Hartmut Skerbisch

Hartmut Skerbisch

28,15,0,50,1
600,600,0,0,5000,1000,25,2000
90,300,0,50,12,25,50,1,70,12,1,50,1,0,1,5000
Krems/Stein, Alte Tabakfabrik 1988
Hartmut Skerbisch, Dachbodenwerk, Das gläserne U-Boot
Wien, Galerie Pakesch 1986
Hartmut Skerbisch, Zinkregal
Graz, Opernring 1992
Hartmut Skerbisch, Statue (Lichtschwert)
Rosenheim, Kunsthalle Rosenheim 1986
Hartmut Skerbisch, Die X Stelle
Wien Galerie, Pakesch 1981
Hartmut Skerbisch, reden blattartig. Stück für Ausstellungsbesucher
Wien 1981
Michael Schuster, Hartmut Skerbisch, Szene aus dem gleichnamigen Stück
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Arbeit an der Skulptur

„Zerfällt die Welt nur noch zu Bildern, erschöpft Identität sich in der Wiederholung? Die Welt scheint den Menschen über die Bilder näher denn je auf den Leib gerückt zu sein. Die offenen oder geheimen Sehnsüchte nach Aufhebung aller Distanzen setzen auf eine Aufhebung ohne Bruch und Rest. Aber die Fähigkeit, die Welt in Bildern zu sehen, schafft unentwegt und unaufhörlich neue Differenzen zwischen dem Wirklichen und dem Symbolischen. Zwischen Wiederholung und Erneuerung spielt sich die künstlerische Form kultureller Leitbilder ab. Der eher negative Beiklang des Imitierens auf der einen, die zerbrechliche Hoffnung auf ein mimetisches Vermögen außerhalb instrumentellen Tuns auf der anderen Seite markieren die begrifflichen Pole, die sowohl ein anthropologisches Grundinteresse umschreiben wie dessen Einwirkungen in die aktuelle Kulturentwicklung.“1Imitation und Mimesis Eine Dokumentation hrsg. v. Hans Ulrich Reck, in: Kunstforum Bd. 114, 1991, Einleitung S. 64.

Hartmut Skerbisch, Zinkregal, Wien Galerie Pakesch 1986

Hartmut Skerbisch, Zinkregal, Wien, Galerie Pakesch 1986

Das Auf-den-Leib-Rücken der Bilder zielt auf den Kern der Frage, wie wir heute Wirklichkeit erleben. Es ist nicht nur eine Vermutung, sondern eine Tatsache, daß die Kunst für das Erkennen dieser Wahrnehmungsprozesse wesentliche Grundlagen geschaffen hat; daß in ihr als einem Bereich visueller Kultur, der exakt am Schnittpunkt aus verschiedensten Richtungen ankommender Linien zu liegen kommt, der entscheidende Diskurs geführt wird. Grundsätzlich handelt es sich dabei um ein Phänomen, das solange existiert, seit wir von Kunst sprechen. Verschiedenartige Wissenschaftsdisziplinen widmen sich den Erklärungsmustern. Heute hat sich, am auffälligsten bewußt gemacht durch die elektronischen Medien, die Situation vor allem durch die Überlagerung der praktizierten und möglich gemachten visuellen Informationsebenen wesentlich verdichtet. Aber nicht nur die künstlichen Intelligenzen mit ihren virtuellen Wirklichkeiten und beinahe jeder Form der Erzeugungs- und Verknüpfungsmöglichkeiten sind dafür verantwortlich, sondern auch die jeweiligen Übermittlungsstandards und die eingeübten Gebrauchsmuster. Ein Beispiel aus der Alltagskommunikation kann das verdeutlichen: „Am 15. Juli 1980 sollte ein Round-Table-Gespräch im Fernsehen der deutschen und rätoromanischen Schweiz den Dialog zwischen den Zürcher politischen Instanzen und der Zürcher autonomistischen Jugendbewegung einleiten. Die beiden als radikale Negationsfiguren eingeplanten authentischen ‚Vertreter‘ der Jugendbewegung erschienen im Studio als perfekte, innerlich wie äußerlich bürgerlich ausgestattete ‚Herr und Frau Müller‘. Die durchgehaltene Strategie der Affirmation selbst der krudesten Haltungen des Feindes ließ nicht allein die Gesprächssituation zusammenbrechen, sondern führte zu einer nachhaltigen Vertrauensstörung zwischen irregeführten Zuschauern und der Vertragsanstalt Fernsehen, die schließlich Kalkulierbares oder Überschaubares zu liefern hat.“2Birgit Recki, Mimesis: Nachahmung der Natur. Kleine Apologie eines mißverstandenen Leitbegriffs, in: Kunstforum, Bd. 114, 1991. S. 125.

