Heimo Zobernig, Erster bis einundzwanzigster März 1993, Graz Neue Galerie 1993
1 Unzulängliche Raumskulptur
Man muß es gestehen: Der Eingriff Heimo Zobernigs in die Sammlungsräume der Neuen Galerie Kassel im Rahmen der documenta IX war augenblicklich verführerisch. Immerhin haben 24 Meter mannshohes Preßspan den Blick auf das verstellt, was man – wie traditionell oder progressiv, gut oder schlecht – Präsentation nennt; also das eingebürgerte, kunsthistorische, bildungsbeflissene, inszenierte visuelle Feilbieten von Kunst und Kultur, von definierten Gegenständen und lnhalten. Eine nicht nur auf den ersten Blick durchschnittliche „Bretterwand“ vor den Kojen mit Leinwänden in Goldrahmen. Banales versperrt Blick und Weg zu Valorisiertem, wird aber in erster Linie durch den Anlaß – „Weltausstellung der Kunst“ – in zweiter Linie erst, und aus der ersten abgeleitet, durch das kontextuelle Konzept selbst valorisiert.
Seit den späten sechziger Jahren (in wenigen Details seit Anfang der Siebziger) ist das zweite Ausstellungsgeschoß der Neuen Galerie Graz im wirksamen Outfit unverändert: ein spätbarockes Palais mit großen, architektonisch-gerahmten und bestimmten Wandflächen im vorderen, mit Sälen, durch Rokoko-Einrichtung und Zierat determiniert, im mittleren, mit weitgehend durch neutrale Raumstruktur ausgezeichneten Kabinetten im hinteren Teil. Vor allem der mittlere Teil mit dem vollkommen durchgestylten großen Spiegelsaal, dem jeweils mit goldgerahmten Tapeten bezogenen Roten und Gelben Saal, der Kaminkammer und dem Spiegeltür-Kabinett sind selbstreferentielle Raumgestaltungen.
Kunst der Gegenwart hier zu zeigen war, mit wenigen Ausnahmen, keine Frage eines wie immer gearteten oder zu rechtfertigenden Kontexts, sondern schlicht und einfach eine Verlegenheit (mangels anderer Alternativen). Flatternde Stoffkaschierungen, in welchem Rhythmus auch immer angeordnete Stellwände machten die Sache nur noch schlimmer. Der vom Bundesland institutionalisierte Ort für Gegenwartskunst ist bis heute eine durch Gewöhnung abgerundete und verschliffene Übergangslösung. Für Künstler wie für Vermittler gab es nur die Möglichkeiten, den dauerhaften Übergangszustand zu ignorieren oder auf einer immer dünner und dürftiger werdenden Argumentationsebene mühsam eine Bezüglichkeit zwischen Raumschale und Inhalt herzustellen. Bildern und Skulpturen nicht den notwendigen Umraum bieten zu können, Arbeiten „vor Ort“ nicht auf entscheidende oder bestimmende Proportionen oder weiterreichende Bedeutungsschienen beziehen zu können, ließen die Fragen nach Raumqualitäten oder gar Kontext generell in die Sackgasse der Unzulänglichkeit münden. Rechtfertigungs- und Erklärungsstrategien in dieser Richtung waren problematischer und unhaltbarer als das Annehmen und damit Nichtberücksichtigen des Status quo.
Diskussionen über die Ursachen dieser Verhältnisse konnten nicht jedesmal neu, sondern nur von Zeit zu Zeit grundsätzlich geführt werden. Bei noch so genauem Hinsehen wollte sich im räumlichen Funktionsschema Museum keine Identität, auch nicht in Teilbereichen, einstellen. Es ist wenig verwunderlich, daß den hiesig Ortskundigen die dortige Kasseler Preßspanwand Zobernigs irritierte und auf einer zugegeben zunächst einmal zynischen Ebene faszinierte. Ein Zynismus, der in Folge als Fragenkatalog auch auf das bisherige Oeuvre Zobernigs ausgedehnt wurde. Erst ein daraus entwickelter und definierter Qualitätsraster für dieses künstlerische Werk machte eine Zusammenarbeit, noch dazu am Beginn eines Führungswechsels am Grazer Institut, wünschenswert.
