Fedo Ertl, Citizens

Fedo Ertl, Citizens

28,15,0,50,1
600,600,0,0,5000,1000,25,2000
90,300,0,50,12,25,50,1,70,12,1,50,1,0,1,5000
Graz 2007
Fedo Ertl, Mandala
Schloßberg, Graz 2008
Fedo Ertl, 100
Graz Stadtmuseum 2005
Fedo Ertl, Heimo Ranzenbacher, Vor dem Anbruch der Stadt oder Wie die warmen Semmeln
Graz Stadtmuseum 2005
Fedo Ertl, Heimo Ranzenbacher, Vor dem Anbruch der Stadt oder Wie die warmen Semmeln
Graz Stadtmuseum 2005
Fedo Ertl, Heimo Ranzenbacher, Vor dem Anbruch der Stadt oder Wie die warmen Semmeln
Graz 2005
Franz Pichler, Ulrich Jahrmann, Fedo Ertl, Watch your steps
Graz 2005
Franz Pichler, Ulrich Jahrmann, Fedo Ertl, Watch your steps
Graz Stadtmuseum 2005
Fedo Ertl, EXIT 1985/2005
New York City PS1 1993
Fedo Ertl, The Art of Behavior
Graz Neue Galerie 1992
Fedo Ertl, The Art of Behavior
Graz Neue Galerie 1992
Fedo Ertl, The Art of Behavior
Graz Stadtmuseum 2005
Fedo Ertl, The Art of Behavior
Graz 1983
Fedo Ertl, Mahnmal 38/83
Bezugspunkte 38/88 Graz 1988
Fedo Ertl, Kopf-Arbeit
Bezugspunkte 38/88 Graz 1988
Fedo Ertl, Kopf-Arbeit
Graz Hauptplatz 1985
Fedo Ertl, Mur
Graz 2007
Fedo Ertl, Mandala
Graz 1991
Fedo Ertl, Eva Schmeiser-Cadia, Eduard Winklhofer, Stabstollen
Graz 1997
Fedo Ertl, Ursa Maior
1987
Fedo Ertl, 1:10
Graz 1992-2008
Fedo Ertl, Goldwasser
Graz 2008
Fedo Ertl, 100
Graz 2008
Fedo Ertl, 100
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Mit der Kunst an der Realitätskonstruktion Anteil nehmen

Ein Abriss der wichtigsten Positionen von Fedo Ertl

Die Ausstellung mit Werken und Installationen des Grazer Künstlers, die im steirischen herbst 2005 im Grazer Stadtmuseum stattfand, brachte ein künstlerisches Profil, das in Österreich eine wichtige Position markiert, exemplarisch auf den Punkt. Mit der Idee, den Schwerpunkt nicht auf eine Retrospektive, sondern auf neu, speziell für die Präsentation, entwickelte Projekte zu legen, war die lebendige Suche nach bisher nicht bearbeiteten Handlungsfeldern verbunden. Nicht von ungefähr war auch der Titel der Ausstellung – Citizen – gewählt worden.1Die Ausstellung war Teil des Programms des steirischen herbst, das Stadtmuseum stellte für drei Monate die Räume zur Verfügung. Kuratiert und textlich begleitet wurde diese andere Form einer Ausstellung von Werner Fenz in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler. Damit ist ein wesentliches Charakteristikum einer künstlerischen Haltung markiert: Der allgemeine Bezug zur Umgebung, im Besonderen zum urbanen Lebensraum, zu dessen historischer, sozialer und politischer Konfiguration.

Fedo Ertl, 100, Graz 2008

Fedo Ertl, 100, Graz 2008

Wenn einer als Künstler die Stadt, in der er lebt, zu seinem zentralen Untersuchungsfeld gemacht hat, dann ist es am Beispiel Graz Fedo Ertl. So stehen auch im Zentrum seiner Werkübersicht die Kontextualisierung sowie der neu interpretierte und erweiterte Begriff der Site Specifity. Darin zeigt sich sein Interesse an einer Kunst, die paradigmatisch für eine Verantwortung gegenüber der sie umgebenden Community stehen. Das Ausstellungsprojekt richtete seinen Blick von der Gegenwart aus in die eigene und in die kollektive Vergangenheit. Die Installationen und multimedialen Dokumentationen haben sich in regelmäßigen Abständen neu positioniert, was anstelle einer statischen Ausstellung eine veränderte Zusammenschau von aktuellen stadtbezogenen Themen und deren Umsetzung ermöglichte. In dem weit aufgespannten Arbeitsprospekt fanden sich frühe, vor der pragmatischen Realisierung entwickelte geopolitische Konzepte, wie das einer Euro-Konserve, ebenso wie die unmittelbaren Eingriffe in den Grazer Stadtkörper: Die temporären Zeichensetzungen Mur, Kopf-Arbeit, 1938/1983 zum Beispiel, die künstlerisch praktizierte Oral History in Form eines in die Stadt aus dem fernen Santa Barbara eingespielten Interviews mit einem emigrierten jüdischen Bürger, der Blick in die Vergangenheit aber auch über das Museé des Prélocataires, das visuelle Spuren freilegt.

Gemeinsam mit fünf Künstlerfreunden (Heimo Ranzenbacher, Christian Marczik, Franz Pichler, Wolfgang Temmel, Wolfgang Rahs) schließt die Präsentation speziell für den Anlass entwickelte Graz-Projekte mit ein: Sie holen Alltagssituationen in den Kunstort, von dem aus sie, in eine andere Sprachform transformiert, in den Stadtraum zurückwirken. Auf diese Weise haben unterschiedliche „Citizens“ unmittelbar an einer, Ertls langjähriger Auffassung folgend, von der Kunst ausgehenden neuen Realitätskonstruktion Anteil.

Vor dem Anbruch der Stadt – oder Wie die warmen Semmeln 2005

Fedo Ertl / Heimo Ranzenbacher

Von 1. bis 22. Oktober wurde im Stadtmuseum Graz eine Semmel-Bäckerei betrieben.

Fedo Ertl, Heimo Ranzenbacher, Vor dem Anbruch der Stadt oder Wie die warmen Semmeln, Graz Stadtmuseum 2005

Fedo Ertl, Heimo Ranzenbacher, Vor dem Anbruch der Stadt oder Wie die warmen Semmeln, Graz Stadtmuseum 2005

Beim Kauf von Gebäck in dieser von der Firma Sorger gesponserten Installation erhielten Kunden eine von den Künstlern gestaltete Gratis-Tragtasche. Die Serie von Originalen umfasste 16 Motive, eines für jeden Tag, in der die Bäckerei im rechten Flügel des Erdgeschosses in Betrieb war. Pro Tag wurde eine auf 250 Stück limitierte Auflage gedruckt. Technik: Hochdruck auf Papier. Bei den Motiven handelte es sich unter anderem um Quellenangaben, die Zitate dazu waren auf der Homepage nachzulesen, sodass sich über die Tragtaschen der Semmeln eine kleine geisteswissenschaftliche Bibliothek aufbauen ließ. „Der Kauf von frischem Gebäck war an den Öffnungstagen des Museums (außer Sonntag) von 5 bis 9 Uhr möglich. Die Installation war zu der Zeit beendet, da die Stadt erwacht – um 9 Uhr.

Ranzenbacher,Vor dem Anbruch der Stadt oder Wie die warmen Semmeln, Graz Stadtmuseum 2005

Fedo Ertl, Heimo Ranzenbacher,Vor dem Anbruch der Stadt oder Wie die warmen Semmeln, Graz Stadtmuseum 2005

Vor dem Anbruch der Stadt – oder Wie die warmen Semmeln bezieht sich auf die Zeit in der Stadt, bevor sie „in Betrieb geht“, auf ihren frühmorgendlichen Leerlauf und auf die diesen Stunden eigene Atmosphäre. Diese Zeit ist assoziiert mit Frühstück bzw. mit der Zeit vor dem Frühstück, also weniger mit dem Verzehr der Frühstücksemmel als vielmehr mit der Erfahrung rund um den Erwerb dieser Semmeln. Das Projekt hat somit nicht den Akt des Erwerbs, sondern die spezielle Zeiterfahrung im Sinn. Mit dem Verkauf warmer Semmeln vertreiben wir gewissermaßen die Erfahrung dieser Zeit vor dem Anbruch der Stadt“2Aus dem Konzepttext zum Projekt.. In der Ausstellung sFedo Ertl, The Art of Behavior, New York City, PS1 1993elbst, nachdem sie aufgemacht hat, ist diese Erfahrung nicht mehr durch die Tätigkeit des Backens bzw. des Erwerbs des Gebackenen, sondern durch den Duft frisch gebackener Semmeln repräsentiert und durch die Klangdokumentation des täglichen Produktions- und Verkaufsherganges konserviert.