Hätte man also annehmen können, daß die alltägliche Bild- und Zeichensprache, auch in ihrer prozessualen, filmisch dokumentierten Form, immer das Zuordnen und Klassifizieren eindeutig ermöglicht, widerlegt das Beispiel diese Annahme. Potentiell sind also auch Formen und Haltungen alltäglicher Kommunikation und deren Dokumente an den gleichen Parametern von Distanz, Verfremdung und Modellcharakter zu messen wie die Artefakte auf den unterschiedlichsten medialen Ebenen. Die Wirklichkeit als Instanz wird zumindest relativiert, sodaß Hartmut Skerbisch in seiner Arbeit von 1976 nicht nur titeln kann „Der Bildschirm spricht seine Sprache“, sondern auch Ludwig Wittgensteins Behauptung „Um zu erkennen, ob das Bild wahr oder falsch ist, müssen wir es mit der Wirklichkeit vergleichen“ jene von Oswald Wiener an die Seite stellt: „der vergleich eines modells mit der wirklichkeit ist der vergleich eines modells mit einem anderen modell“. Für Skerbisch ist die Gewißheit des TV-Bildes darüber hinaus jene physisch-elektronisch verwirklichte Bildkonstruktion, die durch international festgelegte Beschlüsse seit 1950 als CQR-Norm existiert. „Wie alle Erscheinungen, so sind auch die Erscheinungen des TV-Bildes stets nur vorläufige Anhaltspunkte bei unseren Vorhaben. Von sich aus überzeugen sie uns einzig und allein von ihrem Vorhandensein.“ Immer wieder spielen mimetische Prinzipien in die konzeptuellen Strategien des Künstlers hinein, tauchen als visuelle Anordnungen wie Blitzlichter auf, um aber letztendlich paradigmatische Bausteine für sowohl spezifische als auch allgemeine strukturelle Prinzipien der Kunst wie einer generellen Ästhetik zu sein.

Die Darstellungsmöglichkeiten des Wirklichen, des Symbolischen und des Imaginären durch Kunst ziehen sich wie ein roter Faden durch die verschiedenen Werkgruppen. Fast scheint es, daß Skerbisch, je näher uns die Bilder auf den Leib rücken, desto stärker die Distanz zu ihnen vergrößert. Eine der Operationen in Richtung Distanz ist auch der über unterschiedliche Filter laufende Schutz gegen ihre Vereinnahmung durch Kunst. So konnte beispielsweise 1969 in der „Räumlichen Anordnung“ sinnvollerweise das Element der Richtungsirritation als „Sachverhalt, der die entscheidende Aussage ist“, eingesetzt werden. Die veränderte Leserichtung mit dem Verschwinden eines bewegten Objektes in der Mitte, also quasi am Ausgangspunkt der Wiedergabe, sucht nicht nach einer manieristischen Bilderschleife als Eindruck; sie rückt die Demonstration der Kapazitäten und Bedingungen des elektronischen Bildes in den Mittelpunkt, weder als mehrfach reproduzierbares Artefakt (was uns die Medienkunst in mehrfach beobachteter Weise durchaus zu liefern gewillt ist}, noch in einer Alltagsästhetik verfremdenden und künstlerisch ausbeutenden Form. Auf den jeweiligen Sachverhalt ist gestern (im „Netzwerk“ elektronischer Medien) wie heute (mit einer bestimmten habituellen Form als Anlaß, direkte Wahrnehmungsbestimmungen als Gegenüber vorzunehmen) der methodische Ansatz ausgerichtet.

