewandte Kunst konstruiert in sehr verwandter Weise eine Frauen“figur“ wie sie bei Mackintosh als Schmuck in der IIX. Ausstellung zu sehen war.
Der Eindruck, den die Schotten in Wien hinterließen, war jedenfalls gewaltig, und bei einer Besprechung ihres Werkes wurde auch auf die völlig neue Art, der menschlichen Figur ihre Substanz zu nehmen, hingewiesen. 1901 bringt Ver Sacrum wieder eine der gelängten ästhetisierenden „Gestalten“, die, abgesehen vom Kopf, nur noch aus rein dekorativen Teilen geformt wird. Für „Neue Fragmente“ von Arno Holz verwendet Moser erstmals typografischen Buchschmuck, der aus immer wieder verschieden gruppierten kleinen Quadraten besteht. Solche Schachbrettleisten sind häufige Zierformen in Ausstellungen und geben kurze Zeit später den Möbeln der Wiener Werkstätte vom Schmuck her ihr typisches Gepräge. Beim Plakat zur XIII. Secessionsausstellung 1902 finden Quadrate und schmale Leisten auch Eingang in den Plakatstil. Auch in dieser am stärksten geometrisierenden Arbeit Mosers, die eine letzte Einheit zwischen Schrift und dekorativer Gestaltung herstellt und den reinen Schriftplakaten Alfred Rollers nahekommt, finden sich Reste von Frauenköpfen, die durch ein bedeutsames beziehungsreiches, zentrales Kreissymbol verbunden, zum Blickfang werden. Wiewohl gerade der geometrisierende Stil ein wichtiger Beitrag der Wiener zur neuen Bewegung war, bleibt jedoch speziell bei Moser diese strenge Ausformung eine Ausnahme. Schon in Ver Sacrum-Holzschnitten desselben Jahres nimmt er den Ton der mit sparsamen, aber stimmungsreichen grafischen Effekten in die Fläche gebundenen Gestalten wieder auf. In einigen Blättern wie den „Nixen“ (1902) fällt daneben eine harte, splittrige Holzschnittechnik auf, die an die Stelle runder, gleitender Linien getreten ist. In der starken Betonung des Beitrages zu Ver Sacrum liegt eine ohne weiteres vertretbare Absicht. Zum ersten ist Mosers Bedeutung als Grafiker untrennbar mit der Secession und ihrer Zeitschrift verbunden, zum zweiten läßt sich in den auch für die Bewegung entscheidendsten sechs Jahren zwischen 1897 und 1903 der Stil mit seinen Erweiterungen und Wandlungen an gesicherter und datierter Buchgrafik am deutlichsten ablesen.
Im selben Jahr, in dem Ver Sacrum sein Erscheinen einstellt, gründet Moser zusammen mit seinem alten Freund Josef Hoffmann, mit dem er schon gemeinsam Meggendorfers Humoristische Blätter ab 1894 illustriert hatte, und dem Bankier Fritz Wärndorfer die Wiener Werkstätte. Das Schwergewicht seines Schaffens verlagert sich für drei Jahre auf Möbel und Gerät, und sein und Hoffmanns Erfindungsreichtum gestatten es, daß in der ersten Zeit ausschließlich Stücke nach den Entwürfen der beiden Künstler ausgeführt werden. Mit der Wiener Werkstätte war das Lieblingskind der Zeit geboren. Die enge Zusammenarbeit zwischen dem Künstler und dem Handwerker, die der Kreis um William Morris schon früh angeregt hatte, fand unter günstigen Voraussetzungen ihren Niederschlag in Wien.
Hier war die Keimzelle für die Durchdringung der menschlichen Umgebung mit Kunst, und die Künstler nahmen sich auch der kleinsten Dinge an, gleichberechtigt mit dem ausführenden Arbeiter, der ebenfalls jedes Stück signierte. Der Anklang, den dieses Unternehmen fand, kam zunächst aus dem Ausland, sodaß Filialen bis nach New York eingerichtet wurden. Mit ihrem eigenen Unternehmen hatten sich die führenden Kunstgewerbler der Zeit durchgesetzt, die Wiener Werkstätte richtete Wohnungen ein, das Sanatorium Purkersdorf wurde ausgestattet, einem Ruf nach Glasgow folgte man ebenso wie um 1913 den Auftrag, ein Zimmer Ferdinand Hodlers einzurichten. Die in Darmstadt erscheinende Zeitschrift Deutsche Kunst und Dekoration brachte schon ab 1904 regelmäßig bebilderte Artikel über die Wiener Werkstätte oder einzelne Künstler.
