Helmut & Johanna Kandl, WÄCHTERHAUS, Aflenz an der Sulm 2009

Helmut & Johanna Kandl, WÄCHTERHAUS, Aflenz an der Sulm 2009

28,15,0,50,1
600,600,0,0,5000,1000,25,2000
90,300,0,50,12,25,50,1,70,12,1,50,1,0,1,5000
Aflenz an der Sulm Steiermark 2009
Helmut & Johanna Kandl, Wächterhaus
Aflenz an der Sulm, Steiermark 1945
Luftbildaufnahme des KZ-Außenlagers von Mauthausen
Aflenz an der Sulm Steiermark 2008
Ruine des Wachpostenhauses
Aflenz an der Sulm Steiermark 2009
Helmut & Johanna Kandl, Wächterhaus
Aflenz an der Sulm Steiermark 2009
Helmut & Johanna Kandl, Wächterhaus, Informationsraum: Screenmagazin, messages repeated
Aflenz an der Sulm Steiermark 2009
Helmut & Johanna Kandl, Wächterhaus
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EIN WÄCHTERHAUS – IN EINER VERGANGENHEIT, IN EINER GEGENWART

Hinter der Ausschreibung des künstlerischen Wettbewerbs zur Erreichung eines „Denkzeichens“ für das ehemalige KZ-Außenlager Aflenz an der Sulm stand an erster Stelle der dringende Wunsch, „die Mauern des Vergessens“ niederzureißen.

Luftbildaufnahme des KZ-Außenlagers von Mauthausen, Aflenz an der Sulm Steiermark 1945

Luftbildaufnahme des KZ-Außenlagers von Mauthausen, Aflenz an der Sulm, Steiermark, 1945

Von gleich großer Bedeutung aber war, auf die Frage, welche inhaltliche und künstlerische Qualität ein Mahnmal im Jahr 2009 aufweisen kann/muss, eine qualifizierte und qualitativ hochwertige Antwort zu bekommen. Die Auseinandersetzung mit der Erinnerungskultur, geführt über künstlerische Zeichensetzungen, weist zumindest den gleich hohen Stellenwert auf wie die Notwendigkeit, hinter die Mauern zu blicken. Aus den zahlreichen Argumenten für oder gegen diese oder jene Denkmalform sei ein zentrales herausgegriffen: Ist es heute (noch) möglich, die von der Nazi-Herrschaft verbreiteten Schrecken, den Terror eines menschenverachtenden Regimes, die Errichtung von Konzentrationslagern und die darin alltäglich in Gang gesetzte Vernichtungsmaschinerie ausgehend von jenen Bildern des Grauens, die uns spät genug überliefert wurden, darzustellen oder zumindest immer wieder auf diese zu verweisen? Können die durchaus aufrichtig emotional geprägten, expressiven, geschundenen Leiber aus Stein oder Bronze die entsprechenden symbolischen (Nach)Bilder nach den realen sein?

In einer Zeit des Bilderwandels, des Verbrauchs der Bilder, vorwiegend auf medialer Ebene, und der damit einhergehenden Abstumpfung gegenüber gequälten und getöteten Leibern sei in großem Respekt vor den grauenhaften Schicksalen der Einzelnen die These in den Raum gestellt, ob das künstlerische Abbild des erwähnten, nahezu endlosen, Prospekts, respektive einer kleinen Auswahl daraus, als entsprechende Methode des Erinnerns und Gedenkens weiterhin zur Anwendung kommen soll/darf. Diesem in die Zukunft hinein Versteinern eines der beschämendsten Kapitel der Geschichte stehen heute diametral entgegen-gesetzte Konzepte gegenüber. So haben beispielsweise Esther und Jochen Gerz in einem Vorort von Hamburg eine bleiummantelte Stele, auf der sich die PassantInnen mit ihrer Unterschrift verewigen konnten, nach sieben Jahren, als sie vollgeschrieben war, versenkt, „denn nichts kann sich an unserer Stelle gegen das Unrecht erheben“; Rachel Whiteread hat ihr Holocaust-Mahnmal auf dem Wiener Judenplatz als steinerne Bibliothek gestaltet, nachdem auch auf Wunsch der jüdischen Gemeinde bereits in den Wettbewerb aufgenommen worden war, keine bildlichen Darstellungen zuzulassen. Mit diesen und zahlreichen weiteren Beispielen wurde innerhalb der Denkmalkultur ein entschiedener Wandel vollzogen.