In dem geschilderten Beispiel handelt es sich nicht nur um eine entwicklungsgeschichtliche Rückblende: Die zeitlich begrenzt mögliche Verwendung einer spezifischen Anschauung läßt sich gleichwohl als Reaktion auf veränderte Untersuchungsfelder einstufen, weist aber über dieses „stilistische“ Merkmal hinaus. Es hat den Anschein, daß Hartmut Skerbisch Anmutungen und Identifikationsmuster – zu solchen können auch Wiederholungen und Stereotype werden – aus seinem Werksvokabular immer schon restriktiv gestrichen hat. Die Nahtstellen zu Realkunst, kontextuellen Strategien, zu Gebrauchsbild-Interpretationen, also allgemeinen Rückbezüglichkeiten zu Weltbildern und Bilderwelten, werden „großräumig“ umgangen. Das Ziel ist ein konkretes Objekt, auch wenn oder gerade weil das Konkrete scheinbar unzugänglich ist.

Die Frage nach dem Status des Kunstwerks steht im Mittelpunkt methodischer Überlegungen. Diese treffen jeweils realzeitlich auf den Fonds künstlerischer Praxis und kunstwissenschaftlicher Theorien. Immer wieder wurde und wird der Grad der Wirklichkeit eines Kunstwerks als Frage in die Diskussion geworfen: Symbole, Embleme, Readymades in ihren je unterschiedlichen mimetischen, autonomen oder konkreten Bezugs- bzw. Abgrenzungsfeldern bilden die scheinbar unerschöpflichen Beschreibungsmuster auf der Funktionsebene von Kunst der Vergangenheit und der Gegenwart. Daß ein Kunstwerk unweigerlich in solche Konstellationen hineingerät, sich dann aber nicht erschöpfen darf, scheint für Hartmut Skerbisch so etwas wie eine Antriebsfeder für sein künstlerisches Tun zu sein. Nie hat er den rezeptionsfreien oder diskurslosen Raum als Ideal angestrebt. Im Gegenteil: die Positionierung in der Wirklichkeit als Wirklichkeit und in der Gegenwart als Gegenwart war enorm wichtig. Positionieren bedeutet nicht unbedingt das freie Verteilen in einem undefinierten Raum. Es bedeutet vielmehr, innerhalb eines definierten Raumgefüges einen oder mehrere Punkte zu besetzen. Das (Denk-)Raumgefüge bestimmt die Punkte, die Punkte wirken auf die einzelnen Raumgrößen zurück.

Immer wieder taucht die Frage nach dem Charakter der erdachten und ausformulierten Anordnungen auf. Das Eigenschaftliche dieser Artefakte scheint jeweils ein Gegenüber zu suchen. Dieses Gegenüber ist nicht 1:1 der Ausstellungsbesucher, es ist aber auch nicht die Konnotation zur Wirklichkeit. Beides nicht in Form der direkten Ablesbarkeit, wenngleich Lesbarkeit ein wesentliches Werkzeug der Produktion wie auch der Rezeption darstellt.Im Œuvre des Hartmut Skerbisch hat sich das sogenannte Gegenüber zwar nicht grundsätzlich, aber doch in seinen Schattierungen im Verlauf der Zeit verändert. Der Betrachter als Konstante kann „Zuseher und Hauptdarsteller in einer Person“ sein, er kann die Einrichtung durch seine Anwesenheit vollenden. Er nimmt von der Skulptur aus das Gegenüber der Skulptur wahr, er sieht sich der Situation „das Offene ist offengehalten“ gegenüber. Diese scheinbar unterschiedlichen Konstellationen kristallisieren immer wieder Grundsätzliches aus. Dazu zählen als wesentliches Begriffspaar die Visualität und die Begrifflichkeit von Kunst. Welchen Eindruck macht das Kunstwerk auf uns, wie real ist es, worin liegt die Differenz zum Wirklichen? Zu jener Wirklichkeit, die wir als Modell und Sachverhalt, dem Sachverhalt und dem Modell der Anordnung gedanklich gegenüberstellen. Auf der begrifflichen Ebene, auf der sich Hartmut Skerbisch immer wieder auch literarischer Sachverhaltsdarstellungen bedient, wird dieser Zwischenraum zwischen Instrumentalisierung der Kunst und ihrem mimetischen Vermögen argumentativ – auch in Form von Übersetzungsarbeit – auf der Ebene des Faktischen fixiert. Das Faktische ist das, was die Zeichen, die Anordnungen, die Materialsprache hier und jetzt als das Gegenüber der Augen und des Denkapparates und des Betrachters leisten können.