Fedo Ertl, Heimo Ranzenbacher, Vor dem Anbruch der Stadt oder Wie die warmen Semmeln, Graz Stadtmuseum 2005

Fedo Ertl, Heimo Ranzenbacher, Vor dem Anbruch der Stadt oder Wie die warmen Semmeln, Graz Stadtmuseum 2005

In diesem Konzept werden die Arbeitsräume einer Stadt – und das Projektduo Fedo Ertl/Heimo Ranzenbacher zählt das Museum zu den Arbeitsräumen – miteinander verknüpft, wobei neben der Verlagerung der Produktions- und Präsentationsstätten der Faktor eine entscheidende Rolle spielt: Das andere beginnt, wenn das eine endet. So bildeten nicht nur die Raumdisplays einen starken Kontrast, der durchaus irritierend wahrgenommen werden sollte. Über den Kontrast aber erfolgte durch die beiden Initiatoren auch eine unmissverständliche Definition der Kunst und ihres gesellschaftlichen Rangs: Nicht abgeschottet vom alltäglichen Leben, nicht das Fremde, das Andere, ausschließlich den Spezialisten vorbehalten, sondern als eines der notwendigen Systeme in den Gesellschaftskörper integriert.

Watch your Steps  2005

Franz Pichler / Ulrich Jahrmann / Fedo Ertl

FFranz Pichler, Ulrich Jahrmann, Fedo Ertl, Watch your steps, 2005

Franz Pichler, Ulrich Jahrmann, Fedo Ertl, Watch your steps, 2005

Eine in den Grundzügen mit dem vorangestellten Beispiel vergleichbare „durchlässige“ Haltung zwischen dem Außenraum und dem weitgehend hermetisch konfigurierten Kunstraum nimmt dieses Projekt ein. Hier hat Ertl nicht nur den Künstlerfreund Franz Pichler, sondern auch den Geburtsblinden Ulrich Jahrmann als Partner miteinbezogen. Das Ziel der intensiven Zusammenarbeit war ein auf mehreren Ebenen in Gang gesetzter Transfer von Rezeptionsvorgängen, die in einer Klang/Skulptur im Museum kulminierten, nicht ohne die Genese des Projekts nachvollziehbar zu machen und letztlich auf den Ausgangspunkt, den Grazer Hauptplatz, zurückzuführen. Dieser Schritt war mit der Dekonstruktion eines von einem Laien hergestellten Kunstwerks verbunden und kann/muss durchaus als Metapher für die zahllosen Codierungen sowohl im öffentlichen Leben als auch im Betriebssystem Kunst gelesen werden. Die Orientierung von Ulrich Jahrmann auf einem der belebtesten Plätze der Stadt, die zusätzlich angebrachten Markierungspunkte der Künstler, um den Bewegungsradius zu erweitern, führten letztlich zu einer zentralen haptischen Erfahrung:

Franz Pichler, Ulrich Jahrmann, Fedo Ertl, Watch Your Steps, 2005

Franz Pichler, Ulrich Jahrmann, Fedo Ertl, Watch Your Steps, 2005

Bewusst war das Tor des Rathauses als Ort der politischen Macht dafür ausgewählt worden. Nach Skizzen und einem Modell in Salzteig und Brot, an dem ein durch Ertasten ausgelöster Transformationsakt stattfand, eine Transformation, die, in welcher Weise auch immer, dem traditionellen künstlerischen Schaffen nicht fremd ist, wurde diese Formation in einem Maßstab, der den Ausstellungsraum beinahe ausfüllte, mit den Materialien Aluminium und Stahl realisiert. Realgeräusche vom Hauptplatz haben die Installation begleitet und damit wieder an den Ausgangsort zurückgeführt. Damit war der Transformationsakt zweifach verortet: Auf der einen Seite im städtischen Raum und auf der anderen Seite in der physischen Befindlichkeit eines Menschen, der aufgrund seines Handicaps auch mit gesellschaftlichen Behinderungen konfrontiert ist.

EXIT 1985/2005

Aus dem künstlerischen Protokoll Citizen, das die Haltung von Fedo Ertl in ausgewählten Beispielen nachdrücklich sichtbar und nachvollziehbar machen kann, muss noch eine ältere Arbeit herausgegriffen werden, weil sie für die politischen Dimensionen neuerlich, jedoch auf eine andere Art und Weise, Zeugnis ablegen kann.  15 Fototafeln, vier mit Fotoleinen bespannte Lautsprecherboxen, Wannen mit Altöl und Klänge waren Bestandteil dieses den Raum beherrschenden Ensembles.

Fedo Ertl, EXIT 1985/2005, Graz Stadtmuseum 2005

Fedo Ertl, EXIT 1985/2005, Graz Stadtmuseum 2005

Begonnen 1985, als er auf einer Reise durch die ehemalige DDR an den Küstenabschnitt in Arenshoop gelangte und dort im Meer die durch die kontinuierliche Kraft des Wassers ausgewaschenen und in sich zusammengestürzten Reste von Bunkern entdeckte, wurde das Werk in der Ausstellung formal und inhaltlich neu positioniert. Ausgang? Notausgang? Ende? In die Ölwannen projiziert taucht das Wort EXIT sowohl an der Oberfläche als auch in der Tiefe eines imaginierten Raums auf. Untermalt von den Klängen, die beim Anschlagen der Eisenarmierungen mit einem Stein entstanden und aufgenommen worden sind, suggerieren die optischen Betonfragmente eine „endzeitliche“ Stimmung. Hier sind es pittoreske Landschaftsformationen, deren Ursprung im Eingriff gewaltbereiter Ideologien und Machtansprüche zu suchen sind, die gnadenlose gesellschaftspolitische Konstruktionen widerspiegeln. Scheinbar auf der Basis einer reinen Dokumentation angesiedelt, führt die Außenwahrnehmung durch die präzise Entwicklung einer künstlerischen Formation in eine Innenwahrnehmung der dahinter liegenden, letztendlich aus dem Kontext der Geschichte losgelösten und daher auch in der Gegenwart gültigen Zusammenhänge über.

The Art of Behavior 1992 /1993 / 2005

Die Allegorie, folgt man den klassischen Definitionen des 19. Jahrhunderts, ist willkürlich festgelegtes Sinnbild und steht damit im Gegensatz zum Symbol, das sich von selbst versteht. Burghart Schmidt hat diese Definition zum Anlass genommen, die Allegorie-Lesart von Walter Benjamin ge­nauer unter die Lupe zu nehmen, der sie als „Weiterschicken von Bedeutung zu Bedeutung“ versteht und sie im Gegensatz zu einem festgelegten Bildwörterbuch sieht. Konturiert von Ernst Bloch wird Benjamins Begriff der Allegorie zu einem Weiterverweisen von einer Bedeutungsmöglichkeit zur ande­ren. Schmidt möchte von diesen Voraussetzungen aus lieber von Allegorese als von Allegorie sprechen.

Fedo Ertl, The Art of Behavior, New York City PS1 1993

Fedo Ertl, The Art of Behavior, New York City PS1 1993

Mit der während seines PS 1-Stipendiums in New York geschaffenen Installation scheint Fedo Ertl trotz „Verhaltenskunst“ (The Art of Behavior) dem eingangs definierten Allegorie- (oder Allegorese-)Begriff näher zu stehen als man zunächst vermuten würde. Nach Beseitigung des durch den Titel verursachbaren Kurzschlusses eines allegorischen Verhaltens, das eine begriffliche Konfusion erzeugt, steuert die Annäherung an den methodischen Ansatz auf die Lesart der audiovisuellen Anordnung im verdunkelten Raum zu. Die Inszenierung auf der einen Seite: akustische Hochfrequenzsignale und „Eigenlicht“ der Objekte als ausschließliche Be­leuchtung der Szenerie, die Beschaffenheit der Elemente auf der anderen Seite: Spezifisch angeordnete bzw. weiterver­arbeitete Gebrauchsgegenstände scheinen in einem widersprüchlichen Spannungsfeld von Sinnbild und „Realkunst“ zu stehen und damit der engeren Begrifflichkeit nicht mehr zu entsprechen.