2 Hinlänglich erweiterte Skulpturdefinition
Das ausgeforschte Areal eines Tennisplatzes aus dem 19. Jahrhundert im Schloßpark Eybesfeld in der südlichen Steiermark, die Preßspanskulpturen in der Ausstellung „Identität und Differenz“ (Grazer Stadtmuseum), die leichtgewichtige Skulpturentreppe sowie die Text- und Bildrecherchen der Installation ,,Amerikaner“ (Forum Stadtpark), um nur die in letzter Zeit in und um Graz verwirklichten Projekte zu nennen, waren Einzelaktionen, die den Wunsch nach einer selektierten Zusammenschau hervorriefen. Mit ein Grund: Dem Museum skulpturale Eier ins reichlich zerzauste Nest zu legen, vertrauend, daß mnemonische Bilder der Idylle als Projektion erscheinen.
Aus der Skulpturendefinition, die an anderer Stelle zentrales Thema der Untersuchungen ist, sollen die dem Museum affinen Bereiche grundsätzlich herausgelöst werden. Dabei handelt es sich in erster Linie um die Frage nach Authentizität und Gebrauchswert, um das Umwerten außerhalb und innerhalb des eigenen künstlerischen Oeuvres und auf den möglichen Ebenen der Rezeption sowie um generelle Interaktionen im „System Kunst“, in denen der Kunstraum- und Museumsstandard bis hin zum geläufigen Ausstellungsinventar eine Rolle spielen.
Diese für das Werk Zobernigs bis heute auch theoretisch weitgehend abgesicherten Fakten korrelieren strukturalistisch mit dem Funktionsbereich Museum – als besonders ausgewiesener Teil des Systems Kunst – wie auch mit kunstgeschichtlichen Stationen und Faktizitäten, die nicht als lineare Reflexe oder postmodernes lnstrumentarium klassifiziert werden sollten. Während immer wieder von einem interpretierenden Strang in Richtung Minimalismus die Rede ist, soll hier eine Reibefläche mit dem Ready-made aufgeladen und gleichzeitig abgebaut werden. Dies auch mit einem Auge auf den entscheidenden und Interpretation auslösenden Definitionsort blickend, in den das Museum a priori, aber auch als Ausstellungsinstitut, in nicht geringem Ausmaß verstrickt ist. Mit dem Definitionsort ist hier die „Wertungsmaschine“ Museum gemeint, die auf den unterschiedlichsten Ebenen seit Duchamps Zeiten auf den Kunstdiskurs zurückwirkt oder ihn von Fall zu Fall überhaupt in Gang setzt oder beschleunigt.
Duchamp benötigte den Kunstraum, um das Ready-made als Diskurs in Gang zu setzen; das Museum (oder der Sammler) hat diesen Diskurs durch Erwerb des Objektes, vor allem in seiner Rolle als kulturhistorisches Archiv, weitergeführt, finalisiert und in zeitlicher Erstreckung zur Verfügung gehalten. Der Zeitfaktor ermöglicht ständig neue Analysen und Beurteilungen, die mit angereicherten Erfahrungen und verändertem Wissen vorgenommen werden können. Versuchen wir vom Werkansatz Zobernigs aus das Ready-made in seiner Beschaffenheit, seiner optischen und Rezeptionsstruktur zu betrachten, müssen als wichtigster Punkt einer kurzen Analyse vor allem unreine Kategorisierungen vermieden werden. Wir können dabei Boris Groys folgen, der sich erst kürzlich mit diesem Thema intensiv auseinandergesetzt hat und feststellte, daß der Vorzug (und die entsprechende Interpretation) des Ready-mades darin bestehe, daß es die beiden Wertebenen der valorisierten Kultur und des profanen Raumes in jeder einzelnen Arbeit anschaulich demonstriert; daß jeder Hinweis auf irgendein anderes, drittes Prinzip und die Illusion einer organischen Synthese aus Valorisiertem und Profanem ausgeschlossen werde. Weiters spricht Groys unmittelbar die Museen an, wenn er meint, daß (neben dem Künstler) bestimmten sozialen Institutionen, die sich mit Kunst beschäftigen, die Unterscheidung zwischen Kunst und Nicht-Kunst als Ergebnis einer freien Entscheidung zufalle; daß in die Archive nur die Kunst aufgenommen werde, die sich jeder eindeutigen Aufteilung in Kunst oder Nicht-Kunst entziehe.1Boris Groys, über das Neue, Versuch einer Kulturökonomie, Carl Hanser Verlag: München, Wien, 1992. Vgl. hier besonders das Kapitel „Marcel Duchamps Ready-mades“, S. 73-84.