Hartmut Skerbisch, Statue (Lichtschwert), Graz Opernring 1992

Hartmut Skerbisch, Statue (Lichtschwert), Graz, Opernring 1992

„Franz Kafka konnte“, so Hartmut Skerbisch in seiner Beschreibung der Arbeit „Statue (Lichtschwert)“, 1992 „vom plastisch-räumlich schwächsten Moment der Form nicht absehen und ersetzte die Fackel durch ein Schwert, was erst einen Satz ermöglichte wie: Ihr Arm mit dem Schwert ragte wie neuerdings empor und um ihre Gestalt wehten die freien Lüfte.“ Räumlich wollte Skerbisch, so heißt es weiter, die Konsequenz Franz Kafkas unbeirrter lebenslanger Arbeit, Erscheinungen auf ihren wesentlichen Bestand hin anzusehen, präsent sein lassen. So wurde eine Rekonstruktion im Maßstab 1:1 von Gustave Eiffels unverhülltem Traggerüst errichtet: Hartmut Skerbisch läßt eine 54 m hohe Stahlkonstruktion entstehen in Affinität zu Kafkas lebenslanger Arbeit, „Erscheinungen auf ihren wesentlichen Bestand hin anzusehen“. In diesem künstlerischen Ansatz finden wir eine gegenwärtige Schlüsselposition vor, die über Skulptur und der mit ihr verknüpften Bestandsform Auskunft zu geben imstande ist. Hartmut Skerbisch hat in den 80er Jahren, zur Zeit der „Transavanguardia“ und der „neuen Skulptur“, eine ausgeprägt >eigen< sinnige Annäherung an das dreidimensionale Kunstwerk in die Wege geleitet.

Es wäre vorschnell, diese Annäherung ausschließlich an einem neuen Materialbegriff und dessen Bedeutung für die Erscheinung festzumachen. Wiewohl der substantiell dominiert und im Sinne einer „Kunst der Netzhaut-Reizung“ funktioniert, sind die Verbindungsstrange zu Arbeiten der späten 70er Jahre und auch zu denen mit elektronischen Bildanordnungen nicht gekappt. Freilich können und sollen wir uns den Materialreferenzen zu Zink, Eisen, Aluminium, Kupfer, zu Seide und auch zu Sperrholz nicht entziehen. Es fällt auf, wie sich Hartmut Skerbisch zwischen 1986 und 1988 einer für ihn bisher ungewohnten Materialisierung von archetypischen Zeichen und elementaren Begrifflichkeiten zuzuwenden scheint. Wenn von einem erzählerischen Moment in seinem Œuvre überhaupt die Rede sein kann, so ist dieses ansatzweise in Arbeiten wie „Die X Stelle“, „Zinkregal“ oder vielleicht auch noch in „Substanz, die hereinbricht“ und „Dachbodenwerk“ zu finden.