In Summe aber bildet genau das Weiterverweisen von einer Bedeutungsmöglichkeit zur anderen den Kern der Rauminszenierung. Allegoretisch sind selbst die Ready-mades Helm und Hut, weil wir das Ready-made hier weder als selbstreferentielles Werk noch als Handlungsakt im Sinne Duchamps begreifen können. Ertl führt uns im weiteren Sinn „political corectness“ – damit ist diese Anordnung zweifelsohne verknüpft – nicht als Auflistung von Fakten auf der Ebene eines „miniaturisierten Modells des gesamtgesellschaftlichen Gefüges und von dessen eigenen Distributions-und Vermittlungsprozessen“2 vor, sondern als Interpretationsmuster verschiedener Bedeutungsmöglichkeiten. Anders als etwa in seinem Mur-Projekt von 1985, dem Eingriff in das Erzherzog-Johann-Denkmal auf dem Grazer Hauptplatz, bei dem er aus gegebenem realpolitischem Anlaß übrigens, für den jetzigen Diskurs pikanterweise, eine Allegorie verhüllte, ist nun nicht mehr der Akt der direkten Zeichensetzung das zentrale Thema.

Fedo Ertl, The Art of Behavior, Graz Neue Galerie 1992

Fedo Ertl, The Art of Behavior, Graz Neue Galerie 1992

Mehrere Zeichengruppen, in sich in Anordnung und Gestaltung aufgeladen, verweisen über sich hinaus. Die Tatsache, daß gerade die reinen Ready-mades – wie Helm und Hut – in ihrer Loslösung aus dem Gebrauch allgemein verständliche Symbole für Militarismus und Business sind, mag zunächst die aufgestellte Allegorie-These verunklären. In weiterer Folge, nämlich in Verbindung mit den Klangelementen und den Semi-Ready-mades der fotografisch bestimmten Bildobjekte, wird die künstlerische Methode von der Allegorese dominiert. Der amerikanische Fond der Janusköpfigkeit in den Wandobjekten ist sowohl als festgeschrieben ablesbar als auch beliebig, im Sinne der erschreckend aktuellen Austauschbarkeit politischer und gesellschaftlicher Verhaltensmuster, übertragbar. In den leuchtenden Monden spiegelt sich in der präsentierten Form der optisch vermessenen Gestalt des inhaltlich vielfach besetzten Himmelskörpers im Wassergefäß die Ambiguität von Schein und Sein, von Projektion und Faktum, konkret von Romantik und Eroberungsstrategien.

Fedo Ertl, The Art of Behavior, Graz, Neue Galerie 1992

Fedo Ertl, The Art of Behavior, Graz, Neue Galerie 1992

Der technoide Hochfrequenzton entschlüsselt sich als Grillengeräusch erst dann, wenn wir die Codierung mit dem Raumtransfer in Verbindung bringen: von der Koppelung Helm/Hut zu den Wassertrögen, damit von machtbestimmter Zivilisation zur „eingefassten“ Natur. Das eine baut erst mit dem nächsten, dem anderen, einen Sinngehalt auf. Im gegenseitigen Verweis werden mögliche Sinnzusammenhänge herstellbar. Das künstlerische Raumgefüge scheint in eine Frage der Präsenz und der Positionierung zu münden. Letztlich auch in eine Frage nach der Möglichkeit der Positionierung von Kunst: Einer Kunst, die sich den Kontextbeziehungen und Selbstreferenzen im Sinne des „Betriebssystems Kunst“ verschreibt oder einer, die sich als Übersetzungsarbeit versteht, weil sie Übersetzbarkeiten anstrebt. Ertl entscheidet sich für die Übersetzungsarbeit aus den Wurzeln der sechziger Jahre heraus, zweigt aber von der Direktheit ab. An die Stelle der stringenten Eindimensionalität setzt er eine Multivalenz, die Bilder mit „Zwischentönen“ hervorbringt.

Fedo Ertl, The Art of Behavior, Graz Stadtmuseum 2005

Fedo Ertl, The Art of Behavior, Graz Stadtmuseum 2005

In den vorhandenen „Schattierungen“ kippen einzelne Bedeutungsstrukturen: jene im Bereich natürlicher und künstlicher Tonfrequenzen, jene auf der Ebene der Raumdimensionen, gekoppelt an die Verfügbarkeit neuer Welten und die Verfügung über die alten. Die Amerikaner waren in Vietnam, wo die strategisch wichtige Stille der Nacht vom Zirpen der Grillen unaufhaltsam durchbrochen wurde; die Amerikaner waren am Mond, dessen Abbilder verfügbar in den Metallzubern archiviert sind. Allegorien an der Nahtstelle zwischen Domestizierung und vergangenen wie gegenwärtigen Projektionen? Jedenfalls keine Allegorie des Diskurses selbst. Ertl setzt nach wie vor, wenn auch unter Verzicht auf Radikalität und sezierender Schärfe der Innen­wahrnehmung von Kunst die Kapazität der Außenwahrnehmung gegenüber.

Arbeiten im öffentlichen Raum

Mehrfach hat Fedo Ertl wichtige Beiträge zu einem veränderten Denkmalbegriff geliefert, und dieser kann und muss mit wichtigen internationalen Positionen in Beziehung gesetzt werden. Beispielsweise mit Arbeiten von Jochen Gerz oder Hans Haacke. Beide Künstler haben auch Projekte in Graz realisiert bzw. waren für eine Realisierung vorgesehen. Haacke war wie Ertl Teilnehmer an der Veranstaltung Bezugspunkte 38/88, die 50 Jahre nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland im „steirischen herbst“ realisiert wurde3“Auf eine andere Ausstellung muß hier besonders hingewiesen werden, die einen politisch brisanten Auftrag an die Künstler stellte: In Graz wurden 1988 sechzehn Orte von Werner Fenz ausgesucht, an denen die Nationalsozialisten eine besondere Präsenz besaßen … Es war eine Ausstellung mit aktuellen, streng ortsbezogenen Auftragskunstwerken als Hinweise … auf die Verbindung von Gesellschaft und Kunst, ja auch auf die Verantwortung des Künstlers und der ihn stützenden, vermittelnden Institutionen … Unsere jetzige Berliner Ausstellung Die Endlichkeit der Freiheit nimmt sicherlich wichtige Anregungen gerade dieser zuletzt genannten Manifestation auf, um im Unterschied zu den eher allgemein auf Platz und Park bezogenen Arbeiten hier einen anderen wichtigen Strang der neueren Kunstgeschichte einzubeziehen: die soziale, geschichtliche Dimension des Ortes und des Zeitpunktes der Realisierung des Werkes“, vgl. Wulf Herzogenrath, Künstler verändern die Ausstellungsformen, in: Die Endlichkeit der Freiheit Berlin 1990. Ein Ausstellungsprojekt in Ost und West, Edition Heinrich: Berlin 1990, S. 32, 33.. Sein aufwändiger und in der Außenwirkung nicht überraschend dominierender Beitrag war die Rekonstruktion des „Siegesmals“ der Nationalsozialisten unter dem Titel Und ihr habt doch gesiegt: ein die Mariensäule am Eisernen Tor verkleidender Obelisk in den Nazifarben Rot und Schwarz mit einer Feuerschale an seiner Spitze. Nur durch die Aufzählung der „Besiegten in der Steiermark“ wurde das Siegeszeichen zum heftig diskutierten Mahnmal4Vgl. dazu zum Beispiel die Website Offsite Graz sowie die Publikation unter demselben Titel, Leykam: Graz 2005.

Jochen Gerz hat gemeinsam mit seiner Frau Esther Shalev-Gerz für den Militärschießplatz Feliferhof vier Fahnen mit Texten als Denkmal mit dem Titel Die Gänse vom Feliferhof konzipiert. Ein Denkmal, das sich die Rekruten bei jeder Übung selbst errichten und wieder abbauen, das nur dann sichtbar wird, wenn man (als Betroffene und Soldaten sind nun einmal Betroffene) erinnern will5Siehe Anmerkung 4. Jochen Gerz hat 2008 im Grazer Burgtor die Arbeit Ich Sigfried Uiberreither realisiert und wird 2009 das Projekt 63 Jahre danach, eine Arbeit mit HistorikerInnen, PolitikerInnen und ZeitungsleserInnen fertig stellen (siehe Website www.oeffentlichekunststeiermark.at).