Zum internationalen Auswahlverfahren für Aflenz wurden fünf KünstlerInnen bzw. Künstlerduos eingeladen: aus Kroatien/Bosnien-Herzegowina Sanja Ivekovic/Danica Dakic, aus Schweden FA+ (Gustavo Aguerre und Ingrid Falk), aus Deutschland Beate Passow und aus Österreich Oliver Ressler sowie Helmut & Johanna Kandl. Einige entscheidende Orientierungen und Notwendigkeiten wurden in der Ausschreibung für die TeilnehmerInnen klar formuliert. So war es dezidiert im Interesse des Auslobers – das Land Steiermark, vertreten durch das Institut für Kunst im öffentlichen Raum – die Statik von Zeichen der Erinnerung aufzubrechen und eine andere Richtung einzuschlagen als die (zu) großen nationalen und repräsentativen Denkmalanlagen. Unter der Oberfläche der Erscheinung eines singulären Objekts/mehrerer Objekte oder der Aussagen und Stellungnahmen, in welcher Form auch immer, sollten funktionierende Mechanismen entwickelt werden, die das Gedenken von seiner nur nach außen hin wirksamen Pflichtschuld befreien.

Nicht ein einzelner Punkt, sondern der weitläufige Ort des Geschehens sollte der Ausgangspunkt der Überlegungen sein, die Mittel der Kunst zu einem Auslösefaktor der Erinnerung und Reflexion werden. Auf der einen Seite durch die unmittelbare Konfrontation mit der zeitgenössischen künstlerischen Bezeichnung des Gedenkorts und auf der anderen Seite durch eine nicht abstumpfende, sondern in den aktuellen Strukturen der Gesellschaft zu verankernde Mahnung. Diese Herausforderung legte den Schwerpunkt auf die sogenannte offene Form des Kunstwerks, auf ein künstlerisches Handeln, das nicht abschließt oder trotz einer möglicherweise dynamischen Oberfläche zudeckt. Gefordert war ein offen gehaltener, von der Gegenwart aus gestalteter Erinnerungsprozess, also nicht der einmalige Akt des „Denkmalbesuchs“ oder die Wahrnehmung im Vorübergehen. Das rapide Ansteigen der Ausländerfeindlichkeiten und des Hasses auf nicht strikt systemkonforme MitbürgerInnen, der offen zur Schau getragene Rechtsradikalismus und die widerwärtigen Umtriebe von Neonazis ließen den AuftraggeberInnen diese Fokussierung notwendiger denn je erscheinen.

Ruine des Wachpostenhauses, Aflenz an der Sulm Steiermark 2008

Ruine des Wachpostenhauses, Aflenz an der Sulm Steiermark 2008

Dem Urteil einer Fachjury – Wolfgang Kos (Direktor Wien Museum) Silvia Eiblmayr (Galerie im Taxispalais Innsbruck), Claudia Büttner (Kunsthistorikerin, München), Samuel Stuhlpfarrer (Mauthausen Komitee Österreich), Werner Fenz, Walter Seidl, Walter Titz (alle Fachbeirat für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark), Franz Trampusch (Zeitzeuge) – zufolge erfüllte die Bedingungen in herausragender Weise das Ehepaar Helmut & Johanna Kandl. Ihr Projekt Wächterhaus kristallisierte sich am einzigen im Außenraum erhaltenen Objekt aus, dem ehemaligen Wachpostenhaus. Es handelt sich dabei um eine aus rohen Ziegeln bestehende, unscheinbare, zum Zeitpunkt des künstlerischen Entwurfs hinter üppiger Vegetation (fast) verborgene Ruine.