Hartmut Skerbisch, Die X Stelle, Rosenheim Kunsthalle Rosenheim 1986

Hartmut Skerbisch, Die X Stelle, Rosenheim, Kunsthalle Rosenheim 1986

In „Die X Stelle“ sind die skulpturalen Elemente Faktoren einer „Geschichte“, die den konsekutiven sprachlichen Sachverhalt „man band ihn los, er bezahlte und alles war erledigt“ zu einer möglichen Erscheinungsform bringt. Literarische Quellen als Bestandteil des Kunstwerkes scheinen in präziser, lapidarer Form von Anfang an auf. Neben Marquis de Sade, dem Autor des letztgenannten Satzes, stammt das Sprachmaterial auch von Robert Musil, vor allem aber von James Joyce. Der Rückgriff auf diesen Autor, der in der bildenden Kunst mehrfach als Dialogpartner dient, ist durch Konsequenz und Bildhaftigkeit der Formulierungen keine Überraschung. Hartmut Skerbisch sucht auch in der Sprache nach skulpturalen Bauelementen. Das heißt, daß er sich mit jenen Texten auseinandersetzte, die in ihren Sachverhaltsdarstellungen den Raum und den Körper wesentlich miteinbeziehen. Die Plastizität einer solchen Sprache steht in Kongruenz zu realen Erscheinungen, wobei aber nicht ihr Wirklichkeitsgrad, sondern ihre Darstellungsfähigkeit von Bedeutung ist. Denn eine Sprache und eine Kunst, die darstellungsfähig sind, im Sinne präziser Konturen, erbringen jene Leistung, die Hartmut Skerbisch als das uns Gegenüberstehende im Augenblick des Ansichtigwerdens, einfordert. Die Frage nach dem Wirklichkeitsgrad stellt sich ihm nicht als Vergleich zur Realität, sondern als für sich stehende Größe. Diese Methode läßt sich auch an den früheren elektronischen Bild- und Raumarbeiten nachweisen. Sie sind immer wieder auch auf die Einbeziehung des Ausstellungsbesuchers konzipiert.

Hartmut Skerbisch, reden blattartig. Stück für Ausstellungsbesucher, Wien Galerie Pakesch 1981

Hartmut Skerbisch, reden blattartig. Stück für Ausstellungsbesucher, Wien, Galerie Pakesch 1981

„Reden blattartig“ von 1976 ist ein „Stück für Ausstellungsbesucher“. Der Blick auf die lebensgroße Fotografie einer Person (des Künstlers) soll auf den Betrachter des Bildvorganges übertragen werden: „das Stück setzt ein, wenn der Betrachter den Ausschnitt des atmenden Brustkorbes auf dem Monitor auf den eigenen Atemrhythmus zu beziehen beginnt.“ Im selben Jahr wird unter dem Titel „Toward the True vision of reality“ eine Installation aufgebaut, die erst beim Verlassen einer Piet Mondrian/De Stijl-Ausstellung wahrgenommen werden kann. Wahrheit, Vision und Realität, Bestandteile des Titels der Lebenserinnerungen des holländischen Künstlers, sind damals wie heute entscheidende Faktoren für die Positionierung künstlerischer Handlungen bzw. Objekte, für deren Funktionsablauf und Erscheinungsbild im Sinne von Hartmut Skerbisch. Das Aufstellen von Behauptungen durch den Künstler (in diesem Fall Piet Mondrian), das Eintreten in diese Behauptungen in jener realen Zeit, die auf dem Monitor eingeblendet ist, führen raumzeitliche Distanzen in bestimmten Momenten zueinander.

So werden nicht neue Thesen aufgestellt, sondern eine Theoriebildung im Durchschreiten unterschiedlicher Realitätsebenen von realen Fakten überlagert. Dieses Überlagern kann zu jeder Zeit passieren, wird exemplarisch auf einen Punkt und auf einen begrenzten Zeitraum konzentriert. An diesem Punkt wird deutlich, daß das Gegenüber solcher Anordnungen und Installationen weder in ein phantasievolles noch in ein theorieschweres Weltbild eintaucht; es fühlt sich an einem bestimmten Ort mit einer bestimmten Erscheinungsform konfrontiert, trifft auf das andere, das nicht aus einer spezifischen Form des Kontexts, in welcher Richtung und zu welchen Wahrnehmungsfeldern er auch immer hergestellt sein mag, konstruiert ist, ebenso nicht aus emotionalen künstlerischen Gegenwelten. Auch wenn die Anordnung auf der Reduzierung und dadurch leichteren Sichtbarmachung von Sachverhalten basiert, kann sowohl auf einer weiter ausgeführten als auch auf einer lapidaren Stufe das Hinzutreten einer zusätzlichen Bedeutungsschichte nicht ausgeschlossen werden. Bei „Zepter und gleißender Stein“ von 1977 wird die emblematische Ebene bewußt ins Spiel gebracht, da die „Präsentation einer Vidicon-Aufnahmeröhre und der genormten Daten, die den TV-Bildprozeß definieren“ im Stil von Insignien aufgebaut ist. Einer Alltagsikonografie nimmt sich Hartmut Skerbisch auch in einer Serie von Arbeiten, die gemeinsam mit Michael Schuster entwickelt wurden, unter dem Titel «Szene aus dem gleichnamigen Stück“ an.