Fedo Ertl, Mahnmal 38/88, Graz 1988

Fedo Ertl, Mahnmal 38/88, Graz 1988

1983 versucht Fedo Ertl in Graz auf einer anderen als der traditionellen Denkmalebene künstlerisch zu argumentieren.  Unter dem Titel 1938/1983 setzt er für die Juden in Graz ein Zeichen, das den Getöteten, den Vertriebenen und den noch in der Stadt Lebenden gewidmet ist. Als nicht unwesentlicher Ausgangspunkt liegt in der Intention des Künstlers, die Diskussion um die Wiedererrichtung der im November 1938 zerstörten Synagoge in Gang zu setzen. Ertls Projekt liegt eine lange Vorlaufzeit zugrunde, da er erkennen musste, dass fast alle Vertreter der jüdischen Gemeinde zunächst wegen befürchteter antisemitischer Reaktionen kein zwingendes Interesse an dem Vorhaben hatten6Ertl berichtet im Katalog zur Veranstaltung (Die Schöpfer Gottes. Forum Stadtpark – Steirischer Herbst 1983, Graz 1983) in zum Teil berührenden Gesprächsprotokollen ausführlich über die Bedenken seiner Gesprächspartner. . Auf politisch gestützte Argumentationen aufbauende, vorsichtige Annäherungen und Gespräche mit dem Ziel, das Vergessen in eine künstlerische Stellungnahme zu wenden, ermöglichen dem Künstler, der den Konsens mit den Betroffenen als Voraussetzung für seine Arbeit festgelegt hatte, die Realisierung. Nicht erst die zögernde Haltung seiner Gesprächspartner führt zur Vermeidung jeder Form der Monumentalisierung. Die zerstörte und bis zu diesem Zeitpunkt nicht wieder aufgebaute Synagoge7Die Synagoge, von Jörg und Ingrid Mayr geplant, von Ingrid Mayr nach dem Tod ihres Mannes fertiggestellt, wurde am 9.November 2000 mit großer zeitlicher Verspätung ihrer Bestimmung übergeben. Vgl. Wolfgang Sotill, Es gibt nur einen Gott und eine Menschheit. Graz und seine jüdischen Bürger, Graz 2001. bildet den Anlass für historische Recherchen mit dem Ergebnis, dass eine Mauer in der Alberstraße aus dem Ziegelmaterial des zerstörten Sakralraumes stammt. Im Gegensatz zur Methode, ein wie immer geartetes Objekt als referentielles Zeichen zu errichten, legt der Künstler direkt einen Teil der Grundstücksbegrenzung als schlichtes Dokument politischen Ungeistes, der vor Zerstörung auf keiner Ebene zurückscheute, frei.

Damit wird gleichzeitig eine Kunsthaltung ausformuliert, die nicht den in dieser Zeit mehrheitlich praktizierten Inventionsstrategien (etwa im Bereich der “Neuen Malerei” oder der “Neuen Skulptur”) folgt: Kunst sollte kritische Orientierungsmöglichkeiten im gesellschaftlichen Raum ermöglichen. Konsequenter- und bezeichnenderweise – für den Typus Kunst als Kommentar – begleitete ein Text auf einer Metalltafel die in einem schmalen vertikalen Streifen vom Verputz befreiten Synagogen-Ziegel: „1938: die Nacht vom 9. auf den 10. November ist durch die Brandschatzung hunderter Synagogen in Deutschland und Österreich die mit dem Stempel der Reichskristallnacht gleichsam gebrandmarkte Stelle einer verbrecherisch verschuldeten Ära./ Absurd genug: zementierte doch der nationalsozialistische Greuel aus dem, was er blutig seinem Boden gleichmacht, andernorts wieder ein Mahnmal seiner Machenschaft: diese Mauer. Sie wurde mit den Ziegeln der 1938 zerstörten Grazer Synagoge 1939 errichtet. Ein Tempel für die heute in Graz lebenden siebzig von ehemals zweitausend Juden. / Ein: Tempel 1983″. Bemerkenswert an diesem Konzept eines „unaufgeregten“ Denkmals ist, dass es keinen Auftraggeber gibt, dass also eine künstlerische Eigeninitiative hinter der im öffentlichen Raum platzierten Erinnerungsarbeit steht. Unter diesen Voraussetzungen verwundert es nicht, dass Ertl den Ort auch weiterhin als kommunikativen Handlungsraum nutzt. Im Juli 1985 nimmt er vor der Mauer in der Alberstraße in einer Direktschaltung nach Los Angeles Kontakt mit einem 1938 vor den Nazis geflüchteten Juden auf: Aus einem provisorisch eingerichteten Studio in der Municipal Art Gallery berichtet Dr. Helmut Bader besonnen und dadurch, dass er nie eine plakative Komponente ins Spiel bringt, umso eindringlicher von seinen Erfahrungen in der „Stadt der Volkserhebung“8Dieses Interview wurde auch in einem anderen Zusammenhang präsentiert: Ein einfacher, ungestylter Fernsehmonitor stand auf einem Altar der Kirche St. Andrä im Grazer Bezirk Gries, der durch einen hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund charakterisiert ist. Ertls Installation war Teil des Projekts … ?.

Das schlichte, in der Denkmalgeschichte (nicht nur von Graz) außergewöhnliche Mahnmal existiert heute nicht mehr. 1998 sind die Mauer sowie die dahinter gelegenen Garagen, ebenfalls aus den Ziegeln der zerstörten Synagoge für die Gestapo erbaut, abgerissen worden. In einer von der Kulturvermittlung Steiermark initiierten Aktion fand durch SchülerInnen eine Reinigung der Garagen-Ziegel statt, um diese in den Neubau der Synagoge einzubringen. An der Jahreswende 1999/2000 wurden auch die Ziegel der abgebrochenen Mauer dem jüdischen Gotteshaus „zurückgegeben“. Fedo Ertl allerdings hatte mit der Mauer andere Ziele verfolgt. Er nahm gemeinsam mit dem Architekten Raimund Abraham an einem Wettbewerb zur Verbauung des Areals teil. In diesem Projekt sollte die Mauer stehen bleiben, die Ziegel der Garage wären unter einem kleinen zeithistorischen Dokumentationsraum tatsächlich „begraben“ worden. Der Sieger des Wettbewerbs, Volker Giencke, lehnte es gegen den Wunsch der Auslober ab, die Idee Ertls in seinen preisgekrönten Entwurf, der übrigens bis heute nicht realisiert worden ist, mit aufzunehmen. So verweist heute nur mehr die im Grazer Stadtmuseum archivierte Texttafel auf das ehemalige Denkmal9Diese Unmittelbarkeit in der künstlerischen Realisierung gesellschaftspolitischer Vorgänge und Zusammenhänge taucht auch im Schmuck/Objekt Brillant auf. In eine Holzkassette eingepasst verweisen eine Seife und eine Kette, beide Materialien in dieser Zeithistorie mit komplexer historischer Bedeutung, auf die in den dreißiger Jahren unter der verfolgten jüdischen Bevölkerung übliche Praxis, einen Rest von Hab und Gut zu retten. Die formal umgesetzte Praxis wird zu einem persönlich-authentischen Mahnmal menschenverachtender Ideologie.

Auch wenn sich die Projekte von Fedo Ertl und Hans Haacke auf den ersten Blick sowohl im Material als auch in der Dimension sowie in der Inanspruchnahme einer monumentalen Wirkung grundlegend zu unterscheiden scheinen, ist ihnen der Zugriff auf mehr (Ertl) oder weniger (Haacke) authentische Relikte aus einer genau bezeichneten Vergangenheit gemeinsam. Damit soll ausgedrückt werden, dass sich beide Künstler nicht auf die Kreation eines symbolischen Zeichens einließen (ein solches stellten, wenn auch nicht im traditionell künstlerischen Sinn, selbst die Die Gänse vom Feliferhof genannten Fahnen dar), sondern auf ein zeitdimensionales Repertoire zurückgriffen. Ab diesem Punkt trennen sich allerdings die konzeptuellen und formalen Strategien: Haacke arbeitet in der Rekonstruktion mit einem nahezu apokalyptischen Versatzstück der Zeit und setzt auf die Präsenz einer verführerischen Ästhetik, Ertl hält sich an tatsächliche, aufgespürte Relikte. Ein neu inszeniertes Bühnenbild „vor Ort“ steht der Enthüllung von räumlich transferierten Spuren gegenüber. In beiden Fällen kommt der site specifity größte Bedeutung zu. Es wird mit authentischem ästhetischem bzw. Materialbezug an Ereignisse derselben Geschichte erinnert und es werden die beiden Seiten der politischen Medaille als ineinander greifendes absolutes System vorgeführt, denn der Festgestus im Aufrichten monumentaler Zeichen, unter Einbeziehung der menschlichen Massen, hatte die massenhafte Vernichtung und das Niederreißen von Zeichen „fremder“ religiös-kultureller Identität zur Voraussetzung.