Denn der von geraden Kanten und glatten Flächen begrenzte Möbelstil, der weit mehr Geometrisierung als Funktionalismus war, wurde vor allem in Deutschland begeistert aufgenommen. Wie weit aber immer noch eine stimmungsmäßige Note eine Rolle spielte, geht aus der Tatsache hervor, daß Kolo Moser das Zimmer einer jungen Frau dekorativ auf jene Kongreß-Stickerei abstimmte, die sie von ihrer Mutter zur Aussteuer erhalten hatte. Allzu direkte Linien aus dem Wiener Secessionismus zu den Bestrebungen des Bauhaus und der Neuen Sachlichkeit zu ziehen und die Leistungen des Jungendstils in der Überwindung des Jungendstils zu sehen, erscheint daher gefährlich. Während der Mitarbeit in der Wiener Werkstätte beschäftigte sich Moser in erster Linie mit der dreidimensionalen Form, mit der er schon aus früheren Jahren Erfahrung besaß. So wurde ihm für eine Gläsergarnitur im Rahmen eines Preisausschreibens bereits 1898 der erste Preis zugesprochen. Bucheinbände und Exlibris-Entwürfe konfrontierten ihn aber auch weiterhin mit grafischen Lösungen.
Ein Aufgabenbereich, der ihm weiteste Popularität gesichert hat, waren die Entwürfe für Banknoten, Postmarken und Postganzsachen, die schon im Jahre 1902 einsetzten. In der Aufnahme landschaftlicher Motive und ihrer Verbindung mit ornamentalen Rahmenleisten geht Moser ganz neue Wege und fügt seinem reichen Ornamentschatz aus der Ver Sacrum-Zeit neue Motive hinzu. Pflanzliche Muster auf den seitlichen Rahmungen nehmen den Charakter der Landschaft auf. Sie sind nicht nur für den Stich vereinfacht, sondern im Vergleich zu den dynamischen Formulierungen unmittelbar an der Jahrhundertwende meist bewegungslos und spröde. Bei den Kaiser-Jubiläumsmarken 1908 greift der dekorative Grundton auch in das Bildfeld ein und überzieht mitunter vom Portrait abgesehen, einheitlich die gesamte Marke. Portomarken der Österreichischen Post in der Levante bringen neben einer auffallend klaren Werkangabe das Schriftbild mit geometrischen Muster in Verbindung, eine Zusammenstellung, die uns schon 1902 in buchgrafischen Arbeiten begegnete.
Nach dem Ausscheiden aus der Wiener Werkstätte, die er 1906 angeblich wegen der „unmöglichen Wünsche des Publikums“ verließ, widmete sich Kolo Moser intensiv der Malerei, der schon immer seine besondere Liebe gegolten hatte. Auch in den Jahren der erfolgreichen Mitarbeit in der Secession war immer von Maler Koloman Moser O. M. (ordentliches Mitglied) die Rede. Hermann Bahr, mit dem Moser viele Reisen unternahm und italienische Galerien besichtigte, der, wie Klimt, Anna Mildenburg, die Schwestern Flöge und seine Secessionsfreunde, häufiger Gast im Haus in der Gegend des Wolfsbergkogels am Semmering war, berichtet anerkennend über die Malerei Mosers und erwähnt vor allem die vielfältigen Notizen zu Goethes Farbenlehre. Es ist heute trotz des relativ großen Abstandes schwer, sich ein endgültiges Bild über Mosers Bedeutung als Maler zu machen.