Hartmut Skerbisch, Szene aus dem gleichnamigen Stück, Wien 1981

Michael Schuster, Hartmut Skerbisch, Szene aus dem gleichnamigen Stück, Wien 1981

Das Andere als Gegenüber wird vor allem durch die tautologische Komponente der „Szene aus dem gleichnamigen Stück“, durch die quasi Selbstreferentialität der Aussage, durch das Aufbrechen des Raum- Zeitkontinuums, durch die Verankerung im Jetzt, Hier und Heute, durch die „Gegenwart als Gegenwart“ erfahrbar. Diese Fotoarbeiten stellen die Frage nach dem Informationswert von Bildern, wobei diese Frage gerade den Informationswert repräsentiert. In der Version „Schauspielhaus, Wien, Porzellangasse 19″ scheint die Betonung auf der Kontextualität zu liegen. Die vielen weiteren Teile der Serie machen deutlich, daß die Kontext-Frage hinter dem leitmotivischen „Alle haben alles gesehen“ zurücktritt. Der heutige Skulpturbegriff von Hartmut Skerbisch läßt sich ohne Gewaltanwendung in seine eigene Vergangenheit zurückverlängern. Wenn wir ihn also sowohl vor der entwicklungsgeschichtlichen Folie der 90er wie der 80er Jahre abrufen, dann bildet sich in beiden Dezennien eine kontraproduktive Reibefläche in Zusammenhang mit den geläufigen Strömungen und Haltungen aus. Konnte Annelie Pohlen 1985 noch bilanzieren, daß „die Kunst in den Nischen und Freiräumen das Mehrdeutige, das Schillernde, das nicht Greifbare und nicht Meßbare einzunisten (sucht) und dies heute zunehmend unter Verwendung der aus dem Kreislauf des Tauglichen ausgeschiedenen oder durch Deformation der noch tauglichen „Warenfetische“ tut, freilich nicht ohne auf eine Wende hinzuweisen: „Erst langsam wächst neuerlich das Interesse an den konstruktiven Auseinandersetzungen des Künstlers mit der materiellen Außenwelt und deren Auswirkungen auf den Menschen als soziales Subjekt. Gesellschaftliche Entwicklungen werden als Bezugspunkt relevant. Im Kunstwerk kristallisieren sich die defizitären äußeren Erfahrungen und die vagabundierenden Reichtümer innerer Mentalitäten zum provokanten Entwurf künstlicher Welten, die mit der materiellen Welt durchaus in Konkurrenz treten …“, so können wir, so müssen wir heute selbstverständlich einen anderen Befund erstellen.

Gerade im skulpturalen Denken hat die räumliche Komponente als bestimmtes, vorgegebenes Koordinatensystem oder als selbstentwickeltes Planspiel die Oberhand gewonnen. Kontextuelle Bezüge, nicht ausschließlich, aber vorwiegend zum „Betriebssystem Kunst“, bestimmen den Ansatz und den Einsatz der Materialisationen. Schubladisiert man den Entwurf virtueller Welten mit dem „künstlichen Willen“ ausschließlich im Bereich der Medienkunst, so liegt dennoch ein zweites, vielbefahrenes Gleis intermedialer Arrangements neben dem ersten. Aus den längs- und querschnittigen Beobachtungen des bisherigen wie derzeitigen Werkes von Hartmut Skerbisch läßt sich kein direktes, erfolgversprechendes Andockmanöver, keine Weichenverbindung zu den Gleisen der „Hauptlinien“ herstellen. Dies mag insofern überraschen, als in den konzeptuellen Ansätzen und in der materiellen Umsetzung Raumbezogenheit und Oberflächentextur eine ähnlich wichtige Bedeutung einnehmen wie in der angesprochenen Entwicklungslinie. Auch wenn von der Annäherung an soziale Komponenten oder Kontextbezügen die Rede war, scheinen Querverbindungen auf den ersten Blick möglich. Zumal der Künstler selbst davon spricht, „welche Wirkung ein Kunstwerk im jetzigen Lebensraum ausübt, in welchem Verhältnis die Aussage eines Kunstwerkes zu allen anderen Aussagen steht, die tagtäglich produziert werden, welche Kriterien dabei überhaupt etwas entscheiden können.“