Fedo Ertl, Kopf-Arbeit, Bezugspunkte 38/88 Graz 1988

Fedo Ertl, Kopf-Arbeit, Bezugspunkte 38/88 Graz 1988

Für Bezugspunkte 38/88 setzte sich Ertl unmittelbar in einem Denkmalareal mit seiner Arbeit fest. Der Ort war der sogenannte Ehrenhof der Grazer Burg, in dem anlässlich des Erzherzog-Johann-Gedenkjahres 1959 der Auftrag ergangen war, an die berühmtesten steirischen Persönlichkeiten in Form von Büsten zu erinnern. Vom Minnesänger Ulrich von Liechtenstein bis Alexander Girardi reichen die 10 verdienten Steirer, die erst Anfang der 1990er Jahre nach einem Protest von Frauenorganisationen durch Anna Plochl, die Frau des Erzherzogs und die Heimatdichterin Paula Grogger ergänzt wurden. Ertl präsentiert im steirischen herbst 1988 ein „Denkmal der Anonymen“. Den Büsten der in Stein Verewigten fügt er gegenüber Claes Oldenburg, der Objekte des Alltags unter anderem durch die Monumentalität denkmalwürdig machte, mit einer deutlich anderen Bedeutung in Form, Inhalt und Dimension einen als Arbeitsgerät verwendeten Schöpfer – in Bronze nachgegossen, ebenfalls auf einem Sockel postiert – hinzu.

Fedo Ertl, Kopf-Arbeit, Bezugspunkte 38/88 Graz 1988

Fedo Ertl, Kopf-Arbeit, Bezugspunkte 38/88 Graz 1988

Bestehend aus einem ehemaligen deutschen Wehrmachtshelm und einer Holzstange, diente das Original einem Bauern in der Oststeiermark, in dessen Fundus das “Ready Made” aufgetaucht war, zum Wiederaufbau seines zerstörten Hofes nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs. „Trotz des Beispiels dieses Mannes wird hier keine individuelle Leistung auf den Sockel gehoben, sondern die Haltung jener Anonymen, die durch Anfertigen und Gebrauchen dieser Werkzeuge Symbole gegen jene Ideologie und Zeit schufen, die sie mitzuverantworten haben.“10F. Ertl in der Publikation „Bezugspunkte 38/88“, Graz 1988.

Die am stärksten zeitpolitische Arbeit Ertls im öffentlichen Raum, zudem zu einer Zeit, in der diese Thematik öffentlich nur sporadisch bis gar nicht verhandelt wurde, ist das Projekt Mur aus dem Jahr 1985, das als unmittelbare Reaktion auf eine ökopolitische Entscheidung von großer Tragweite zu sehen ist. Das Programm der Steirischen Kulturinitiative, einer Plattform zur Entwicklung ästhetischer Strategien im Zusammenhang mit dem sozialen und politischen Gesellschaftsraum, steht 1985 unter dem Themenschwerpunkt „Kunstwasser“.11Für die „Einübung“ und Darstellung spezifischer künstlerischer Gestaltungsmuster, die „gleichermaßen politische wie ästhetische Strategien zur Öffnung des sozialen Raums als künstlerisches Arbeitsfeld entwickelten“ (Heimo Ranzenbacher) war die 1976 gegründete Steirische Kulturinitiative eine wichtige Plattform. Man vertraute auf die Ideen der Künstlerinnen und Künstler (in der ersten Jahren waren Richard Kriesche und Peter Gerwin Hoffmann die künstlerischen Leiter), die einen jährlichen Programmschwerpunkt erarbeiteten und dann den TeilnehmerInnen für die einzelnen Projekte einen Produktionsauftrag zu gaben. Im Mittelpunkt dieses bis heute entwickelten stattlichen Themenkatalogs (darunter Projekt ArbeitKunst-WasserHeimatLebensräumeEnergieZeitKunst & MuseumZERO – The Art of Being EverywhereTime Exchange) stand nicht nur, wie oft behauptet wird, eine lokale Identitätssuche. Es waren im internationalen Kontext bemerkenswerte Fakten, die die Struktur der „Kulturinitiative“ und der in ihr geleisteten künstlerischen Arbeit auszeichneten: die Aufarbeitung zeitrelevanter Themen, die als „Arbeitsfelder“ den künstlerischen Produktionsbegriff neu definierten; die Dezentralisierung des Kunstdiskurses von Graz in zahlreiche steirische Orte und Gemeinden; die Einstufung der Kunst als gesellschaftsrelevantes Modell, da sich in der Kunst für die Bewältigung der Wirklichkeit entscheidende Synergieeffekte aus einer Bestandsaufnahme der Alltagsmechanismen, der sozialen, politischen und wissenschaftlichen Faktoren herstellen ließen mit dem Ziel, diese als ästhetische Zeichensetzung aufzuarbeiten.

An die KünstlerInnen erging die Einladung, „an steirischen Flüssen, in unmittelbarer Beziehung zur Umgebung stehende Zeichen zu erstellen, um damit die Probleme des Alltags – Umweltschutz, Umweltgestaltung – vielschichtig und emotionell tiefgreifender als es z.B. die Wissenschaft könnte, zu beschreiben“. Vor dieser äußerst präzisen Formulierung stellt sich nicht zum ersten und letzten Mal die Frage nach den Konsequenzen von sogenannten hermetischen oder offenen Projektkonzeptionen. Auf der einen Seite spricht Hans Haacke, die Veranstaltung Bezugspunkte 38/88 (steirischer herbst 1988) betreffend, von einer „bewundernswerten Klarheit“, mit der das Programm erklärt wurde12Pierre Bourdieu, Hans Haacke, Freier Austausch. Für die Unabhängigkeit der Phantasie und des Denkens, S. Fischer: Frankfurt am Main 1995, S. 81., auf der anderen Seite stehen genau ausformulierte Konzepte in einer kritischen Rezeption nicht selten für eine Einschränkung der künstlerischen „Freiheit“. Seit etwa einem knappen Jahrzehnt nimmt die naturgemäß nicht nur für den öffentlichen Raum geltende Sorge zu, dass zunehmend KuratorInnen die Kunst „machen“. Aus diesem Stimmengewirr lassen sich auch bei einer sorgfältigen Analyse keine verbindlichen Schlüsse ziehen. Selbst dann nicht, wenn sich der Eindruck verfestigt, eine Beliebigkeit bei Beiträgen zu einem speziellen Thema werde eher in Kauf genommen als eine von Anfang an im Sinne einer seriösen Feldforschung klar abgesteckte Positionierung.

Fedo Ertl, Mur, Graz, Hauptplatz 1985

Fedo Ertl, Mur, Graz, Hauptplatz 1985

Im Juni 1985 tagt im Grazer Rathaus ein „Mur-Gipfel“, der sich unter dem Motto „Mit ganzer Kraft für saubere steirische Flüsse“ zum Ziel setzt, einen der schmutzigsten Flüsse Europas wieder sauberer zu machen. Direkt vor der Zentrale der Stadtregierung steht auf dem Hauptplatz das im 19. Jahrhundert in Kombination mit einer Brunnenanlage errichtete Erzherzog-Johann-Denkmal. Im Figurenprogramm nehmen auch die vier größten steirischen Flüsse in Form von Allegorien an den Eckpunkten eine prominente Position ein. Der Beitrag Ertls erweist sich nicht nur im Nachhinein als einer der wesentlichsten zum Projekt Kunstwasser. In kubistischer Formgebung, den Umrissen der Figur folgend wird am 26. Juni die Allegorie der Mur mit Eisenblech verkleidet. Es entsteht eine 100 x 100 x 170 cm große Skulptur, die sich deutlich vom übrigen Ensemble abhebt. Als temporärer Eingriff geplant, steht sein Ablaufdatum fest: Dann nämlich, wenn die Zielsetzung, die Mur bis 1990 wieder „grün“ zu machen, erreicht ist, wird der Künstler die Hülle wieder entfernen. Mit dieser Visualisierung soll das Versprechen über die Medienberichte und Werbeschienen hinaus im Stadtraum, an einem referentiellen Punkt, veröffentlicht werden. Aus denkmalpflegerischen und touristischen Gründen – wie es heißt – wird die Aktion trotz eiligst erhobener, vorwiegend positiver Umfrageergebnisse am 19. Dezember desselben Jahres von Seiten des Straßen- und Brückenbauamts – Ertl hat sich konsequent geweigert, die Skulptur zu entfernen – beendet.