Stellen wir die Frage nach den Affinitäten von Zobernigs Objekten zu Ready-mades, wird sich als erstes und wichtigstes Ergebnis herausstellen, daß die Sockel, Bänke, Kisten, Stellwände, Stellagen und Räume im Sinne der genannten Wertebenen schon deshalb nicht unvereinbar sein können, weil sie ein und denselben Kontext besitzen, bzw. dieser Kontext durch die Arbeit eindeutig hergestellt wird. Nicht nur das Kippen von der Skulptur zur Gebrauchsform ist ein entscheidender Hinweis darauf, sondern in erster Linie der Habitus und die Funktion einer in der Skulptur vorhandenen oder durch sie repäsentierten Gebrauchsform: Sie ist direkt dem Kunstraum, dem System Kunst entnommen.
Auf dieser Ebene wird das „dritte Prinzip“ offenkundig, das beide Wertebenen umfaßt und zur direkten Reflexion durch das Herstellen des Kontextes führt. Die Skulptur verweist auf das Museum, das Museum auf die Skulptur; eine Skulptur, die sich nicht nur erst im Museum als solche gerieren kann, sondern die auch noch nach den standardisierten Gebrauchsmustern des Museums (und verwandter Kunsträume) gebildet wird. Über den Skulpturbegriff wird der Museumsbegriff als gleichermaßen auratisierter wie funktionsbestimmter Raum ins Spiel gebracht. Ein Raum, in dem sich das präsentierte und archivierte Objekt vom gestapelten oder abgestellten Ausstellungsbehelf durch den Akt des Ausstellens unterscheidet, in dem auch der Einrichtungsgegenstand, wenn er im Kontext Kunst eingebracht wird, nach erfolgtem Ankauf, in das Kunstinventar überschrieben werden muß. Folgerichtig auch ein Raum, in dem Authentizität und Anonymität, bei im Grunde austauschbarer Handlung, zur Frage einer Festlegung mit Übereinkunft wird: Artefakt # Tischlerarbeit + ,,Mehrwert“; Tischlerarbeit # Artefakt – „Mehrwert“. Artefakt = Artefakt, weil im anderen Fall jeder Kunst die Existenzberechtigung entzogen würde.
3 Zugängliche Anordnungen
Einige der präsentierten Objekte Zobernigs stammen aus seinem Ausstellungsalphabet; er stellt sie in Graz in einen anderen Kunstkontext, andere hat er aus dem spezifischen Raumkontext der Neuen Galerie entwickelt. Dem Z (ohne Titel; Weiße Wand in der Neuen Galerie Kassel) stellt er eine diametral gerichtete Anordnung gegenüber: Das „Entree-Display“ reißt als Fortsetzung des im zweiten Stock achsial verlaufenden Zugangs in die Galerie die bis dato verschlossene Wandsituation auf, öffnet einen bisher intern genutzten Raum mit Fresken des 18. Jahrhunderts für das Publikum.
Eine Preßspan-Türskulptur, ergänzt durch Kassenpulte und Katalogstellagen aus Spanplatten, verlagert die Eingangssituation deutlich. Anders als bei der Skulptur in der Generali Foundation (ohne Titel; „Skulptur als Bartisch“) sind die Cafe-Tische (und -Stühle) reine Ready-mades. Die Türskulptur orientiert sich in ihren Ausmaßen an der bestehenden Fensterarchitektur, vereinfacht im Durchdringen den leicht geschwungenen Mauerverband und ersetzt den bisherigen architektonischen Galerieverschluß durch einen um 90 Grad verlegten skulpturalen.