In der Genauigkeit der sprachlichen und der bildräumlichen Diktion, wenn wir sie in entsprechendem Ausmaß berücksichtigen, stellen sich die Unterschiede ein. Der Skulpturbegriff, der aus der Videowelt durch Beobachtung und Analyse der Transportmittel entwickelt und in das zum Teil monumentale Gestalthafte überführt und darin fortgesetzt wurde, zielt auf eine gedanklich stark ausdifferenzierte Substanz, die jenseits von Gebrauchsmustern im alltäglichen Vorfeld wie im künstlerischen Gestaltungsfeld existiert, ab. „Nicht der Künstler“, sagt Skerbisch, „gibt etwas vor und andere sollen es nachvollziehen“. So wird „Alle haben alles gesehen“ und „Gegenwart als Gegenwart“ Ausgangspunkt einer Neudefinition des Skulpturdenkens. Es handelt sich dabei nicht um die klassisch neodadaistische „Skulptur im Kopf“, es handelt sich vielmehr um die Möglichkeiten, in einer Zeit des Déjà-vu die Sinnhaftigkeit von Raumgebilden möglich zu machen. Mit anderen Worten: „Erscheinungen auf ihren wesentlichen Bestand hin anzusehen“. Dieser wesentliche Bestand ist nicht immer der Verweis auf soziale Gefüge oder Bedingungen, nicht immer die Konnotation zum Realobjekt, sondern auch die Form und die Textur einer polierten Scheibe; ebenso das Ausgrenzen eines Stückes Raum durch landläufig architektonische Maßnahmen, wie etwa das Aufstellen zweier Metallwände, die den vorhandenen skulpturalen Bestand etwa eines Lusters ins rechte Raum-Licht rücken. Oder aber „die Konfrontation mit einem Gegenüber, ausgelöst von einem Gegenüber, das eben diese Konfrontation thematisiert“, steht im Mittelpunkt von Idee und Ausführung. Schließlich: in die Diktion der „Gegenwart als Gegenwart“ übersetzt, wird der Raumkörper zum Lautkörper. Als massives raumfüllendes Volumen sorgt er für einen Augenblick der Bildlosigkeit. In dieser Lesart ist unsere „gemeinsame Substanz, in der wir uns aufhalten“ erzeugt, in einer Zeit, in der die Welt den Menschen über die Bilder näher denn je auf den Leib gerückt zu sein scheint. So ist das Gedankenpotential von Hartmut Skerbisch „Arbeit an der Skulptur für nichts anderes und niemand außer uns selbst, auch nicht für Kunst.“

Manuskript zu: Werner Fenz, Arbeit an der Skulptur, Teil 1, Teil 2, in: Hartmut Skerbisch, Werkauswahl 1969 – 1994,  Katalog zur Austellung „Mal“,  Neue Galerie Graz 1994, S. 42 – 52 und . S. 82  – 88
Abbildungen: Neue Galerie Graz
Fotos: Michael Schuster
Publikation 

 

References
1 Imitation und Mimesis Eine Dokumentation hrsg. v. Hans Ulrich Reck, in: Kunstforum Bd. 114, 1991, Einleitung S. 64.
2 Birgit Recki, Mimesis: Nachahmung der Natur. Kleine Apologie eines mißverstandenen Leitbegriffs, in: Kunstforum, Bd. 114, 1991. S. 125.