Fedo Ertl, Mandala, Graz 2007

Fedo Ertl, Mandala, Graz 2007

Zum Thema Migration hat sich Fedo Ertl 2007 im Rahmen der Veranstaltung Wir sind viele, künstlerisch zu Wort gemeldet.13Wir sind viele. Positionen zum Thema Migration war Teil des vielspartigen Projekts Crossing Culture, initiiert vom Afro-Asiatischen Institut in Graz. Evelyn Kraus war die Kuratorin, Werner Fenz der Kurator der Veranstaltung, an der neben Ertl weiters Klub Zwei (Simone Bader, Jo Schmeiser) und Afra, Anna Kowalska und Martin Krenn teilgenommen haben. Sein Zugang konzentrierte sich nach einer ausführlichen Phase der Recherche auf einen Aktionstag sowie eine anschließende Dokumentation des Projekts. Auf dem zentralen Karmeliterplatz in Graz stand als entscheidender Fokus ein Zahlenverhältnis im Mittelpunkt: In der Steiermark leben 1,183.246 Menschen, darunter 3.500 AsylwerberInnen. Über das Herstellen eines Mandala wurde diese Beziehung visualisiert. Freiwillige, die sich für diesen bezahlten „Job“ zur Verfügung gestellt hatten, brachten 3.500 Fußabdrücke in dunklem Sand auf dem Platz auf. Über dieses Symbol der Schritte, der Bewegung stand auch die Form des Lebens der Asylsuchenden optisch sinnlich umgesetzt im Zentrum. Über Lautsprecher in den Raum ausgestrahlte Interviews mit Betroffenen wurde die in der Öffentlichkeit ausgebreitete Thematik um den Aspekt des jeweils Privaten ergänzt. Den Regeln entsprechend wurde das Mandala, in diesem Fall nicht durch ein behutsames Zusammenkehren, sondern durch einen Waschwagen der Wirtschaftsbetriebe zerstört. An verschiedenen Orten der Innenstadt, an frequentierten Durchgängen oder in Auslagen fand das Projekt in einer Videoaufzeichnung seine Fortsetzung.

Auch zu der Zeit als Kunst und Bau, die an eine neue Architektur gebundene „künstlerische Ausgestaltung“ die einzige Möglichkeit – sieht man von verschiedenen Aktionen im Rahmen von Festivals oder nicht-institutionellen Initiativen ab – war, Kunst in die Öffentlichkeit zu bringen, bediente sich Fedo Ertl einer künstlerischen Methode, die in erster Linie auf einer sorgfältigen Analyse der Aufgabe gründete. In der Steiermark war es ein wesentliches Verdienst der KünstlerInnen, die beharrlich in die Jurys drängten, die zur Beurteilung von Wettbewerben oder ganz allgemein zur Vergabe von Aufträgen im Zusammenhang mit Kunst am/und Bau eingesetzt wurden, dass eine stärker inhaltliche Kontextualisierung die räumlich-architektonische ablöste. In diesem letztlich akzeptierten und immer weiter zugespitzten Rahmen bewegte sich eine Reihe von qualitativ hochwertigen Projekten, die der Steiermark für einige Zeit die Vorreiterrolle in Österreich gesichert hatten.

Fedo Ertl, Eva Schmeiser-Cadia, Eduard Winklhofer, Stabstollen, Graz 1991

Fedo Ertl, Eva Schmeiser-Cadia, Eduard Winklhofer, Stabstollen, Graz 1991

Gemeinsam mit Eva Schmeiser-Cadia und Eduard Winklhofer erarbeitet, steht die 1991 fertig gestellte Arbeit Stabstollen im Umfeld des biochemischen Instituts der Technischen Universität auf dem Grazer Felix-Dahn-Platz deutlich für den von Ertl nicht nur an diesem Ort mitformulierten Paradigmenwechsel einer Kunst, die sich öffentlich, außerhalb der geschützten Mauern des White Cube präsentiert. Durch den 27 Meter langen, prismatisch geformten Stollen ragt ein mit Pulver beschichteter Stab sowohl in den Außenraum als auch in das Foyer. Er bezieht die Wissenschaft der Biochemie und deren Merkmal, sich mit organischen Prozessen auseinander zu setzen, insofern in die Gestaltung mit ein, als die speziell behandelte, mit Flüssigkristallen überzogene Oberfläche des Stabobjekts temperaturempfindlich ist und es dadurch zu ablesbaren Farbveränderungen kommt. Das Spektrum reicht von braun über grün bis hin zu blau und signalisiert damit den dynamischen Status sensibler und gesellschaftsrelevanter wissenschaftlicher Untersuchungsfelder. Mit dieser räumlich-skulptural und als sich verändernd angelegten Markierung steht der Anstoß zum Einblick in Zusammenhänge im Zentrum einer Kunstauffassung, die paradigmatisch die Attitüde des Kunstwerks zugunsten der Veranschaulichung von Prozessen innerhalb des Lebensraums Stadt eintauscht. Leider muss unter der prozessualen Komponente auch das Labyrinth der Zuständigkeiten innerhalb öffentlicher Verwaltungen subsumiert werden: Da das Kunstwerk seit seiner Errichtung nicht gewartet wurde, sind die wichtigen unterschiedlichen Farbverläufe und damit ein zentraler Aspekt der Arbeit nicht mehr erlebbar.

Fedo Ertl, Ursa Maior, Graz 1997

Fedo Ertl, Ursa Maior, Graz 1997

Im Vergleich dazu wirkt die Malerei auf dem Gebäude der Grazer Stadtwerke am Schönaugürtel auf den ersten Blick traditioneller.Das liegt vor allem daran, dass Fassadengestaltungen, insbesondere dann, wenn sie nicht von Anfang an in der Rezeption ausdifferenziert werden, an die Praxis der Kunst der 1950er und 1960er Jahre zu erinnern scheinen. Was zunächst wie eine klassische Wandmalerei mit der möglicherweise nicht so schwer erkennbaren und als „Dekoration“ ungewöhnlichen Abbildung des Sternbildes „Großer Wagen“ (Ursa Maior, 1997) aussieht, entpuppt sich bei Dunkelheit – ganz im Gegensatz zu den üblichen Applikationen – als bezugsreiche Lichtinstallation: Entlang der eingesetzten Glasfaserkabel werden Punkte sichtbar, die dem Aufleuchten des Sternenhimmels in der komprimierten flächigen Darstellung entsprechen. In Verbindung mit dem Gebäude der Stadtwerke, die für die Stromversorgung verantwortlich sind, stellt sich die Frage nach neuen Formen der Energieerzeugung, denn das Licht auf dem Gemälde wird aus Solarzellen gespeist.  Zugleich stellt sich eine andere Frage, die den Kunstkontext betrifft: Nämlich jene nach den Symbolen respektive nach dem indexikalischen Status der verwendeten Zeichen. Wenn Ertl den nächtlichen Himmel als flächigen Prospekt an die Wand bringt und die Lichtpunkte tatsächlich von Leuchtmitteln erzeugt werden, dann schlägt die Gestaltung eine Brücke zwischen Illusion und Ready Made: Eine genau reflektierte Idee, um das Kunstwerk stärker in der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu verankern.

Fedo Ertl, 1:10, 1987

Fedo Ertl, 1:10, 1987

Auch eine im Raum entwickelte „künstlerische Ausgestaltung“ verlässt den zwar seltener gewordenen, aber durchaus auch damals noch auftauchenden traditionellen Formenkanon im Zusammenhang mit „Kunst und Bau“. Für das Projekt 1:10 aus dem Jahr 1987 konzipierte Ertl ein Beton-Relief als 1:10-Modell des Grundrisses von Grundstück und Wohnanlage als „bespielbare“ Skulptur. Eine Stahlstele markiert die Position eines Naturdenkmals (Baum) im Ensemble der Siedlung. Der Zugang erinnert an die „Closed Curcuit“-Systeme der Videokunst, wo Subjekt und Objekt, Kamera und Aufnahme kurzgeschlossen wurden. Auch hier bildet sich, zwar auf einer anderen, im Architekturgebrauch durchaus üblichen, in der alltäglichen Wahrnehmung von Siedlungsbewohnern eher irritierenden Ebene, die Architektur selbst ab. Mit diesem transferierten Abbild wird der „Zwischenraum“ zwischen den Gebäuden gestaltet. Wie so oft – und dies verweist wieder auf die klassische Phase der Konzeptkunst – nimmt Ertl nicht subjektive Gestaltungsparameter wie harmonische Flächenaufteilung oder Schwerpunktsetzungen innerhalb der „Leere“ zum Ausgangspunkt, sondern aus den bestehenden Verhältnissen oder Bedingungen abgeleitete Proportionen, Materialien oder Inhalte.