Der zeitgenössische Satz „Er hat die ganze Malerei auf einmal malen wollen“, mag auch heute seine Berechtigung als Motto nicht verloren haben. Allein in der Nachlaß-Ausstellung im Kunstverlag Wolfrum im Jahre 1920 waren, Bühnenbild- und Glasfensterentwürfe mit eingerechnet, 276 Nummern ausgestellt. Die Zahl der heute auf uns gekommenen und aus Privatbesitz wieder langsam aufgetauchten Bilder macht bisher knapp ein Viertel dieser Exponate aus. Es ist bemerkenswert, wie stark sich Kolo Moser der Skizze, des Entwurfs bediente, wie er selbst seine Gemälde immer wieder als Studien bezeichnete und ihnen in erster Linie Zahlen als Titel gab. Aus mehr stimmungsbehafteten als symbolistischen Anfängen entwickelt sich sehr bald ein echtes Farbgefühl und eine entschiedene Abneigung gegen Illusionsmalerei. Landschaftliche Vorwürfe, Blumen sowie männliche und weibliche Akte, vielfach als Allegorie ins Bild gebracht, dienen ihm dazu, malerisch-farbige Überlegungen, durch etliche Notizen theoretisch fundiert, anzustellen. Ein einheitlicher, geradliniger Stil ist ebenso wenig abzulesen wie eine durchgehende Qualität der Bilder festzustellen. Da Kolo Moser nur selten datierte, bereitet eine exakte Chronologie seiner malerischen Werke daher einige Schwierigkeiten.
Ein frühes Selbstbildnis in einer schweren Farbigkeit, mit grünlich-violetten Lichtern, gibt uns Auskunft über den frühen Moser, der in der Kunstgewerbeschule eine Ausbildung in dekorativer Malerei erhalten hatte. Eindrücke in der großen Impressionisten-Ausstellung der Secession 1903 und die Begegnung mit der Kunst Hodlers und dem Menschen Hodler im selben Jahr sind als wesentliche Konstanten im malerischen Schaffen anzusprechen. Einige seiner Bilder wurden für Hodler-Fälschungen herangezogen, und es wird dies vor allem in der Akt-Behandlung und in der Bewegungsdarstellung verständlich. Kolo Moser unterstrich wiederholt die Aufgabe, dem Bild durch ein Vermeiden der Realistik in der Perspektive das „Theatermäßige“ zu nehmen und Kontur und Schatten in Farbe aufzulösen. Überlegungen zur Wirklichkeit seiner Bilder haben ihn immer wieder beschäftigt. Zwischen dem ersten und dem zweiten Jahrfünft des 20. Jahrhunderts hellt sich die Palette auf, Moser pflegt im typischen quadratischen Secessionsformat vor hellem Hintergrund das Porträt. Eine starke Konturierung bindet die Dargestellten in die Fläche ein, zur plastischen Modellierung dienen in erster Linie Gelb- und Rosatöne. In der Aktbehandlung zeichnet sich mit dem starken Hervortreten der Muskulatur und dem Setzen greller Glanzlichter eine deutliche Härte ab, die in der Zeit um 1913 im Aneinandersetzen einzelner Pinselstriche weitgehend aufgelöst wird. Aus dem Jahre 1909 sind uns einige Blumenstücke erhalten, die in ihrem Gegensatz von naturalistisch-lichtvollem Bukett und stilisierten, flächenbezogenen Formen überraschen.
Rund vier Jahre später treten die in zarten Tönen gehaltenen Wolfgangseelandschaften und der Baum am Wolfgangsee an die Stelle der Bergpanoramen, in denen optische Eindrücke zu einheitlichen Flächen zusammengefaßt und ihre Formen im Bilde wesentlich wurden. Immer wieder sind es die Berge im Semmeringgebiet, die Moser in den verschiedenen Abschnitten seines Lebens malt, Schneefelder und Geröllhalden sind ihm dabei wichtige Studienobjekte. Von Berggipfeln aus gelangt er in zwei kleinen Skizzen zu nahezu gegenstandsloser Darstellung. Bis zwei Jahre vor seinem Tod hat Kolo Moser unermüdlich gemalt. Gleich anderen Künstlern, die an der Entwicklung und Verbreitung des Jugendstils und Secessionismus entscheidend beteiligt waren, zog sich Moser, als die Bewegung ihren originalen Höhepunkt erreicht hatte, in ein stilleres Tun zurück, als das ihm die Malerei trotz gründlicher Auseinandersetzung mit ihrer Funktion galt.