Helmut & Johanna Kandl, Wächterhaus, Aflenz an der Sulm Steiermark 2009

Helmut & Johanna Kandl, Wächterhaus, Aflenz an der Sulm Steiermark 2009

Auf dem Dach leuchtet der Titel des Projekts, der zugleich als Vermächtnis der Arbeit zu lesen ist: Wache halten, kontrollieren, wachsam sein – aus der ursprünglichen Funktion wird eine unter anderen Vorzeichen gleichlautende heutige. Dieser scheinbar kleine Schritt im Transfer von der Vergangenheit (Wachpostenhaus) in die Gegenwart (Wächterhaus) charakterisiert die Arbeit als einen neuartigen gewichtigen Beitrag zur Denkmalkultur. Nie ist in Frage gestanden, das Gebäude als Fragment nicht nur miteinzubeziehen, sondern sogar zum Ausgangspunkt wie zum Zentrum der Installation zu machen. Hier wird nicht errichtet, hier wird mit minimalen, aber geschickt und zielsicher eingesetzten Mitteln ergänzt.Und zwar auf eine Art und Weise ergänzt, die den Gegenwartsbezug schon von weitem sichtbar macht. Neonbuchstaben, in einem klaren, der „Groteskschrift“ der Nazis entgegengesetzten Schrifttypus, bewusst so manchen vertrauten Ankündigungen nicht unähnlich, sind Inhalt und Aufforderung in einem.

Helmut & Johanna Kandl, Wächterhaus, Informationsraum: Screenmagazin, messages repeated, Aflenz an der Sulm Steiermark 2009

Helmut & Johanna Kandl, Wächterhaus, Informationsraum: Screenmagazin, messages repeated, Aflenz an der Sulm Steiermark 2009

In der größten der drei noch vorhandenen Nischen konzentriert sich die Information. Auf der einen Wand findet sich eine kurze Beschreibung des Ortes und der Art des Geschehens, vis à vis laufen über einen Monitor Bild- und Textinformationen. Über diese werden wir mit Menschenrechtsverletzungen in der unmittelbaren Gegenwart, mit Akten der Gewalt, mit Angriffen auf Minderheiten in den unterschiedlichsten Formen konfrontiert. In Zusammenarbeit mit HistorikerInnen und VertreterInnen von Menschenrechtsvereinen werden wechselnde, aktuell gehaltene Ausschnitte aus der Gegenwart in das Wächterhaus eingespielt. Dieser Verbindungsbogen, sehr ausführlich mit den WissenschafterInnen ausdiskutiert, ist einer der Gründe dafür, dass sich das „Denkzeichen“ aus der Statik und aus jedweder Form von Repräsentation befreit.

Helmut & Johanna Kandl, Wächterhaus, Aflenz an der Sulm Steiermark 2009

Helmut & Johanna Kandl, Wächterhaus, Aflenz an der Sulm Steiermark 2009

Helmut & Johanna Kandl ist eine im wahrsten Sinn des Wortes wegweisende künstlerische Form des Gedenkens gelungen. In ihrer Bedeutung reicht sie weit über den konkreten geografischen und historischen Ort hinaus und führt eine neue Typologie von Denkmälern ein: Es ist das Bezeichnen eines Areals unter Verwendung eines vorhandenen erinnerungsträchtigen Objekts. Dieses wird weder umgebaut noch auf Hochglanz gebracht, es wurde lediglich baulich gesichert, und auch in diesem Wort sichern liegt wieder diese doppelte Bedeutung, liegt die Dualität, mit der das Künstlerpaar in diesem Werk mehrfach operiert: Vergangenheit und Gegenwart, Wachpostenhaus und Wächterhaus, Erinnerung sichern und in der Gegenwart verorten.

Werner Fenz, Ein Wächterhaus in einer Vergangenheit, in einer Gegenwart, in: Helmut & Johanna Kandl, Wächterhaus, Informationsbroschüre, Wien 2009
Abbildungen: Luftbilddatenbank Ingenieurbüro Dr. Carls, Institut für kunst im öffentlichen Raum Steiermark, Archiv FENZ-Kortschak
Fotos: Werner Fenz, Johanna KAndl
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