Fedo Ertl, Goldwasser, Graz 1992-2008

Fedo Ertl, Goldwasser, Graz 1992-2008

Das Brunnenwerk Goldwasser, das nach mehr als 15 Jahren, begonnen 1992, noch immer nicht das ursprünglich von Ertl geplante Aussehen erreicht hat, fordert eine Anmerkung über das Verhältnis von Auftraggeber und Künstler heraus. Letztlich hat das unvollendete Stadium, vor allem in einer der eingetretenen Zwischenphasen, ein desaströses Aussehen hervorgerufen und dieses war Wasser auf die Mühlen der Stadtparkbesucher, die sich ohnehin ein plätscherndes Nass anstelle des relativ strengen, freilich komplex und mit Information und Erkenntnis ausgestatteten, inhaltlichen und formalen Kanons erwartet haben. In einer Zeit, in der Wasser, das Lebensmittel schlechthin, immer mehr Schutz bedarf, um noch soviel Qualität zu bewahren, dass es weiter als Lebensmittel gebraucht werden kann, scheint es mir notwendig, als Künstler auf das Thema Brunnen so zu reagieren, dass nicht nur das Spielerische dargestellt wird, sondern Wasser als das kostbare Über-Lebensmittel, das unser aller Verantwortung bedarf.“ Um dieser Überzeugung zum Ausdruck zu verhelfen, wurde ein vergoldeter Betonquader konzipiert, aus dessen Mitte, eine Goldscheibe mit einer kleinen Öffnung, gerade soviel Wasser dringt, dass eine kleine Lache gebildet wird. „An heißen Tagen wird man gerade das Austreten des Wassers bemerken, der Großteil der Wasserlache wird verdunsten.“ (Einreichungskonzept Ertl).

Der zweite Teil des Kunstwerks ist ein bündig in den Boden eingesetzter Edelstahlstreifen. Das ursprüngliche Konzept sieht vor, jährlich eine der Chrom-Nickelstahlplatten zu entnehmen und darauf die Qualitätswerte des Grazer Trinkwassers einzugravieren. Diesen Vorschlag lehnt der Auftraggeber später als undurchführbar ab und regt stattdessen an, im Metallband die Geschichte der Stadtwerke zu verewigen – für Ertl wiederum eine nicht akzeptable Lösung. Zudem spießt sich der Beginn der Arbeiten durch kurzfristige Einsprüche des Stadtgartendirektors, der zuerst den Schutz der Bäume einfordert und dann eine spezielle Aufbereitung des Bodens nach Aufstellung des Betonquaders fordert – übrig bleibt lange Zeit ein Fragment der hoch interessanten Arbeit. Es kann der Verdacht nicht ausgeräumt werden, dass es anstelle von naturschutzrechtlichen Gründen ästhetische waren, die lange Zeit zur Einstellung der Arbeiten geführt haben. Und so wird ein Hindernis nach dem anderen errichtet: Die vor Beginn der Bauarbeiten entfernten Parkbänke werden an dem als kontemplativ konzipierten Ort nicht wieder aufgestellt, stattdessen wird ein Abfallkübel unmittelbar an einer Ecke des Brunnen-Objekts positioniert.

1994 fordert Ertl die Stadt Graz in einem Brief an Bürgermeister Stingl auf, die Fertigstellung des Wasserkunstwerks entsprechend der ursprünglichen Vereinbarung zu ermöglichen, die Parkbänke wieder zu installieren und die Pflege des Baumrondeaus aufzunehmen. 1999/2000 ergreift er nochmals die Initiative und wendet sich mit einem adaptierten Konzept – Ertl schlägt vor, im Stahlband statt der Wasserwerte ein Haiku zum Thema Wasser einzugravieren – an den neuen Vorstandsdirektor der Stadtwerke, der ihm die Fertigstellung/Restaurierung des Brunnendenkmals zusichert. Heute gibt es nach wie vor keine Vergoldung, jedoch eine weibliche Bronzefigur als Wunschergänzung der Behörden und das Versprechen einer Teilvergoldung. Beides wurde mit einer „Eröffnungsfeier“ manifestiert.

Fedo Ertl, 100, Graz 2008

Fedo Ertl, 100, Graz 2008

Ein weiteres „Denkmal“ mit dem Titel 100 hat Fedo Ertl erst kürzlich umgesetzt. Das Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark14Es wurde 2006 im Zuge des neuen steirischen Kulturförderungsgesetzes gegründet und weist eine zeitgemäße Handlungsweise auf: Künstlerische Projekte im öffentlichen Raum sind nun nicht mehr unmittelbar an die öffentliche Bautätigkeit gebunden und werten so die Bedeutung der Öffentlichkeit für die Kunst auf.hat der Organisation Die Kinderfreunde anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums angeboten, sich auf ein Beispiel eines an die Dimensionen der Zeit angepassten Denkmalbegriffs einzulassen. Dem aktuellen Anlass entsprechend wurde nicht, wie möglicherweise erwartet, ein Porträt des Gründers Anton Afritsch angefertigt, es wurde ein Repertoire von Zeichen für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft entwickelt und 2008 der Öffentlichkeit übergeben.15Siehe auch: http://www.oeffentlichekunst.at/, Stand 11.6.2009.

Charakteristisch für die eigenständige Interpretation des Denkmals ist eine Reihe von Faktoren. Der wichtigste Faktor ist die Verbindung der Vergangenheit mit der Zukunft in der Gegenwart. Dazu kommt, dass sich das Objekt der Erinnerung der traditionellen Erscheinungsform eines Denkmals, der Vertikalität, widersetzt und sich abgesehen vom Material unaufdringlich in die Topografie des Ortes einfügt. Dennoch ist eine neue künstlerische Grammatik im Spiel, die aus dem Konzept überzeugend abgeleitet wird. Einen wesentlichen Teil dieser Grammatik macht auch die erweiterte „Raumbeanspruchung“ des „Denkmals“ aus, das sich damit nicht an einem einzigen Ort festsetzt. Die einzelnen Teile können wie folgt beschrieben werden16Die Beschreibung folgt in Teilen der Projekteinreichung des Künstlers.: Eine Ahornbaumscheibe mit mindestens einhundert Jahresringen dient als Modell für einen Bronzeguss. Die Jahresringe sind am Bronzeobjekt gut sichtbar und bilden die Zeitmarker für die wichtigsten Ereignisse der Kinderfreunde in den vergangenen einhundert Jahren.
Eine kreisförmige Edelstahlscheibe mit einem Durchmesser von 400 cm umfasst das Bronzeobjekt.

Die Scheibe besteht aus zwei Teilen. In den Hauptteil der Scheibe ist ein 100° Kreissegment bündig wie ein Puzzlestück eingepasst. Auf diesem Segment sind die sieben wichtigsten die Kinderfreunde betreffenden Ereignisse als Text eingeätzt. Jeder dieser Punkte (zeitliches Ereignis) ist über eine Linie mit dem zugehörigen Jahresring der Bronzescheibe verbunden. Die Edelstahlscheibe und der Bronzeguss sind auf Betonfundamenten 25 cm über dem Boden montiert und erwecken dadurch den Eindruck des Schwebens. Der beziehungsreiche Standort liegt einerseits vis à vis der Skaterbahn, sodass ein ungewohntes Objekt im Blickfeld der Jugendlichen aufscheint, und andererseits führt eine mögliche Blickachse in Richtung der Anton-Afritsch-Gasse, womit eine weitere Referenz zum „Auslöser“ des Erinnerungszeichens hergestellt ist. Die Reihe der Kontextualisierungen, die nicht nur an diesem Beispiel für Fedo Ertl charakteristisch sind, setzt sich weiter fort. Der vierte Teil der Skulptur, material- und formgleich dem eingepassten 100° Segment der Edelstahlscheibe, wird im vom Mühlgang getrennten Bereich des Parks am Weg und Wiesenrand vor dem Hauptwasserbecken aufgestellt. In den Skulpturenteil eingeätzt ist der Text: Einhundert Jahre Kinderfreunde 2008.