Neben diesem Eingriff stehen drei weitere in unmittelbarem Zusammenhang mit der vorgefundenen unzulänglichen Raumskulptur. Im extrem historisch determinierten Mittelteil der Raumabfolge modifiziert Zobernig seinen Raum im Architekturforum für Graz. Ein weißer Kubus mit Ein- und Ausgang, die Nischen der ehemaligen Kachelöfen aussparend und bis an das Deckengesims reichend, wird in den Roten Saal eingestellt. Ein reines Skulpturelement, das über das Ausstellungsdatum hinausreicht und für spätere Nutzung zur Verfügung gestellt wird. Eine mit Nessel überzogene Stellwand dient im SpiegeltürKabinett derart als Raumteiler, daß ein kleiner Kubus aus der Raumanordnung herausgenommen wird, die Spiegeltür einerseits den nunmehr präzisierten illusionistischen Abschluß der weitläufigen Saalflucht bildet, andererseits direkt in den neutralen hinteren Flügel überleitet. Dieser weist neben den glatten unverzierten Wänden einen weiteren Unterschied zu den Repräsentationsräumen auf: Bis auf zwei Einheiten ist der Boden nicht mit Parketten, sondern mit einem grauen Teppichboden belegt. Genau in diesem Bereich setzt Zobernigs Bodenskulptur an. Der Teppich wurde entfernt, der darunterliegende Estrich neu verspachtelt, anstelle der Sesselleisten die weiße Wand bis zum Boden geführt, Raum 13 mit schwarzem Asphaltlack gestrichen.
Diese unmittelbaren Raumveränderungen konzentrieren sich genau auf jene Punkte der gesamten Raumskulptur, die für ein Funktionieren als Ausstellungsraum für Gegenwartskunst von entscheidender Bedeutung sind und in kurz- bis mittelfristigen Adaptierungs- und Ausbauplänen an erster Stelle stehen. So sind es künstlerische Interventionen, die in den Fragenkatalog des aktuellen Gebrauchswerts reichen. Sie führen auf dieser Ebene keine (end)gültigen Lösungen vor, sondern sind praktikable Skulpturen, die Folgewirkungen haben könnten. Was verschwindet, was bleibt – in realem Status ebenso wie im Sinne der Archivdeponierung – werden Praktikabilität, Handhabbarkeit und Budget entscheiden. Diese Entscheidungsfrage ist eine aus dem Nutzungskontext heraus, zugleich aber eine der künstlerischen Qualität im Sinne der Umwertung der Werte und den damit verbundenen Möglichkeiten der Wertbeschaffung von dokumentationswürdigen Kultur- und Kunstmaterialien. Was bei dem Transportkisten-Paar (Luzern), dem weiß grundierten Leinwandbild, dem flachen Podest, dem Gummivorhang, der Sockelskulptur oder der Zeichnung in Rahmen, gar beim CD-Lexikon der Kunst oder auch bei der Diaprojektion A – Z einen eher traditionellen Wertaustausch darstellen würde, würde beim Entree-Display, beim „Züricher Raum“ in Grazer Version oder bei der Bodenskulptur zu unterschiedlich gelagerten Konfliktsituationen führen. Dies deshalb, weil diese skulpturalen Anordnungen die Praxis im Umgang mit puren Rauminstallationen übersteigen: sind diese, zumindest im Ausstellungsbetrieb, eindeutig als temporär festgelegt, erfordern jene durch den nicht nur intentionell festgelegten Gebrauchswert andere Umgangsformen.
Zobernigs heutiges künstlerisches Vokabular im Kontext des in den letzten sieben Jahren entwickelten zu verfolgen, mag die eine Aufgabe dieser Schau sein; das Museum als Raum, Gestalt und Funktionsort nicht nur zu thematisieren, sondern vorzuführen die andere – als Beginn eines Diskurses mit der Kunst und ihren Vermittlungsstrategien der 90er Jahre. Das Haus in der Sackstraße befindet sich im Umbau: künstlerisch, als Archiv und real.
Manuskript zu: Werner Fenz, Heimo Zobernig: Erster bis einundzwanzigster März 1993, in: Heimo Zobernig, Neue Galerie / Salzburger Kunstverein Graz / Salzburg 1993, S. 48-54
Abbildungen: Neue Galerie Graz
Fotos: Archiv Neue GAlerie Graz
Publikation
↑1 | Boris Groys, über das Neue, Versuch einer Kulturökonomie, Carl Hanser Verlag: München, Wien, 1992. Vgl. hier besonders das Kapitel „Marcel Duchamps Ready-mades“, S. 73-84. |
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