Fedo Ertl, 100, Graz 2008

Fedo Ertl, 100, Graz 2008

Im Zentrum der halbkreisförmigen Auslassung am Ende des Objektes wurde ein Blutahorn gepflanzt, dessen Stamm nach einhundert Jahren die Auslassung ausfüllen soll. Ein weiterer, über den Ort weit hinaus greifender Raumtransfer verknüpft das Werk mit dem Zentrum der Stadt, dem Schloßberg. So wurde eine kleine „Tafel“, wieder als 100˚ Segment, an der Mauerbrüstung etwa 100 m rechts vom Uhrturm Richtung „Türkenbrunnen“ montiert. Eingeätzt in die Tafel sind zwei Richtungsmarkierungen und Texte mit Angaben zum Anton-Afritsch-Kinderdorf am Steinberg bei Graz und ein Hinweis zur Skulptur im Volksgarten. Steht die Betrachterin/der Betrachter vor der Tafel, wird sie/er auf eine veränderte Art und Weise, ohne den gewohnten Bezug aufzugeben, mit einer alten Tradition am Schloßberg konfrontiert: An einigen Aussichtspunkten führen Linien in die unterschiedlichsten Himmelsrichtungen und führen bekannte, meist weit entfernte Orte mit der Kilometerangabe ihrer Luftliniendistanz von Graz an. Die neue dazu gefügte Scheibe lenkt den Blick einerseits über die Anton-Afritsch-Gasse zum Volksgarten und andererseits zum Kinderdorf am Steinberg, das vom Pionier der Kinder- und Jugendbewegung errichtet wurde. Diese für einen städtischen Park beauftragte Arbeit erliegt nicht den Verführungen des Ortes. Ertl nimmt ihn, auch wenn Wiesen und Bäume seine Erscheinung bestimmen, als öffentlichen Raum ernst, wie er sein Ziel, auf das er seine künstlerische Arbeit richtet, immer derart ernst nimmt, dass er nicht aus einem festgefahrenen Repertoire einzelne Versatzstücke holt, sondern nach den Vokabeln der jeweils situationsbedingten, das heißt für die Verständigung notwendigen Sprache sucht. Mit dieser Haltung ist er Teil einer steirischen Kunstgeschichte, die auch außerhalb des Landes mit großem Interesse (für) wahr genommen wird.

Gekürztes MANUSKRIPT ZU: Werner Fenz, Mit der Kunst an der Realitätskonstruktion Anteil nehmen. Ein abriss der wichtigsten Positionen von Fedo Ertl. IN: FEdo Ertl: Citizens. Der Künstler GRAZ im Kontext der Gesellschaft. Hrsg. von Werner Fenz., Weitra: Verlag der Provinz 2007 S. 9 – 101
Abbildungen: Verlag der Provinz
FOTOS: FEDO Ertl, Werner Fenz
Publikation 

References
1 Die Ausstellung war Teil des Programms des steirischen herbst, das Stadtmuseum stellte für drei Monate die Räume zur Verfügung. Kuratiert und textlich begleitet wurde diese andere Form einer Ausstellung von Werner Fenz in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler.
2 Aus dem Konzepttext zum Projekt.
3 “Auf eine andere Ausstellung muß hier besonders hingewiesen werden, die einen politisch brisanten Auftrag an die Künstler stellte: In Graz wurden 1988 sechzehn Orte von Werner Fenz ausgesucht, an denen die Nationalsozialisten eine besondere Präsenz besaßen … Es war eine Ausstellung mit aktuellen, streng ortsbezogenen Auftragskunstwerken als Hinweise … auf die Verbindung von Gesellschaft und Kunst, ja auch auf die Verantwortung des Künstlers und der ihn stützenden, vermittelnden Institutionen … Unsere jetzige Berliner Ausstellung Die Endlichkeit der Freiheit nimmt sicherlich wichtige Anregungen gerade dieser zuletzt genannten Manifestation auf, um im Unterschied zu den eher allgemein auf Platz und Park bezogenen Arbeiten hier einen anderen wichtigen Strang der neueren Kunstgeschichte einzubeziehen: die soziale, geschichtliche Dimension des Ortes und des Zeitpunktes der Realisierung des Werkes“, vgl. Wulf Herzogenrath, Künstler verändern die Ausstellungsformen, in: Die Endlichkeit der Freiheit Berlin 1990. Ein Ausstellungsprojekt in Ost und West, Edition Heinrich: Berlin 1990, S. 32, 33.
4 Vgl. dazu zum Beispiel die Website Offsite Graz sowie die Publikation unter demselben Titel, Leykam: Graz 2005.
5 Siehe Anmerkung 4. Jochen Gerz hat 2008 im Grazer Burgtor die Arbeit Ich Sigfried Uiberreither realisiert und wird 2009 das Projekt 63 Jahre danach, eine Arbeit mit HistorikerInnen, PolitikerInnen und ZeitungsleserInnen fertig stellen (siehe Website www.oeffentlichekunststeiermark.at).
6 Ertl berichtet im Katalog zur Veranstaltung (Die Schöpfer Gottes. Forum Stadtpark – Steirischer Herbst 1983, Graz 1983) in zum Teil berührenden Gesprächsprotokollen ausführlich über die Bedenken seiner Gesprächspartner.
7 Die Synagoge, von Jörg und Ingrid Mayr geplant, von Ingrid Mayr nach dem Tod ihres Mannes fertiggestellt, wurde am 9.November 2000 mit großer zeitlicher Verspätung ihrer Bestimmung übergeben. Vgl. Wolfgang Sotill, Es gibt nur einen Gott und eine Menschheit. Graz und seine jüdischen Bürger, Graz 2001.
8 Dieses Interview wurde auch in einem anderen Zusammenhang präsentiert: Ein einfacher, ungestylter Fernsehmonitor stand auf einem Altar der Kirche St. Andrä im Grazer Bezirk Gries, der durch einen hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund charakterisiert ist. Ertls Installation war Teil des Projekts … ?
9 Diese Unmittelbarkeit in der künstlerischen Realisierung gesellschaftspolitischer Vorgänge und Zusammenhänge taucht auch im Schmuck/Objekt Brillant auf. In eine Holzkassette eingepasst verweisen eine Seife und eine Kette, beide Materialien in dieser Zeithistorie mit komplexer historischer Bedeutung, auf die in den dreißiger Jahren unter der verfolgten jüdischen Bevölkerung übliche Praxis, einen Rest von Hab und Gut zu retten. Die formal umgesetzte Praxis wird zu einem persönlich-authentischen Mahnmal menschenverachtender Ideologie
10 F. Ertl in der Publikation „Bezugspunkte 38/88“, Graz 1988.
11 Für die „Einübung“ und Darstellung spezifischer künstlerischer Gestaltungsmuster, die „gleichermaßen politische wie ästhetische Strategien zur Öffnung des sozialen Raums als künstlerisches Arbeitsfeld entwickelten“ (Heimo Ranzenbacher) war die 1976 gegründete Steirische Kulturinitiative eine wichtige Plattform. Man vertraute auf die Ideen der Künstlerinnen und Künstler (in der ersten Jahren waren Richard Kriesche und Peter Gerwin Hoffmann die künstlerischen Leiter), die einen jährlichen Programmschwerpunkt erarbeiteten und dann den TeilnehmerInnen für die einzelnen Projekte einen Produktionsauftrag zu gaben. Im Mittelpunkt dieses bis heute entwickelten stattlichen Themenkatalogs (darunter Projekt ArbeitKunst-WasserHeimatLebensräumeEnergieZeitKunst & MuseumZERO – The Art of Being EverywhereTime Exchange) stand nicht nur, wie oft behauptet wird, eine lokale Identitätssuche. Es waren im internationalen Kontext bemerkenswerte Fakten, die die Struktur der „Kulturinitiative“ und der in ihr geleisteten künstlerischen Arbeit auszeichneten: die Aufarbeitung zeitrelevanter Themen, die als „Arbeitsfelder“ den künstlerischen Produktionsbegriff neu definierten; die Dezentralisierung des Kunstdiskurses von Graz in zahlreiche steirische Orte und Gemeinden; die Einstufung der Kunst als gesellschaftsrelevantes Modell, da sich in der Kunst für die Bewältigung der Wirklichkeit entscheidende Synergieeffekte aus einer Bestandsaufnahme der Alltagsmechanismen, der sozialen, politischen und wissenschaftlichen Faktoren herstellen ließen mit dem Ziel, diese als ästhetische Zeichensetzung aufzuarbeiten.
12 Pierre Bourdieu, Hans Haacke, Freier Austausch. Für die Unabhängigkeit der Phantasie und des Denkens, S. Fischer: Frankfurt am Main 1995, S. 81.
13 Wir sind viele. Positionen zum Thema Migration war Teil des vielspartigen Projekts Crossing Culture, initiiert vom Afro-Asiatischen Institut in Graz. Evelyn Kraus war die Kuratorin, Werner Fenz der Kurator der Veranstaltung, an der neben Ertl weiters Klub Zwei (Simone Bader, Jo Schmeiser) und Afra, Anna Kowalska und Martin Krenn teilgenommen haben.
14 Es wurde 2006 im Zuge des neuen steirischen Kulturförderungsgesetzes gegründet und weist eine zeitgemäße Handlungsweise auf: Künstlerische Projekte im öffentlichen Raum sind nun nicht mehr unmittelbar an die öffentliche Bautätigkeit gebunden und werten so die Bedeutung der Öffentlichkeit für die Kunst auf.
15 Siehe auch: http://www.oeffentlichekunst.at/, Stand 11.6.2009.
16 Die Beschreibung folgt in Teilen der Projekteinreichung des Künstlers.